Poetenpack eröffnet Potsdamer Theatersaison nach Corona-Pause: Ritterin von der traurigen Gestalt
Das Poetenpack eröffnet im Heckentheater die Potsdamer Theatersaison nach dem Corona-Lockdown. Mit einem auf Konsumkritik gebürsteten Renaissance-Stück: „Der Ritter von der flammenden Mörserkeule“.
Potsdam - Schicksal oder Zufall oder Wettergott: Man meinte es an verantwortlicher Stelle gut mit der Premiere des Poetenpacks am Donnerstagabend. Die erste Potsdamer Theaterpremiere nach fast viermonatiger Corona-Stille wohlgemerkt, mit entsprechender Ungeduld erwartet. Hätte sich das Publikum drängen dürfen: Es hätte sich gedrängt. Die Abstandsregeln forderten anderes, so blieben vorschriftsgemäß viele Sitze frei. Dafür dass überhaupt gespielt werden konnte, bedankte sich Leiter Andreas Hueck eingangs bei Stadt, Land und Freundeskreis. Eine Lehre der Krise: Theater ist nicht selbstverständlich.
„Der Ritter von der flammenden Mörserkeule“ also blieb trocken. Der Himmel, in den der arme Teufel Jasper (Markus Braun) kurz vor der Pause Verzweiflungsschreie stößt, ist grau. „Ach Schicksal! Zufall! Oder was vom Menschen noch verehrt wird!“, ruft er, der gerade seine Liebste Lucy (Clara Schoeller) erst erfolgreich gewonnen, vom missgünstigen Vater weg in einen Wald gerettet, und dann selbstverschuldet wieder verloren hat. Das Resultat einer Laune. Liebt sie mich genug?, hatte Jasper sich gefragt, die schlafende Angebetete im Blick. Genug, um es nicht falsch zu verstehen, wenn ich sie jetzt mit einem Messer bedrohe? Das Ergebnis mag für Außenstehende vorhersehbar sein: Lucy besteht den Test nicht. Vorerst.
„Das ist ja voll von linken Vorurteilen!“
Die Komödie „Der Ritter von der flammenden Mörserkeule“, geschrieben 1613 von dem elisabethanischen Autorenduo Francis Beaumont und John Fletcher, ist voller solcher inhaltlicher Volten. Die Figuren treffen absurde Entscheidungen, man weiß nicht warum, der Plot verknotet sich auf halsbrecherische Weise. Ausgangspunkt ist ein Stück im Stück: Eine Schauspieltruppe probt „Die Tochter des Spekulanten“. Aus dem Publikum springt ein Zuschauer dazwischen: „Das ist ja voll von linken Vorurteilen!“ Kein einfacher Zuschauer, stellt sich heraus, sondern der Sponsor der Truppe, Gewürzhändler Georg (André Kudella), ausgerechnet.
Und dem gefällt das Bashing des Unternehmertums gar nicht, denn wo bliebe das Theater bitteschön, ohne ihn und sein Geld? Er fordert mehr Action, eine Bestie, einen Ritter, der Bezug zu seiner Zunft muss auch her – warum nicht ein Mörser, Zeichen des Gewürzhandels – besser: eine Mörserkeule? Die keine Gewürze zermahlt, sondern Bösewichte. Und Töchterchen Raffi (Antonia Döring) soll die Hauptrolle spielen. Die Truppe fügt sich, Georgs Frau Nell (Gislén Engelmann) quietscht vor Vergnügen, und so nehmen die Dinge ihren verqueren Lauf.
Zwischen den Liebenden der Sicherheitsabstand
Was die zwei Erzählebenen – Unternehmer-Story hier, Ritter-Mär da – thematisch mehr schlecht als recht zusammenhält: das liebe Geld. Denn nicht nur Ritterin Raffi ist eine Unternehmertochter, sondern auch Lucy. Sie darf nicht den armen Schlucker Jasper heiraten, sondern soll standesgemäß an Papas Geschäftspartner Sir Humphrey (Andrea Seitz) verscherbelt werden.
Zwischen den Liebenden steht im Übrigen nicht nur das Geld, sondern, sehr anmutig umgesetzt, auch der erforderliche Sicherheitsabstand: Zweifel, ob Liebesszenen auf Distanz funktionieren können, werden hier ein für alle Mal ausgeräumt. Genau choreografierte Bewegungen, synchronisierte Umarmungen, Küsse, Berührungen lassen die zwei Meter dazwischen vergessen – und die Sehnsucht der beiden nach einander noch anschaulicher werden. Überhaupt ist Clara Schoellers Lucy eine schillernde, flirrende Wucht im Glitzerkleid – und in der Doppelrolle als Jaspers Bruder Michael, mit schwarzer Perücke und aufgeblähten Kinderbacken, kaum wiederzuerkennen.
Eine Schwester Don Quijotes
Eine Wucht auch die titelgebende Ritterin, gespielt von Antonia Döring. Erst versteckt im schwarzen Kapuzenpulli, später dann mit Schüssel auf dem Kopf und Bandagen aus Plastikflaschen an den Beinen eine todernste Ritterin von der traurigen Gestalt, stets zur Hand eine überdimensionierte Mörserkeule aus Pappmaché. Unverkennbar eine Schwester Don Quijotes. Mit Greta Thunberg teilt sie den mädchenhaften Ernst im Kampf mit einem übergroßen Gegner, mit Don Quijote die Suche nach Unholden, nach Schutzsuchenden. Michael erbarmt sich und findet ihr ein Ungeheuer: das Monster Okonsum, mit einer auf Besenstiele aufgespannten Plastikplane gespielt vom eigenen Vater, dem Unternehmer Georg.
Vatermord, Konsumkritik, Theaterreferenzen von Shakespeare über Schiller bis Brecht, die Frage nach künstlerischer und persönlicher Freiheit: „Der Ritter von der flammenden Mörserkeule“ hat viel im Angebot. Zuviel? Vielleicht liegt es an diesem Überangebot, dass man sich am Ende, trotz der großartigen Spielerinnen, fühlt wie am Grabbeltisch: Da ist ein bisschen Liebe und ein bisschen Konsum, ein bisschen Potsdam-Bezug, ein bisschen durch den Kakao gezogene Theatergeschichte, ein bisschen Tragödie und ganz viel gewollte Komödie, ein bisschen Lust am Text, aber auch ein bisschen Unverständnis dafür.
Und, gerade nach der Pause, ist all das auch ein bisschen lang. „Bleibt schön locker“ singt Jaspers Vater Charles (Georg Peetz) immer wieder zum Akkordeon, und das scheint auch das Prinzip der Regie von Stefan Ebeling gewesen zu sein. Die Ritterin von der traurigen Gestalt hätte ein bisschen mehr als nur Lockerheit verdient.
„Der Ritter von der flammenden Mörserkeule“ im Heckentheater am Neuen Palais. Die nächsten Vorstellungen sind ausverkauft, Karten gibt es online wieder für die Vorstellungen vom 5. bis 18., 23. bis 25., sowie 29. bis 31. Juli und für den August.
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