Gewalt in der Weimarer Republik: Manchmal muss es Revolution sein
Wie Gräuelmärchen zu Gräueltaten führten: In seiner akribischen Studie „Am Anfang war Gewalt“ untersucht der irische Historiker Mark Jones die Allgegenwart von Gewalt am Beginn der Weimarer Republik.
Es ist – nicht zuletzt durch den Historikerstreit – vermintes Gelände, auf das sich der irische Historiker und Research Fellow an der Freien Universität Berlin, Mark Jones, mit seiner Dissertation „Am Anfang war Gewalt“ begibt. Sie handelt von der Gewalterfahrung bei der Entstehung und Konsolidierung der Weimarer Republik und ihren Spätfolgen im Nationalsozialismus. Dass die Welle der revolutionären Gewalt in Russland, die mit dem Ziel der Weltrevolution auch über Deutschland hereinbrach, mitursächlich für die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus war, wie Ernst Nolte postulierte, ist allerdings für die Mehrzahl seiner Historikerkollegen eine „revisionistische“ These. Mark Jones begibt sich in ihre Nähe, wenn er den Verlauf der deutschen Revolution von 1918/19 als das Umschlagen einer zunächst weitgehend unblutigen Revolution in ein eskalierendes Wechselspiel von leninistischem Putschismus und republikanischer „Gründungsgewalt“ darstellt, die beide gemeinsam den Keim zu den Gewaltexzessen des „Dritten Reichs“ gelegt hätten.
Jones beschreibt die Mechanismen der Gewalteskalation
Das ist, genau besehen, etwas anderes als die Unterstellung einer Kausalkette, zumal es Jones um den Mechanismus der Gewalteskalation und nicht etwa um den Kampf der Ideologien geht. Und tatsächlich schont er bei seiner gnadenlosen Gewaltrevue, deren blutige Details schon aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwunden waren, weder die Märtyrerlegenden des deutschen Kommunismus um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg noch das fatale Bündnis von Militär und Sozialdemokratie zum gemeinsamen Machterhalt unter der Ägide Gustav Noskes, der von sich sagte, einer müsse der „Bluthund“ sein. Doch es war auch Karl Liebknecht, der im Januar 1919 bei einer Kundgebung forderte, das Proletariat zu bewaffnen und „die Nationalversammlung mit Gewalt auseinanderzujagen“.
Selbst die sonst besonnenere Rosa Luxemburg zeigte sich schließlich „bereit, Auswüchse der Gewalt, die sie bis dahin kritisiert hatte, öffentlich gutzuheißen“, wie Jones schreibt. Da wurde in den Straßen Berlins bereits auf beiden Seiten mit Maschinengewehren gekämpft. Der Befehlshaber der Regierungssoldaten, Major von Stephani, und seine Leute wollten sogar glauben, bei einer „Frau am Maschinengewehr müsse es sich um Rosa Luxemburg gehandelt haben“.
Gleichzeitig kursierte in Berlin das Gerücht, Liebknecht und sein Spartakus-Bund verfügten über eine „Geheimarmee“ von 100 000 Mann, die zum Sturm auf Berlin bereitstünden. Dreitausend „Rote Matrosen“ seien – in Zeppelinen! – bereits im Anflug. Ihrerseits hatten die „Roten Matrosen“ von Kiel an eine „Offiziersverschwörung“ geglaubt, der sie bewaffnet zuvorkommen wollten. Sie hatten zwar ihre Schiffe, aber kein einziges Luftschiff in ihre Gewalt gebracht.
Vergessene Fälle hat er akribisch aufgearbeitet
Es waren solche Gerüchte und Gräuelmärchen, die seit den ersten Tagen der Revolution die Stimmung anheizten, bis es tatsächlich zu Gewaltexzessen und Gräueltaten auf beiden Seiten kam. Im öffentlichen Gedächtnis blieben – und werden bis heute meist ohne ihre Vorgeschichte und Wechselwirkung kolportiert – die Berliner Straßenkämpfe und die Ermordung Liebknechts und Luxemburgs sowie die Münchner Geiselmorde durch Räterevolutionäre und die – kein anderes Wort passt – Abschlachtung von 21 katholischen Gesellen, die das Regierungsmilitär fälschlich für „Rote“ hielt.
Jones, der diese und vergessene weitere Fälle akribisch und bis in die blutigen Details rekonstruiert, hat dabei noch manche Gräueltat übersehen, wie die bestialische Ermordung des pazifistischen Philosophen und Ministers der ersten Münchner Räterepublik, Gustav Landauer, durch Regierungstruppen. Bei seiner Amtseinführung hatte er die bisherigen Referenten und Mitarbeiter um Loyalität und Verständnis gebeten, dass „die Menschheit von Zeit zu Zeit einen Ruck braucht, revolutionär zu handeln“. Doch das bedeute „keine Gewalttätigkeit; nur die Gewalt des Geistes wird aus Hirn und Herzen in die Hand und aus den Händen in die Einrichtungen der Außenwelt hineingehen“. Das sonst akribisch annotierte Buch führt seinen Namen nicht einmal im Register auf, obwohl ihn Jones im laufenden Text erwähnt.
Er wirft der Sozialdemokratie vor, sich der Gewalt gebeugt zu haben
Das wäre nicht erwähnenswert, wenn Jones sich nicht selber schulmeisterliche Seitenhiebe auf Details seines Kollegen Heinrich August Winkler wie auch die Akteure der deutschen Novemberrevolution leisten würde: Der ermordete bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner sei ein „Bohemien“ gewesen und Reichspräsident Friedrich Ebert habe versäumt, „mehr Demokratie zu wagen“.
Sachlicher Kern seiner These ist der Vorwurf an die Sozialdemokratie, sie habe sich zwar in Bedrängnis, aber ohne wirkliche Not von den objektiv unterlegenen Spartakisten und Kommunisten zu militärischer Gegengewalt provozieren lassen und mit Noskes standrechtlichem „Schießbefehl“ gegen jeden bewaffneten Widerstand ein Tor zu neuer Gewalt und Gegengewalt aufgestoßen. Jones bezweifelt, dass es eines so massiven Einsatzes von Gewalt bedurfte, „um die dürftig bewaffneten und amateurhaft geführten Aufständischen zu bezwingen“.
Die weitgehend friedliche Machtübergabe blendet Jones aus
Andererseits räumt er ein, diese „Gründungsgewalt“ – einmal spricht er sogar von einem „Gründungsmassaker“ – der Weimarer Republik habe sie zu einem der stabilsten Regimes der europäischen Nachkriegsordnung gemacht. Das allerdings um den Preis einer Gewalteskalation, die 1933 auf sie zurückschlug, als ihre führenden Repräsentanten in Hitlers Konzentrationslagern landeten. Schon zuvor war Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre die Militanz der Straßenschlachten zwischen SA, Rotfront und staatlicher Ordnungs(ohn)macht zurückgekehrt. Geübte Marxisten könnten sogar meinen, dass Hitlers Inszenierung des sogenannten „Röhm-Putsches“ als Gründungsmassaker des Führerstaats die Wiederholung der Weimarer Tragödie als blutige Farce war.
Es ist kein Einwand gegen Jones, wenn sein Buch wegen seiner Gewaltbefunde in den Brennpunkten der Revolution die 1918 weitgehend friedliche Machtübergabe im Land ausblendet. Die Abschiedsworte des sächsischen Königs an sein Volk („Macht euern Dregg alleene“) sind zwar nicht bezeugt, aber mindestens so glaubhaft wie die schlagendsten Revolutionslegenden (auch der Rezensent kennt noch Zeugenberichte von der friedlichen Revolution in seiner Heimatstadt Meiningen). Gravierender ist der Einwand, dass Jones die Konsolidierung der Republik schon auf das Jahr 1919 mit der Weimarer Nationalversammlung datiert und damit die fortdauernden Gewaltexzesse von rechts und links ausblendet: von rechts die Morde an Erzberger und Rathenau, den Kapp-Putsch, die „Feme“- Morde der Freikorps und der Organisation „Consul“, von links die Aufstandsversuche der „März-Aktion“ 1921 und des „Deutschen Herbst“ der KPD unter Anleitung der Kommunistischen Internationale 1923. Etwa weil sie die „revisionistische“ These stützen könnten, die den Nationalsozialismus als Reaktion auf den Bolschewismus erklären möchte?
Gewalt bleibt ihr ständiger Begleiter
Jones weist das ausdrücklich zurück. Von der Gewalt der Revolutionskämpfe führe „keineswegs ein direkter und selbstverständlicher Weg zum Nationalsozialismus und in den Zweiten Weltkrieg“. Es mussten wohl noch der Vertrag von Versailles, die Weltwirtschaftskrise und ein stets virulenter Antisemitismus hinzukommen, um die bolschewistisch verschreckten Deutschen in die Arme Hitlers zu treiben.
Doch Gewalt blieb ihr ständiger Begleiter, bis sie auch noch mit Stalins Gewalt Bekanntschaft machen mussten, und zwar Deutsche aller Couleur, ob Kommunisten, Sozialdemokraten oder Nazis.
Mark Jones: Am Anfang war Gewalt. Die deutsche Revolution 1918/19 und der Beginn der Weimarer Republik. Propyläen Verlag, Berlin 2017. 432 S., 26 €.
Hannes Schwenger
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