Kolumne SpiegelSTRICH: Politik will wirken
Gerade in schwierigen Zeiten neigen Staatsmänner dazu, ihr Handeln zu inszenieren. Das gelingt nicht immer in der gewünschten Weise.
Politik ist, immer auch, die Inszenierung ihrer selbst, denn Politik will wirken. Es sagt etwas aus und soll etwas aussagen, wenn wir Olaf Scholz sehen, der lächelnd und in Jeans und grauem Pulli im Flugzeug nach Washington steht. Solche Fotos gibt es normalerweise von Hintergrundgesprächen nicht, darum heißen die Gespräche so.
Dass es diese Scholzfotos gibt, sagt uns, dass der Kanzler souverän zu Joe Biden fliege, lässig gar, doch nein, das sagen die Fotos nicht, denn das sollen sie sagen.
Es sagt gleichfalls etwas aus, wenn Wladimir Putin und Emmanuel Macron vor goldig-weißem Glitzerkram an den Kopfenden eines rund acht Meter langen Marmortisches sitzen, einander duzend, doch was für ein Gespräch mag das gewesen sein? "Dobbry den',Emmanuel!!" - „Pardon, Wladimir??“
Die Blumen auf dem großen Tisch mussten plattgequetscht daliegen, damit die zwei kleinen Staatsmänner einander zumindest sehen konnten. Zarengehabe? So wurde es gedeutet, fehlgedeutet. Tage später kam heraus, dass Macron keinen PCR-Test in Moskau hatte machen wollen, um den Russen nicht seine DNA zu präsentieren; die Russen trauen französischen PCR-Tests nicht, weshalb Putin eine Corona-Ansteckung fürchtete – darum dieser Tisch.
Russland und der Westen, was misslingt diesmal? Politik ist Kommunikation, immer auch Interpretation, und die kann unvollständig und falsch sein. Ein Versuch:
Der Westen und Russland sind gefangen in einer Krise, die Russland herbeigeführt hat, weil Putin und seine Generäle sich irrten. Diese ließen ihre Truppen rund um die Ukraine aufmarschieren, um wuchtige Forderungen durchzusetzen: keine Atomwaffen mehr in Europas Nato-Staaten, keine Aufnahme der Ukraine in die Nato und einiges mehr.
Putin glaubte, er könne damit durchkommen, weil der Westen schwächlich und lasch sei, wie dieser Westen gerade in Afghanistan demonstriert hatte. Aber nach Afghanistan hält die Nato zusammen, denn sie will nicht sein, wie sie in Afghanistan war.
Wird Putin Krieg führen, um seinen Stolz zu retten?
Und jetzt? Politik ist Diplomatie. Dass das mit den Waffen unmöglich sei, sagen Franzosen und Deutsche und Amerikaner, und dass eine Aufnahme der Ukraine in die Nato praktisch bis 2030 oder 2040 ausgeschlossen werden könne, theoretisch aber nicht, sagen sie auch. Wie kann Putin dahin gelenkt werden, dass er jetzt nicht Krieg führt, um seinen Stolz zu retten? Und wer erreicht die finster herumflüsternden Offiziere im Kreml, die den Krieg mit der Ukraine wollen, damit Russland wieder Weltmacht werde?
Politik ist beständiges Ringen, und die Deutschen machen das nicht so schlecht. Scholz mischt mit, geht kalkulierte Risiken ein wie sein Live-Interview bei CNN („It‘s absolutely nonsense“). Dass er den Begriff „Nord Stream 2“ nicht ausspricht, bleibt kindisch, weil trotzig: Die Journalisten fragen natürlich weiter danach, und Scholz könnte sie mit einem Satz zum Eigentlichen zurückführen, tut es nicht. So wirkt die Bundesregierung opportunistisch, unentschlossener als sie ist.
Wann hat der Nahe Osten aufgehört, Krisenregion zu sein?
Annalena Baerbock mischt auch mit, präzise vorbereitet, spontan treffsicher. „Mit Blick auf“ und „gemeinsame Zusammenarbeit“ sind ihre liebsten Floskeln, doch ihr Englisch ist reichhaltig, kompetent. Auch Baerbock macht sich kleiner als nötig: Dieses kategorische Nein zu Waffenlieferungen an die Ukraine, dazu die Begründung, keine Waffen in Krisengebiete zu schicken, ist grüne Haltungspolitik; dass Israel selbstverständlich weiterhin Waffen bekomme, ist es auch. Wann hat der Nahe Osten aufgehört, Krisenregion zu sein? Politik ist Eindeutigkeit, Konsistenz. Einen Krieg verhindert man mit Schnörkeln und Doppelbödigkeit nicht … vermutlich nicht … doch wer weiß das heute schon?
Klaus Brinkbäumer