"Reise nach Jerusalem" im Thalia-Kino Potsdam: In der ewigen Warteschlange
Lucia Chiarla stellte ihr Regiedebut „Reise nach Jerusalem“ im Potsdamer Thalia-Kino vor. In dem Film über den Druck der Leistungsgesellschaft verarbeitet sie auch ein Stück eigene Geschichte.
Potsdam - Reißfest, fettaufsaugend, verlässlich, stark. Solche und ähnliche Attribute schreibt Alice dem perfekten Küchenpapier zu. Motiviert lächelnd macht sie das, fast so, als würde ihr Leben davon abhängen. Und irgendwie tut es das auch. Denn die Protagonistin von Lucia Chiarlas Regiedebut „Reise nach Jerusalem“ bezieht Hartz IV, das vorne und hinten nicht reicht, kuriose Jobs bei der Marktforschung sollen da helfen.
Lucia Chiarla, die ihren Film am Freitag im Babelsberger Thalia-Kino vorstellte, kennt diese Jobs nur zu gut. Sie hat sie selbst immer wieder in Berlin übernommen, wie sie am Freitag erzählt. Hartz IV hat die aus Genua stammende Regisseurin zwar nicht erhalten, trotzdem erzählt „Reise nach Jerusalem“ auch ein bisschen ihre eigene Geschichte: „Dieses in der Warteschlange stehen kenne ich nur zu gut.“
Gefangen in der Leistungsgesellschaft
Denn genau dort befindet sich Filmprotagonistin Alice (Eva Löbau), eine 39-jährige studierte Redakteurin, die als Freelancerin arbeitet. Oder eher würde, wenn sie denn Kunden hätte. Täglich bewirbt sie sich für Festanstellungen, führt Bewerbungsgespräche über Skype, wird als überqualifiziert bezeichnet – und bleibt ohne Job. Dafür drückt ihr das Arbeitsamt ein Bewerbungsseminar auf und rät zur Umschulung. Ihren Freunden erzählt Alice davon nichts. Nicht einmal dann, wenn sie das Bier in der Bar nur noch mühsam bezahlen kann und den Tanzclub danach gar nicht mehr. Alice kapselt sich sozial immer mehr ab, funktioniert aber offiziell so, wie es die Leistungsgesellschaft verlangt.
Genau dieses Verhalten hat Lucia Chiarla in ihrem Umfeld oft beobachtet, wie sie im Thalia erzählt: „Es ist immer noch ein großes Tabu, über Hartz IV zu sprechen.“ Da das System in Italien nicht existiert, habe sie den Begriff zunächst für eine Krankheit gehalten, sagt sie lachend. Letztendlich habe sie das Thema dann nicht mehr losgelassen und sie begann, zu recherchieren.
Eine moderne Clowngeschichte
Bis zum fertigen Film war es ein langer Weg, niemand wollte den Stoff finanzieren. „Den einen war er zu komisch, den anderen zu traurig, jeder wollte irgendwas daran ändern“, erzählt die 48-Jährige. Am Ende sei es kaum mehr ihre Geschichte gewesen. „Aber ich bin sehr hartnäckig und lasse nicht schnell los“, sagt die Regisseurin. Schließlich sei der Film mit viel Eigeninitiative und wenig Geld entstanden. Die melancholische Mischung aus Komik und tiefer Traurigkeit ist dem Film somit erhalten geblieben, was ein großes Glück ist.
Ebenso wie Hauptdarstellern Eva Löbau, die Chiarla als modernen Clown durch den Film tanzen lässt. „Sie ist eine Figur, die sich selbst nicht kommentiert, die immer wieder aufsteht und sich auch oft wiederholt“, sagt die Regisseurin, die nach eigener Aussage sehr genaue Vorstellungen von der Rolle hatte. Ganz bewusst ist alles, was sie tut etwas überzogen und auf ein Unglück folgt immer gleich das nächste. „Sie ist eine poetische Clownsfigur mit einem Ziel, aber tausend Hindernissen“, sagt Chiarla.
Chiarla kommt vom Schauspiel
Die Regisseurin kommt selbst vom Schauspiel, spielte in Italien an Stadttheatern und schließlich eine Hauptrolle in „Bye Bye Berlusconi“ von Jan Henrik Stahlberg. Mit dem Film kam sie 2006 zur Berlinale und blieb danach in Berlin. Für „Reise nach Jerusalem“ schrieb sie dann nicht nur das Drehbuch, sondern musste auch ihre eigene Vision umsetzen, erzählt sie. An einem nächsten Filmprojekt arbeitet sie bereits, verraten möchte sie dazu allerdings noch nichts.
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„Reise nach Jerusalem“ ist im Thalia-Kino zu sehen.