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Kolumnistin und Schriftstellerin. Hengameh Yaghoobifarah wurde 1991 in Kiel geboren.
© Tarek Mohamed Mawad

Nach der Anti-Polizei-Kolumne: Hype um Hengameh Yaghoobifarahs erstes Buch

Hengameh Yaghoobifarah wurde mit einer Polemik gegen die Polizei bekannt. „Ministerium der Träume“ erzählt von zwei migrantischen Schwestern.

Die Polizei hat in diesem Debütroman von Hengameh Yaghoobifarah gleich zu Beginn ihren Auftritt. Es sind zwei Männer, „einer von ihnen mit beschlagener Brille, der andere mit vom Regen tropfenden Schnauzbart“.

Außer dass die Erzählerin sofort darüber nachdenkt, ihre Wohnung in Berlin-Neukölln mit Salbei auszuräuchern und nach Wanzen abzutasten, wenn die beiden wieder gegangen sind, ist es eine manierliche Begegnung.

Die Polizeibeamten sind gekommen, um Nasrin Behzadi eine traurige Nachricht zu überbringen: Ihre Schwester Nushin ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen, gut möglich, dass sie sich suizidiert hat. Oder ist an den Reifen ihres Autos manipuliert worden? War es weder ein Unglück noch ein Selbstmord, sondern gar Mord.

Erwähnenswert ist dieser Auftritt der Polizei nicht nur, weil er Yaghoobifarahs Roman „Ministerium der Träume“ wie einen Krimi in Gang bringt, sondern Hengameh Yaghoobifarah mit einer „taz“-Kolumne deutschlandweit berühmt wurde.

In dieser ging es nach der Ermordung von George Floyd und den weltweiten Black-Lives-Matter-Protesten satirisch um die Zukunft der Polizei nach ihrer Abschaffung ging. „All Cops are berufsunfähig“ war der Text überschrieben.

Sie wurde durch eine "taz"-Kolumne berühmt

Er endete damit, dass Yaghoobifarah die Polizist:innen auf die Mülldeponie delegierte, „wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten“.

Danach war die Aufregung groß, in den Medien, in der Politik. Bundesinnenminister Horst Seehofer wollte tatsächlich Strafanzeige wegen Volksverhetzung und Beleidigung stellen, wie er in der „Bild“ ankündigte.

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Das unterließ er dann, und seitdem ist Yaghoobifarah, geboren 1991 in Kiel, eine Berühmtheit, auch mit all den schlimmen Begleiterscheinungen: Morddrohungen, Polizeischutz bei Auftritten.

Oder man denke an das Aufsehen, als Yaghoobifarah sich vom KaDeWe als Model verpflichten ließ und auf Plakaten in einem Marni-Ledermantel und mit Ankle-Boots an den Füßen posierte.

Pop- und Agitprop-Oberflächen

Kein so großes Wunder also, dass Yaghoobifarahs Roman einer der am schnellsten, überall groß besprochenen, mit Porträts flankierten dieses jungen Bücherfrühlings ist. Man muss von einem Hype sprechen, von Pop- und Agitprop-Oberflächen, auf denen die Rezeption stattfindet. Aber es gibt auch in solchen Zusammenhängen Erwartungen, dass sich darunter literarische Substanz findet.

Schon mal gut ist, dass Yaghoobifarah eine fiktive Transferleistung unternommen hat. Die Ich-Erzählerin dieses Romans ist nur schwer als Alter Ego zu identifizieren, wie so oft bei Debüts. Sie ist nur in Grundzügen, die „Reizfigur“, als die zum Beispiel das „SZ“-Magazin Yaghoobifarah vor Kurzem in einer großen Geschichte bezeichnet hat; eine Reizfigur, „die in ihren Kolumnen regelmäßig über weiße Deutsche, den Kapitalismus und die Polizei herzieht“.

Nasrin Behzadi, die nur Nas genannt wird, was lustigerweise an den gleichnamigen Rapper erinnert, wirkt eher wie eine Ritterin von der traurigen, manchmal zärtlich-zweifelnden Gestalt: Mitte vierzig, Türsteherin in Queer-Bar, eine „migrantische Lesbe“, wie sie sich nennt, die ein Single-Dasein führt und im Notfall in der Bar „Reste shoppen“ geht.

Die engste, wichtigste Beziehung, gesteht sie am Ende, hatte sie immer zu ihrer ein paar Jahre jüngeren, 1976 wie sie in Teheran geborenen Schwester Nushin. Doch die ist nun tot und hinterlässt eine 14 Jahre alte Tochter, Parvin, und die gemeinsame, in Lübeck lebende Mutter.

Nasrin wird Parvins Vormund, zieht in die Wohnung ihrer Schwester und muss sich nicht nur mit ihrer Trauer, auseinandersetzen, sondern auch mit der Erziehung eines pubertierenden Teenagers, wozu zum Beispiel Elternabende in der Schule gehören.

Die erste Hälfte ist ziemlich turbulent

Es geht turbulent zu, gerade in der ersten Romanhälfte. Auf zwei zeitlichen Ebenen angelegt erzählt Yaghoobifarah in Rückblenden, wie es Nasrin und Nushin seit ihrer Übersiedlung mit der Mutter 1981 aus dem Iran gegangen ist – bis hin zu einer Szene, die plakativ verdeutlicht, dass sich das sogenannte deutsche Fußball-WM-Sommermärchen auch anders interpretieren lässt, erst recht, wenn man migrantischer Herkunft ist: nämlich unter Einbeziehung rechter Gewalt und der NSU-Morde als „German Horrorstory“.

Yaghoobifarah schreibt seit Jahren regelmäßig Kolumnen, was man dem Roman anmerkt. Er steckt voller Pop- und Szene-Zitate, voller Anspielungen und Anglizismen, setzt oft auf Pointen und Effekte: „Siri, wie sieht linksradikale Pädagogik jenseits der Deutschness aus?“, fragt Nasrin, als sie Parvin nach einem Ladendiebstahl abholen muss.

[Hengameh Yaghoobifarah: Ministerium der Träume. Roman. Blumenbar Verlag, Berlin 2021. 381 Seiten, 22 €.]

Oder, nachdem sie auf einem Elternabend war: „Dieselbe Annika, die hinter jedem random Schwarzen Typen in Kreuzberg einen Drogendealer vermutet, erkennt in Tyler, the creator plötzlich ihren Seelenverwandten.“ Annikas, das sind vornehmlich weiße, bieder-bürgerliche Mittelschichtsfrauen, die sich als „cool mums“ gerieren, muss man wissen, auch in Abgrenzung zu den Brigittes, „die nicht einmal den Anspruch auf Cooles“ erheben.

Sprachlich eher schlicht

Es macht Spaß, solche Beschreibungen zu lesen, die jeweiligen Milieus und die deutschen Abgründe leuchtet Yaghoobifarah schön aus, nicht zuletzt die der Lübecker Provinz, der die Schwestern nach Berlin entfliehen und vor deren Hintergrund man den rechten Terror seit der Wende erst recht gewahr wird.

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Doch verdeckt der allgegenwärtige Szene-Sprech nur unzureichend, dass „Ministerium der Träume“ sprachlich eher schlicht ist, von einem funkelnden literarischen Stil kann keine Rede sein. Was die vielen, mutwillig originellen, oft wackligen Sprachbilder zusätzlich verdeutlichen, angefangen bei der „zu Asphalt geschmolzenen Kohle“ über „Meine Sicherheit bricht unter mir wie eine klapprige Brücke zusammen“ oder „das dunkle Loch, aus dem ein Brüllen hinausquoll“ bis hin zu „Bilder schießen mir ins Gesicht. Nicht wie Ohrfeigen, sondern wie ein Lastwagen, der mit 250 km/h auf mich zubrettert“.

Die Geschichte enthält kriminalistische Züge

Das wirkt sich störend auf den Lesefluss aus. Denn „Ministerium der Träume“ ist tatsächlich keine bloß auf Romanlänge gestreckte Kolumne, sondern eine durchaus temporeich erzählte, kriminalistische Züge enthaltende Geschichte. Diese versetzt Nasrin mehr und mehr in die eigene Vergangenheit zurück und konfrontiert sie mit den unterschiedlichen Lebensmodellen ihres alten Freundeskreises.

Ihr Blick darauf ist nie eindeutig, verurteilend, Erfolg und Scheitern lassen sich nicht so leicht bestimmen, genauso wie Traum und Trauma sich manchmal nur in einem lächerlichen Vokal unterscheiden.

Also dem Hype glauben? Isoliert schwierig. Leichter wird es, wenn man Yaghoobifarahs Roman mit den Büchern beispielsweise einer Asal Dardan, eines Alem Grabovac oder einer Sharon Dodua Otoo in Zusammenhang bringt; mit den vielen anderen Geschichten, die eine andere Perspektive auf das Leben in diesem Land einnehmen und der deutschsprachigen Literatur einen neuen Reichtum bescheren.

Gerrit Bartels

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