Othello-Premiere in Potsdam: Mann dumm, Frau tot
Am Samstagabend hatte Mario Holetzecks Inszenierung von „Othello“ am Hans Otto Theater Premiere. Trotz vielversprechenden Ansatzes: Die Übernahme aus Neuss macht es sich zu leicht. Herausgekommen ist ein Unterhaltungsabend, der gerne Tragödie wäre.
Irgendwann in den knapp drei Stunden dieses Abends beschleicht einen der blasphemische Gedanke: Könnte „Othello“ womöglich einfach ein schlechtes Stück sein? Oder sagen wir, das tut weniger weh: eins, das unserer Zeit so entrückt ist, dass es sich nur noch in deutlicher Umdeutung erzählen lässt, wie etwa das Nuran David Calis jüngst in Basel probiert hat? Er hob „Othello“ in das Glitzer-Showbusiness der 1970er Jahre und ließ ihn, den geschmähten Brutalo-Underdog, am Leben.
Der „Othello“, den Mario Holetzeck für das Landestheater Neuss inszeniert und Intendantin Bettina Jahnke nun nach Potsdam geholt hat, schert sich nicht um solche Umdeutungen. Zwar ist die Übersetzung von Marius von Mayenburg nur ein paar Jahre alt und bemüht sich um eindeutig heutigen Sprech auf der Bühne (besonders gut zu beobachten bei den Beschimpfungen: „Freak“, „Schlampe“, „Nutte“, Fotze“). Aber Heute-Sprech und Heute-Bezug sind bekanntlich zwei Dinge – und es bleibt zu vermuten, dass ein bisschen mehr Shakespeare dem Abend zumindest ein Restchen jener Tiefe gegeben hätte, die man von einem Stück, dass es zum Klassiker geschafft hat, erwartet.
Guter Mann hört auf bösen Mann und tötet auf dessen Geheiß seine Frau
So aber führt dieser „Othello“ vor, was passiert, wenn man den Stoff auf sein innerstes Gerüst (sechs Charaktere) herunterschraubt, Shakespeares Sprachverliebtheit abzieht und das verbleibende Restchen strunzbieder – so muss man das leider sagen – herunterinszeniert. Es bleibt ein dünner Plot: Guter Mann hört auf bösen Mann und tötet auf dessen Geheiß seine Frau, die er doch eigentlich liebt. Für Potsdam heißt das: Es bleibt ein mäßig unterhaltender Stadttheaterabend (mit zwei hübschen Gesangseinlagen von Joachim Berger als Doge), der davon träumt, große Tragödie zu sein.
Dabei geht es ganz vielversprechend los: karnevalesk. Schließlich befinden wir uns in Venedig. Im Bühnenvorhang verfängt sich ein bunt kostümierter Kerl, gibt gekonnt den Clown, um dann, ein abrupter Bruch, zur Sache, zu sich, zu kommen: „Die ganze Welt war meine Bühne“. Der hier spricht, ist Jago. Genau: der Böse. Im „theatre of war“ hat er sich „in die erste Reihe gespielt“. Ein gewissenloser Soldat, Intrigant und Rassist, der jetzt sauer ist, weil ein anderer – Cassio (als aufrichtiger Lebemann: Moritz von Treuenfels) – den Posten bekommen hat, den er selbst wollte. Und das von einem Schwarzen. Er wird der Spielemacher sein, hält alle Fäden in der Hand. Sogar bei Billard lässt er gewinnen, wenn’s sein muss.
Jago macht seine Sache gut: Er erntet vom Publikum Applaus
Noch so ein Jago-Satz: „Ich habe mehr Muselmanen und Juden in die Unterbühne befördert, als dieses Städtchen Einwohner hat.“ Michael Meißner als geschmeidig-buddyhafter Jago sagt das direkt zum Publikum. Und er sagt es so, dass er dennoch mehrfach an diesem Abend Lacher und sogar Szenenapplaus abbekommen wird – das muss man erstmal schaffen. Insofern macht Michael Meißner seine Sache wirklich gut. Den ersten, ziemlich irritierenden Applaus fängt er sich ein, als sein Kumpel Roderigo (Jan Hallmann) sich vor unerwiderter Liebe für Othellos Frau Desdemona in einem Eimer ersäufen will. „Es liegt an uns, ob wir so sind – oder so!“, sagt Jago, als er Roderigos Kopf ins Wasser drückt. Er meint es nur gut natürlich.
Sind die Menschen einfach dumm?
Das arme, aber betuchte Würstchen Roderigo lässt sich von diesem kumpelhaften Jago bezirzen, ebenso Othello, dem Jago die Eifersucht einflüstert, und Cassio, dem er seinen Posten abjagt – und auch Desdemona, die auf Jagos Rat hört. Alle hören auf Jago, aber warum? Die Inszenierung verrät es nicht, und so fragen wir uns: Weil die Menschen einfach dumm sind, vielleicht? Mag ja sein, aber Tragödien sind eigentlich aus anderem Stoff – wer aus Dummheit stirbt, erntet selten Mitgefühl. Da hilft auch nicht die Enya-mäßige Musiksuppe, die über den Schluss geschüttet wird. Aber die Menschen hier sind ja auch, daran lässt der Text keinen Zweifel, Rassisten.
Desdemona (Laura Maria Hänsel) ist immerhin dumm genug, sich am Ende minutenlang, wie ein Baby auf den Knien ihres Othellos liegend, von diesem Mann besäuseln zu lassen, anstatt einfach das Weite zu suchen – obwohl Othello bereits erklärt hat, sie umbringen zu wollen. Das ist schwierig geschrieben, aber die Regie hat das offenbar nicht gestört. Desdemona, die – oha, Fingerzeig! – anfänglich noch Feuerrot trug, ist am Schluss als weißes Opferlamm gewandet und harrt einfach so der Dinge. Sie wird wie ein Kind von Othello in die Todesszene getragen, und auch wieder raus. Spätestens hier entpuppt sich dieser „Othello“ als gnadenlos aus unserer Zeit gefallen: Mann muss ja nicht jede Theatermode mitmachen, aber sich 2018 so wenig für die (hier einzig verbliebene) Frauenrolle des Stücks zu interessieren, ist einfach nur fahrlässig. Und letztlich, so bitter das ist: verzichtbar.
Ein Trostpflaster: Eins hat diese Inszenierung klug gelöst. Othello (Andreas Spaniol) ist hier kein Dunkelhäutiger, sondern, wie es einmal heißt, „das schlimmste von allem“: ein schwarzer Albino. Nicht einer, der anders aussieht also – sondern einer, den man sich anders denkt. Schade, dass diese kluge Ausgangssituation sich als Sackgasse herausstellt.
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"Othello" ist wieder am Mittwoch, 14.11., um 19.30 Uhr sowie am Sonntag, 2.12., um 15 Uhr und am Donnerstag, 27.12., um 19.30 Uhr im Großen Haus des Hans Otto Theaters zu sehen
Lena Schneider
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