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Rainer Falk vom Fontane-Archiv, Sven Limbeck von der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel und Jim Baker vom Querverlag.
© Querverlag

"Casta Diva": Der schwule Opernführer: Männer, die Arien lauschen

Homosexuelle Männer haben eine ganz besondere Beziehung zur Oper – deswegen soll nun mit "Casta Diva" der erste schwule Opernführer im Querverlag erscheinen. Rainer Falk vom Potsdamer Fontane-Archiv ist einer der Herausgeber. 

Potsdam - Es ist eine der bekanntesten Szenen der Filmgeschichte - und eine der bewegendsten: Tom Hanks, der sich in "Philadelphia" der Opernarie "La Mamma Morta" aus "Andrea Chénier" hingibt. Bereits deutlich von Aids gezeichnet, lässt er sich gänzlich in die von Maria Callas gesungenen Worte fallen, in das Leid der Singenden, in ihren Schmerz, die großen Emotionen. 

Diese großen Emotionen sind es, die leidenschaftliche Opernfans so sehr am Musiktheater reizen. "Wenn Handlung, Bühnenbild und Musik zu einer Einheit verschmelzen, berührt das immer wieder und übersteigt das Sprechtheater bei weitem", sagt Rainer Falk, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Potsdamer Theodor-Fontane-Archiv. Der 46-Jährige hat zwar erst spät zur Oper gefunden, wie er selbst sagt, ist dem Genre dafür aber umso heftiger verfallen. Seit mehr als 15 Jahren besucht er regelmäßig Vorstellungen, reist für besondere Inszenierungen oder Sänger auch mal über die Landesgrenzen hinaus und hat sogar extra einen speziellen Opern-Italienischkurs besucht, um die Texte besser zu verstehen. Während seiner vielen Opernbesuche ist ihm eines aufgefallen: im Publikum sitzen neben ihm selbst auch viele andere homosexuelle Männer.

Noch existiert kein schwuler Opernführer

Aus dieser Feststellung entwickelte sich eine Idee: nämlich den ersten schwulen Opernführer überhaupt herauszugeben. "Ich war der festen Überzeugung, es gäbe einen solchen schon, zumindest im englischsprachigen Bereich", sagt Falk. Doch dem ist nicht so. Deshalb beschloss er mit Sven Limbeck, einem befreundeten Bibliothekar der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, selbst einen herauszugeben. Der Berliner Querverlag unterstützt das Projekt und druckt den Führer. Allerdings reicht der Verlagsetat nur für eine Paperbackversion mit Schwarz-Weiß-Bildern, sodass Falk und Limbeck eine zusätzliche Crowdfunding-Aktion ins Leben gerufen haben. Um farbige Fotodrucke und einen Hardcovereinband finanzieren zu können, sammeln sie im Internet noch bis zum 30. Juni Geld. Das angestrebte Ziel: 16 000 Euro. Bereits jetzt sind fast 13 000 zusammengekommen - die reichen immerhin schon für die farbigen Bilder.

So soll er aussehen: "Casta Diva". Der schwule Opernführer. 
So soll er aussehen: "Casta Diva". Der schwule Opernführer. 
© Querverlag

"Wenn wir auch noch ein Hardcover finanzieren könnten, wären wir sehr glücklich", sagt Rainer Falk. Schon allein deswegen, weil der Opernführer mit Beitragen von mehr als 30 Autoren mindestens 500 Seiten dick werden wird.  Die Beitragenden sind Journalisten, Dramaturgen, Wissenschaftler oder Menschen, die professionell mit dem Musiktheater verbunden sind. Die verschiedenen Beiträge sind, wie in vielen anderen Opernführern auch, nach Komponisten und ihren jeweiligen Werken gegliedert. Zu jeder Oper werden zunächst die inhaltlichen Fakten geliefert, auf die ein Kommentarteil folgt.

Der schwule König und die leidende Heldin

Hier werden die Entstehung der jeweiligen Oper, die Rezeptionsgeschichte und eben die schwulen Aspekte behandelt. Die schwulen Aspekte? "Nun zum Beispiel erzählen wir von schwulen Komponisten, Librettisten oder schwulen Figuren in den Werken", sagt Falk. So werde zum Beispiel "Eugen Onegin" von  Pjotr Iljitsch Tschaikowski - einer der schwulen Komponisten - aufgedröselt. "Man muss wissen, dass die Protagonisten der Oper, Onegin und Lenski sich auch voneinander angezogen fühlen, um diese große Intensität zwischen ihnen zu verstehen", erklärt Falk. Oder auch, dass Giuseppe Verdis "Un Ballo in Maschera" eigentlich die Geschichte eines versteckt schwulen Königs und seines Pagen erzählt. 

Aber auch die leidende Heldin ist eine Identifikationsfigur für viele schwule Männer. Etwa "La Traviatas" Violetta, die als Kurtisane eine Sonderstellung in der Gesellschaft hat und als Kranke noch zusätzlich. "Besonders in den 80er Jahren identifizierten sich viele HIV-Infizierte  mit solchen Figuren", sagt Falk, dessen Lieblingsopern Georg Friedrich Händels "Giulio Cesare in Egitto" und Richard Strauss’ "Salome" sind.

Neues entdecken

Darüber hinaus existieren inzwischen auch moderne Opern, die explizit homosexuelle Storys erzählen. Etwa "Brokeback Mountain" vom amerikanischen Komponisten Charles Wuorinen, basierend auf der gleichnamigen Kurzgeschichte von Annie Proulx, die auch schon als Vorlage für den gleichnamigen Film diente.  Erzählt wird  eine tragische Liebesgeschichte zwischen zwei Cowboys in den 60er und 70er Jahren. 

Der Opernführer ist übrigens nach der berühmtesten Arie von Maria Callas, die als Schwulenikone galt, benannt: "Casta Diva" aus der Oper "Norma". Er legt den Schwerpunkt dabei nicht nur auf schwule, sondern allgemein queere Themen. Das heißt aber nicht, dass der Opernführer auch nur für queere Opernfans gedacht ist. "Alle anderen können mit ihm genauso etwas lernen und vielleicht sogar Neues entdecken", sagt Rainer Falk. 

>>Link zur Crowdfunding-Aktion: https://www.startnext.com/casta-diva

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