Julia Schoch schreibt an Emilie Fontane: "Sie haben immer die richtigen Fragen gestellt"
Passend zum Frauentag schreibt die Potsdamer Schriftstellerin Julia Schoch in unserer Serie ausnahmsweise nicht an Theodor Fontane selbst, sondern an seine Frau.
Liebe, hochverehrte Frau Emilie Fontane,
jetzt ist es schon wieder passiert!
Ich bin nicht mehr imstande, das Werk eines großen Autors zu lesen, ohne mich zu fragen: Wer war um ihn herum und hat dafür gesorgt, dass sein Werk überhaupt entstehen konnte? Lese ich beispielsweise einen Roman von Thomas Mann, eines der geistigen Nachfahren Ihres Mannes, höre ich immerfort das Glöckchen, das Katja, seine Frau, bimmeln lässt, um den Hausherrn zum Abendessen zu rufen. Und auch ihr energisches „Psst, Papa arbeitet“, das sie pflichtbewusst den Kindern zuflüstert.
Auch Sie, verehrte Frau Fontane, haben Ihrem Gatten stets den Rücken freigehalten, wie es so schön heißt. Der Rücken ist die Körperpartie, die einem Gegner die Möglichkeit des überraschenden Angriffs bietet. Und Schriftsteller sind Wesen, die überaus anfällig sind für böse Angriffe aus dem Nichts. Das wussten Sie. Sie kannten sich aus mit Künstlern. Sie wussten, worauf Sie sich einließen, als Sie, gerade einundzwanzig geworden, spontan in die Verlobung mit dem fünf Jahre älteren, relativ mittellosen Apotheker-Soldat einwilligten.
Wussten Sie es wirklich?
Wenn ja, war es eine mutige Wahl. Schließlich hat er Sie fünf Jahre bis zur Hochzeit warten lassen. Fünf! Für eine Frau bedeutete dieser Schwebezustand damals keinerlei Vorteil. Sie waren gebunden, ohne etwas von dieser Verbindung zu haben. Kein Auskommen, keine Wohnung. In Ihrer prekären Lage blieb Ihnen nichts übrig, als herumzuziehen. Sie verbrachten die Zeit auf den Gutshöfen irgendwelcher Verwandten oder bei Freunden, zur Untermiete, als Haushaltshilfe oder Gästin auf dem Lande. Nur zu gern hätte ich das Buch zu dieser Art von Not-Wanderschaft durch die Mark Brandenburg und andere Gegenden gelesen.
Ihr Mann hatte zu tun. Oft woanders, und oft sahen Sie sich lange Monate nicht. Dabei wollten Sie sich immer zugehörig fühlen. Seelisch ließen Sie die Verbindung zu ihm nie abreißen. Dafür bewundere ich Sie. Als er als Presseagent der preußischen Regierung nach London geschickt wird, sind Sie es, die darauf drängen, mit dem kleinen Sohn nachkommen zu dürfen. Mit dem Englischlernen haben Sie schon vorher begonnen. Das war von Ihrer Herkunft nicht unbedingt vorgesehen. Was das wohl hieß, Mitte des 19. Jahrhunderts, einen Hausstand aufzulösen, einen neuen zu gründen, eine Reise mit kleinem Kind durch halb Europa, aufs Schiff …?
Ach, es war Liebe. Durchaus. Die Liebe zu einem grundsoliden, zumindest rhetorisch verbindlichen Mann. Schriftsteller haben eine zeit- und raumverschobene Empathie. Auch darüber waren Sie sich im Klaren. Sie leben mit Phantasiegestalten, sie leiden mit einer erfundenen Figur, während im Zimmer nebenan die echte Frau oder das Kind genau darunter leiden. Doch Sie wussten, dass es Ihrem Mann darum ging, ein Werk hervorzubringen. Um den eigenen Anspruch ging es ihm, nicht um Ruhm oder Geld. Das Geld, das ja immer knapp war. Ihr sorgfältig geführtes Haushaltsbuch! Jeden Tag konnten Sie darin lesen, wie es um Ihre kleine Familie stand. Da Sie selbst keinerlei Vermögen besaßen, war Ihnen das Sparen bekannt. Die Lage jahrzehntelang ausweglos, aber der Mann wirft seine Festanstellungen jedes Mal weg.
Trotzdem. Sie haben an ihn geglaubt, von Anfang an. Sie haben ihn unterstützt. Wie abgedroschen das klingt. Was haben Sie denn getan? Sie haben mit ihm über seine Stoffe gesprochen, haben für ihn recherchiert, seine Texte lektoriert, redigiert und kommentiert und oft verbessert, mit Verlegern, Freunden, Kollegen korrespondiert, Sie haben Tausende Seiten abgeschrieben, einmal vierhundert an einem Wochenende, weil das Buch schnell in Druck gehen musste (die nachfolgende Sehnenscheidenentzündung soll hier nicht unerwähnt bleiben). Und Sie haben immer die richtigen Fragen gestellt. Wieviel weiter gelangen doch zwei Menschen, wenn sie gemeinsam an einem Werk bauen. Nein, seine Co-Autorin waren Sie gewiss nicht. Auch Muse oder Kraftquell treffen es nicht. Ihren Anteil an diesem Werk herauszufiltern ist ebenso kompliziert wie wenn man ein Ei aus einem durchgerührten Kuchenteig extrahieren wollte. Verzeihen Sie mir diesen unschönen Vergleich. Der Neid lässt mir die Bilder verrutschen.
Ja, ich bin neidisch. Welcher Autor hätte Sie nicht gern an seiner Seite? Sie würden meinen Namen verbreiten, indem Sie überall über mich und mein Werk sprechen. (Selbst über meinen Tod hinaus.) Sie würden Hunderte Briefe verfassen, Bitt- und Organisationsbriefe, Dankes- und Empfehlungsschreiben. Sie würden mir über meine seelischen Krisen helfen, würden sich hochschwanger zu den Chefs irgendwelcher Institutionen schleppen, um eine Gehaltserhöhung für mich zu erwirken. Und bei all dem würden Sie sich kaum beschweren. Sie haben Kritik an Ihrem Mann, an Ihrer Ehe, nie kokett durchblicken lassen. Was gesagt werden musste, wurde gesagt. Wie selbstbewusst und klarsichtig Sie in Ihren Briefen an Ihren Mann klingen. Angstfrei, das ist wohl das richtige Wort. Dabei hätte es durchaus Anlass zu Angst gegeben. Aber Sie hatten keine. Vielleicht weil Sie schon in der Kindheit Ihren Bedarf daran gedeckt haben. Als Adoptivkind herumgestoßen, ständig in Furcht und Unsicherheit, immer auf der Suche nach einem Zuhause … Später die allzeit drohende Armut. Dazu kommen sieben (!) Geburten und drei Säuglinge, die Sie begraben haben. Angesichts all dessen erscheinen mir Ihre Erschöpfungszustände, das „löchrige Nervenkostüm“, die „depressive Disposition“, unter der Sie litten, nur allzu verständlich. Mich erfasst es heute schon bei weitaus weniger.
Ja, ich bewundere Sie. Sie sind nicht in Schweigen verfallen. Sie haben manchmal geweint. Aber wenn Sie in Ihren Briefen davon berichten, klingt es aufgeräumt. Außerdem war Ihrem Mann Gejammer zuwider. Ich frage mich, ob Sie auch geweint haben über die beiden Kinder in Dresden, die er gezeugt hat, und zwar nach ihrer Verlobung. Wenn ja, haben Sie nicht darüber gesprochen. Sie werden sich gesagt haben, was soll’s, schließlich ist er hier, und nicht dort. Was bleibt mir zu sagen als: Sie hatten Recht.
Apropos, grüßen Sie ihn bitte bei Gelegenheit von mir!
In freundschaftlicher Verehrung
J. S.
Es schreibt heute:
Schriftstellerin Julia Schoch. Am 30. März erscheint von ihr im Potsdamer Vacat-Verlag die bibliophile Kostbarkeit „Fontaneske – Einmal so schreiben, so reisen: als ginge es um nichts.“ Ihr letzter Roman erschien 2018 und hieß „Schöne Seelen und Komplizen“. In ihrem Brief bedenkt Julia Schoch die couragierte Frau an der Seite Fontanes.
Nächste Woche schreibt Altbischof Wolfgang Huber, den wir eigentlich schon für heute angekündigt hatten. Aufgrund des morgigen Frauentages lassen wir Julia Schoch und Emilie Fontane den Vortritt.
Alle Folgen der Serie „Briefe an Fontane“ anlässlich des 200. Geburtstages des Schriftstellers lesen Sie auf www.pnn.de/themen/fontane