Potsdamer Filmunistudent für Kurzfilmpreis nominiert: Immer auf Konfrontation
Hannes Schilling studiert Regie an der Filmuniversität Potsdam. Für seinen Film „Nach dem Fest“ ist er für den deutschen Kurzfilmpreis nominiert.
Potsdam - Konfrontation. Nicht unbedingt ein Wort mit positiver Konnotation. Weil etwas Aggressives darin steckt, etwas Unangenehmes und nicht selten ein Kampf. Hannes Schilling sucht sie trotzdem, diese Konfrontation – allerdings nicht kämpferisch. Vielmehr möchte er Menschen kennenlernen, die aus dem Blick der Gesellschaft gerutscht sind: Außenseiter, vermeintliche Verrückte, Verlorengegangene und ihnen auf Augenhöhe begegnen.
So wie Sandra und Andi, den Protagonisten seines Films „Nach dem Fest“, für den der Potsdamer Regiestudent für den Deutschen Kurzfilmpreis in der Kategorie „Spielfilme mit einer Laufzeit von mehr als 10 bis 30 Minuten“ nominiert ist. Er konkurriert dabei unter anderem mit Sophia Bösch, die ebenfalls an der Filmuniversität Potsdam studiert und deren Film „Rå“ in der gleichen Kategorie nominiert ist. Verliehen wird der Preis am morgigen Mittwoch im Potsdamer Waschhaus.
Zwischen Nähe und Distanz
Schillings „Nach dem Fest“ erzählt von zwei Obdachlosen, die versuchen, eine kalte Nacht so gut wie möglich zu überstehen. Andi (Andreas Retzlaff) und Sandra (Christa Ostolsky) kennen sich schon länger. Während er sich nach Nähe sehnt, möchte sie ihre persönlichen Grenzen bewahren und so kommt es zu einem spannungsgeladenen Kampf um Nähe und Distanz, der immer wieder zu eskalieren droht, es aber nie wirklich tut. In nur 15 Minuten baut Hannes Schilling dabei eine ungemein berührende Spannung auf, die einen anderen, sehr intimen Blick auf obdachlos lebende Menschen offenbart.
Um diesen zu bekommen, hat der 29-jährige Regisseur lange recherchiert, verschiedene Einrichtungen besucht, mit vielen Betroffenen gesprochen. „In den Gesprächen kristallisierte sich heraus, dass es unglaublich schwer ist, auf der Straße Vertrauen zu fassen“, erzählt der Wahlberliner, der ursprünglich aus Erfurt stammt. „Trotzdem ist aber ein großes Bedürfnis nach Nähe und Zärtlichkeit vorhanden.“ Diese Diskrepanz greift der Film sehr behutsam, sehr authentisch auf, was unter anderem auch die beiden Darsteller ermöglichen, welche tatsächlich auf der Straße leben.
Die Darsteller leben selbst auf der Straße
Schilling hat sie in einer Art Casting gefunden, zu dem er viele Menschen eingeladen hat, mit denen er im Vorhinein gesprochen hatte. „Es ist eben doch etwas anderes, wenn du die wirkliche Lebenserfahrung mitbringst“, begründet Schilling seine Darstellerauswahl. „Die beiden haben sich dabei herauskristallisiert.“ Sandra-Darstellerin Christa Ostolsky spielt laut Schilling auch im Berliner Obdachlosentheater „Ratten07“.
Ein sehr schönes Arbeiten sei es gewesen, Dialoge vorgegeben habe er als Regisseur nicht. Die Schauspieler hatten lediglich jeweils eine andere Aufgabe für ihre Figuren: Andi sollte Christa überzeugen, mit ihm zu gehen, Christa sollte versuchen alleine zu bleiben. „Das waren dann zwei entgegengesetzte Kräfte, in denen sie sich relativ frei entfalten konnten, das war mir wichtig.“
Schilling sucht die Begegnung auf Augenhöhe
Da ist sie also wieder: Die Begegnung auf Augenhöhe, die Schilling im Arbeiten sowie im Leben verfolgt. „Mir haben viele erzählt, dass es mit das Schlimmste auf der Straße ist, dass du nicht gesehen wirst“, erzählt er. Deswegen sei ein freundliches Wort, eine Geste der Aufmerksamkeit oft mehr wert als etwa eine Geldspende. Auf das Thema gebracht habe ihn eine Fotoserie des ukrainischen Fotografen Boris Mikhailov, die eine inszenierte Hochzeit zwischen zwei Obdachlosen zeigt – und die Momente nach dem Rausch, eben nach dem Fest.
Schilling ist selbst durch das Fotografieren zum Film gekommen. Mit 13 entdeckte er die analogen Kameras seines Vaters, das Interesse am Bild war geweckt, wie er erzählt. Mit 17 drehte er einen ersten Kurzfilm mit Freunden. „Der hatte allerdings noch keine wirkliche Story“, sagt er lachend. Schließlich bewarb er sich in Berlin für ein Studium der Audiovisuellen Medien, wurde genommen und zog mit 18 Jahren in die Hauptstadt. „Dort habe ich dann wirkliches Filmhandwerk gelernt.“
"Nach dem Fest" ist Schillings erster Spielfilm
Es entstanden Dokumentarfilme – „Nach dem Fest“ ist Schillings erster Spielfilm" – unter anderem auch in Jerusalem. Dort studierte Schilling im Rahmen eines Uni-Austausches ein halbes Jahr an der Kunsthochschule. Nach Potsdam bewarb er sich schließlich, weil er herausfinden wollte, ob er fiktionale oder Dokumentarfilme drehen möchte. „Ich bin noch immer zu keiner Erkenntnis gekommen“, gesteht Schilling lachend, der im Moment den Aufbau der Moschee in Erfurt mit all seinen Konflikten dokumentarisch begleitet. Letztendlich möchte er sich aber auch nicht festlegen, sondern die Form vom Stoff abhängig machen, wie er sagt.
Wichtig sei ihm dabei immer wieder die Konfrontation mit Menschen, die er normalerweise nicht kennenlernen würde, die er aber kennenlernen möchte. Etwa James, den Protagonisten seiner Doku „Mister James“, der in Jerusalem als Prediger im Stil Jesu' unterwegs ist und bei dem nicht ganz klar wird, ob er sich tatsächlich für einen heiligen Auserwählten hält oder einfach stark im Glauben ist. Schilling urteilt darüber nicht, er begleitet ihn einfach mit der Kamera: bei seinen Rundgängen, in Gesprächen mit Gläubigen, mit frechen Jugendlichen, in der Straßenbahn. Dabei erlaubt er auch den Zuschauern eine Begegnung, die nicht alltäglich ist. Eine Konfrontation im positiven Sinne, zu der man sich vielleicht öfter überwinden sollte.