Rainer Ehrt schreibt an Theodor Fontane: Lieber Fontane,
Den Kleinmachnower Künstler Rainer Ehrt bewegt die Frage, wie sich Theodor Fontane auf die Moderne in der Kunst einließ.
Lieber Fontane,
kürzlich war ich, hundertfünfzig Jahre nach Ihnen, zum ersten Mal in London: Freier Eintritt in die ehrwürdige Tate-Gallery. Sie will die Essenz britischen Künstlertums zeigen, und sie tut es in all der Gravität und Idealität, die upper class, Adel und reiches Bürgertum aufzubringen vermochten. Grüner polierter Marmor, Mosaike, prangender Stuck, glänzendes Messing, wo nicht überhaupt Vergoldung wuchert: Und darin die ganze malerische und bildhauerische Noblesse, Hand- und Kopffertigkeit, erschwitzt und ersessen in den Akademien; die Sonne Italiens, die Wolken über dem Vereinigten Königreich und die ewige Sehnsucht nach den klassischen Idealen; die trotzigen Aufbrüche und heiklen künstlerischen Balanceakte von fünf Jahrhunderten - eine erschöpfende, schwindeln machende Augenweide.
Das ironisch lächelnde Selbstporträt meines Kollegen William Hogarth nebst seinem Mops (die selbstbewusste Persiflage eines Herrscherbildes) geht mir noch nach: Hier bin ich, Maler und Grafiker, wahrhaft königlicher Beobachter eurer hündischen Umtriebe! Dieser Mann des bösen grafischen Blicks auf die Abgründe des Frühkapitalismus, dieser Maler doppelbödiger Gesellschaftssatiren fand selbstverständlich auch Platz im Olymp der britischen Hochkunst; neben Gainsborough, Reynolds, Turner, Hockney, Moore oder Bacon. Mit seinem Hündchen mustert er nun seit zweihundertfünfzig Jahren spöttisch das kunstbeflissene Publikum. Also einst auch Sie, Fontane, der Sie (im reputablen Gehrock) hier eigentlich als publizistischer Agent der preußischen Regierung unterwegs waren. Der politische Journalist Theodor F., damals eine mikroskopisch kleine Figur auf dem großen Schachbrett der europäischen Mächte – geschenkt, vergeben und vergessen; nicht aber der Kunstschriftsteller: „Wir wissen sehr wohl, daß es in den bildenden Künsten ebensosehr auf das ,Wie’ ankommt, wie auf das ,Was’ und wir wissen, im Einklang damit, den Wert des Machenkönnens (...) und einer brillanten Technik sehr wohl zu schätzen.“
Hier kommen der – alle Konventionen sprengende – Maler William Turner und die frühe englische Moderne der so genannten Präraffaeliten ins Spiel, welche Sie, lieber Fontane, um die Mitte des 19. Jahrhunderts erstmals in Deutschland bekannt machten. Und wie Sie da in Ihre Kunst-Betrachtung spezifisches Nationalgefühl, Dampfmaschinenepoche und viktorianischen Zeitgeist hineinweben, ist mit Gewinn auch für die Gegenwart zu lesen.
Zurück im preußischen Berlin folgte ein Jahrzehnt unter anderem als Ausstellungskritiker: Brotarbeit und zugleich sensible Detail-Untersuchung all der (zuallermeist vergessenen) akademischen Ölschinken voller deutschtümelndem Schlachtenlärm, religiöser Inbrunst oder spätromantischen Sonnenunter- und Mondaufgängen. Was Ihnen, dem Nicht-Akademiker, aber wichtig war, ist nun gerade nicht zu vergessen:
„In meinem Gemüthe steht es aber felsenfest, daß es in aller Kunst, wenn sie mehr sein will als Decoration, schließlich auf etwas Seelisches, zu Herzen Gehendes ankommt, und daß alles, was mich nicht erhebt oder erschüttert, oder erheitert, oder gedanklich beschäftigt (...) keinen Schuß Pulver werth ist.“
Ich schätze Ihren unbefangenen Blick, lieber Fontane – Ihre Kenntnis, Ihren poetischen Sinn und ihr assoziatives Querdenken und -schreiben von Renaissancemeistern zu Nazarenern, von den malerischen Eruptionen des Barock zum Naturalismus des Industriezeitalters, von den Altartafeln des Mittelalters zu den Symbolisten der beginnenden Moderne. Natürlich waren Sie ein Mann Ihrer Zeit: Als das Jahrhundert sich neigte und in den unerhörten flirrenden Farbkaskaden („Kleksereien“) der Impressionisten sich aufzulösen begann, neigte sich auch Ihr Verständnis und damit Ihre Zeit als Kritiker. Aber es waren noch ein halbes Dutzend Romane zu schreiben, und siehe: Überall sind dort wunderbare Bild-Beschreibungen eingeschmolzen, von realen, einst gesehenen oder von ganz eigenen, fontanesken Bildern. Bleibt der Freund Menzel, in dessen Atelier Sie ein- und ausgingen und dessen unermüdliche Augen- und Bildabenteuerlust Sie bewunderten: Sein epochales „Eisenwalzwerk“ sahen Sie auf der Staffelei entstehen.
Bleibt die Begegnung mit Max Liebermann, welcher Sie so unübertrefflich als skeptischen, helläugigen Greisen-Avantgardisten porträtierte. Denn ihre späten Romane und Liebermanns spätere Bilder haben einiges gemeinsam, wenn ich das bemerken darf: Das scheinbar Spielerisch-Alltägliche, Skizzenhafte, Plaudernde, eben Impressionistische daran war und bleibt deshalb so frisch und angenehm kühl und modern, weil es keine aufgesetzte Mache, kein handwerklicher Trick, sondern Resultat strenger Arbeit und vollkommen beherrschter Form ist. Hier war, mit Verlaub, Ihr Werk klüger als Sie selbst, aber ist das nicht allemal besser als das Gegenteil? Die Ambivalenz jeden Fortschritts, die tiefe Zweischneidigkeit jeder Moderne verstehen und sich gleichzeitig dazu zu bekennen – das kann man von Ihnen lernen, lieber Fontane. Und: Niemand schaut hinter den Horizont seiner Zeit, außer vielleicht mit Hilfe von Ironie, Offenheit, Wahrhaftigkeit. Jede Art von gewerbsmäßiger Kunst-Routine oder Schwulst war Ihnen (und wäre Ihnen wohl auch heute) suspekt, genauso wie hysterische (Selbst)-Inszenierung auf dem so genannten Kunst-Markt, mag sie sich noch so metropolenglitzernd aufputzen, marktkonform spreizen oder konzeptuell blähen. Aber Sie schätzten auch das ehrliche Risiko, ja sogar das Scheitern eines Künstler-Kollegen, denn darin zeigt sich die „Entschiedenheit, ja (...) die Rücksichtslosigkeit, mit der er sein künstlerisches Prinzip vertritt.“ Und Sie entdecken dies in allen Epochen, bei Mantegna oder Menzel, Raffael oder Rethel, Turner oder Blechen. Das Neue ist es, was Sie am Ende immer interessiert, und damit sind Sie immer wieder ganz am Anfang.
Noch einmal lächelt Hogarth uns maliziös über das glänzende Parkett hinweg zu, dann entschwinden Sie in Richtung der Turner-Säle. Ich aber mache mich themseabwärts auf zur Tate Modern: Einst Kohlekraftwerk, später ausgeweidete Kathedrale vergangenen Fortschritts, nun vorläufiges Gehäuse einer vorläufigen Moderne.
Mit vorzüglicher Hochachtung grüßt
Ihr Rainer Ehrt
Nächste Woche schreibt Klaus-Peter Möller, Archivar im Theodor-Fontane-Archiv, Autor von „Der wahre E: Ein Wörterbuch der DDR-Soldatensprache“ und Mitautor von „Ein möglichst intensives Leben: Die Tagebücher Lion Feuchtwangers“.
>>Alle Folgen der Serie „Briefe an Fontane“ anlässlich des 200. Geburtstages des Schriftstellers lesen Sie auf www.pnn.de/themen/fontane
Rainer Ehrt