zum Hauptinhalt
Deutschland im Blick. Sharon Dodua Otoo liest am 21. März um 20 Uhr im Maschinenhaus der Berliner Kulturbrauerei. Bei der Buchmesse in Leipzig stellt sie am 23. März ihre beiden Novellen vor. Außerdem ist sie bei Podumsgesprächen zu erleben.
© Mike Wolff

Bachmann-Preisträgerin Sharon Dodua Otoo: Farben und Freiheiten

Sharon Dodua Otoos Literatur lebt vom Wandeln zwischen zwei Welten. Letztes Jahr hat sie den Bachmann-Preis gewonnen. Jetzt ist ihre Debütnovelle erschienen. Eine Begegnung.

Die Geschichte mit dem Ei hat sich für Sharon Dodua Otoo als Glücksfall erwiesen. Wobei nicht abschließend geklärt ist, was zuerst da war: das Frühstücksei, das sich entgegen seiner Bestimmung weigert, hart zu werden. Oder der Pensionär Gröttrup, der über das weiche Ei, das ihm seine Ehefrau morgens serviert, den Glauben an die Welt verliert. Ei und Pensionär sind die Protagonisten der Kurzgeschichte „Herr Gröttrup setzt sich hin“, für die Sharon Dodua Otoo im vergangenen Jahr in Klagenfurt mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde.

Herr Gröttrup allerdings ist, obwohl die Grammatik des Titels dies nahelegt, nicht Subjekt der Geschichte. Diese Rolle kommt dem philosophierenden Ei zu, das sich zum auktorialen Erzähler erhebt, um mit spöttischem Unterton die Dynamik des Ehepaars Gröttrup zu kommentieren. Die Szene einer Ehe, einer deutschen dazu, als Substrat also einer welthaltigen Erzählung, komprimiert auf elf Seiten.

Auch die Klagenfurt-Jury wusste anfangs nicht, was sie von dem pointierten, wendungsreichen Text halten sollte – von „cool“ über „surreal“ bis zum ästhetischen Generalverdacht „postmodern“ reichten die Meinungen. Aus der produktiven Irritation formierte sich schließlich der Konsens, diesem Solitär unter den Nominierten den Hauptpreis zu verleihen. Doch nicht nur „Herr Gröttrup setzt sich hin“ verfügt über ein Alleinstellungsmerkmal, auch die Autorin ist in der deutschen Literaturszene momentan eine Ausnahme. Sharon Dodua Otoo ist Afro-Britin.

Sie wirft aus der Außenseiterposition einen differenzierten Blick auf Deutschland

Die in London geborene Tochter ghanaischer Eltern lebt seit 2006 in Berlin. Als Jugendliche schrieb sie vor allem Gedichte und „sehr selbstbezogene Geschichten“, wie sie es formuliert. Erst in Deutschland, wo sie als person of color anders wahrgenommen wird – und aus ihrer Außenseiterposition heraus auch einen differenzierteren Blick auf die Gesellschaft zurückwerfen kann –, hat sie sich als Autorin neu erfunden. 2012 veröffentlichte sie im Verlag Edition Assemblage – zunächst auf Englisch – ihre erste Novelle „The things I am thinking while smiling politely …“, die gerade zusammen mit ihrer zweiten Novelle „Synchronicity“ im Fischer Verlag auf Deutsch wiederveröffentlicht wurde. Beides mit scharfer Ironie durchzogene Alltagsbeobachtungen einer afrobritischen Mutter in Berlin, die Sharon Dodua Otoo bitte nicht autobiografisch verstanden wissen möchte.

Das Treffen mit der Autorin findet in einem dieser neumodischen Cafés statt, das sich in einem dieser typischen Waschbeton-Neubauten befindet, die überall in Berlin gleich aussehen. Otoo lebt mit ihren Kindern um die Ecke, auch sie ist Teil dieses neuen Berlins, das sich viel auf seine kreative Flexibilität und seinen behaupteten Weltgeist einbildet. Ausgrenzung spürt sie dennoch, nur kommt diese eher in der Sprache als in einer Haltung zum Ausdruck. Otoo spricht fließend Deutsch mit einem feinen englischen Einschlag, aber es gibt einen Begriff, für den sie aus Ermangelung besserer Worte immer wieder auf die englische Form zurückgreift. Person of color. Macht man den kulturellen Entwicklungsstand einer Gesellschaft an ihrer Alltagssprache fest, gäbe es in Berlin, der gefühlten Avantgarde Deutschlands, Nachholbedarf.

Ihre Geschichten handeln davon, was Privilegien mit Menschen anstellen

Der Ausdruck bezieht sich, anders als die deutschen Worte „Farbige“ oder „Schwarze“, nicht allein auf die Hautfarbe eines Menschen, er meint auch dessen Identität und Kultur – und grenzt sich damit von allem ab, was im Alltag automatisch als „weiß“ konnotiert ist. Diese Selbstverständlichkeit aufzubrechen und sichtbar zu machen, war der Grund, warum Otoo vor zwei Jahren „Herr Gröttrup setzt sich hin“ schrieb.

„Der Text war ursprünglich eine Auftragsarbeit“, erzählt sie über ihr geschlossenes Laptop gebeugt. „Ich sollte einen Text über das Weiß-Sein schreiben und schlug eine belletristische Form vor. So entstand ,Herr Gröttrup’. Im Grunde geht es darin um Privilegien und was diese mit Menschen anstellen. Davon handeln alle meine Geschichten. Auch die Hauptfigur in ,Die Dinge, die ich denke, während ich höflich lächle ...’ erlebt rassistische Diskriminierungen, gleichzeitig befindet sie sich in einer Position, in der sie andere diskriminieren kann. Wir können gleichzeitig Opfer und Täter sein.“

Und Ausgrenzung beginnt bereits mit der Sprache. Weil Otoo sich die deutsche Sprache erst aneignen musste, ist sie für solche unbewussten Mechanismen besonders sensibilisiert. Und sie markiert diese in ihren Texten als Habitus, als Ausdruck von Privilegien und Macht. „Es gibt Menschen“, meint sie einmal, „die behaupten, sie sehen keine Hautfarben. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, wie das möglich ist.“

„Wir brauchen noch mehr Geschichten über Selbstbestimmung“

Das Besondere an Otoos Stil ist, wie beiläufig und selbstironisch ihre Beobachtungen kultureller Differenzen in die Geschichten einfließen. In „Die Dinge, die ich denke“ erinnert sich die Ich-Erzählerin daran, wie exotisch und sexy sie es fand, dass ihr neuer Freund mit Nachnamen Peters hieß. Bis sie erstmals von Carl Peters hörte, dem Gründer der deutschen Kolonien in Ostafrika. Wenn man so will, liegt in dieser Erkenntnis bereits der Keim für die Trennungsgeschichte, die „Die Dinge, die ich denke“ mit böser Lakonie erzählt.

Im Nachwort schreibt Otoo, wie eine deutsche Bekannte anmerkte, sie hoffe, dass die Figuren nicht auf ihre Hautfarbe reduziert werden. Worauf Otoo sich zu Recht fragt, wie oft sich Annette von Droste-Hülshoff solche Sätze wohl anhören musste. Sie versteht sich nicht in erster Linie als schwarze Autorin. Am liebsten möchte sie ganz ohne diese Kategorien leben. „Meine Hautfarbe ist nur eine Facette meiner Persönlichkeit. Sie spielt erst in einer Gesellschaft voller Ressentiments eine Rolle.“ Afrofuturismus nennt sie diese Weltsicht, in Anlehnung an den radikalen Space Jazz von Sun Ra. „Ich will einen optimistischen Blick in die Zukunft anbieten. Aber wir brauchen noch mehr Geschichten über Selbstbestimmung.“

Daran arbeitet Otoo mit der von Edition Assemblage herausgegebenen Reihe „Witnessed“, in der schwarze in Deutschland lebende Autorinnen veröffentlichen. Sie möchte auf diese Tradition und einflussreiche Vorbilder wie May Ayim aufmerksam machen. Für Otoo hat sich nach Klagenfurt einiges verändert. Sie schreibt jetzt zum Beispiel auf Deutsch, obwohl sie manchmal nicht sagen könne, in welcher Sprache sie gerade redet. Das ist einer der Nachteile, wenn man zwischen zwei Kulturen lebt. Doch dank dieses Wissens um die Widersprüche der Diaspora ist die deutsche Literatur heute um eine eigenwillige Stimme reicher.

Sharon Dodua Otoo: Die Dinge, die ich denke, während ich höflich lächle ... /Synchronicity. Zwei Novellen. Fischer Verlag, Frankfurt, 2017. 248 Seiten, 9,99 €.

Andreas Busche

Zur Startseite