Das Musical "Cabaret" in Potsdam: Erschreckend aktuell
Das Hans Otto Theater bringt mit “Cabaret“ nicht nur ein unterhaltsames Musical, sondern auch ein beängstigend politisch aktuelles Stück auf die Bühne.
Potsdam - Resigniert streift der Conférencier seine schwarzen Pumps von den Füßen und pfeffert sie auf den Boden. Zwar sitzt das Glitzer-Make-Up noch, die Maske der Fröhlichkeit aber ist längst zerbrochen. Wie alte Farbe blättert sie dem Cabaretfrontmann vom Gesicht, enthüllt eine bittere, tief schmerzende Verzweiflung.
Philipp Mauritz kostet diesen Moment aus, wie er all seine Momente am Freitagabend bei der Premiere von „Cabaret“ im Hans Otto Theater auskostet: mit saftigem Gefühl und viel Spielfreude. Wenn er diesen Moment der Traurigkeit erreicht, neigt sich das Stück bereits dem Ende zu. Einsteigen darf er mit dem sehr viel fröhlicherem Song „Willkommen, Bienvenue, Welcome“, der spätestens seit der Verfilmung aus dem Jahr 1972 mit Liza Minnelli ein Klassiker ist. Auf der Bühne existiert das Musical, das ursprünglich auf zwei autobiografischen Romanen von Christopher Isherwood basiert, bereits seit 1966 – und ist dieser Tage wieder erschreckend aktuell.
Erzählt wird die Geschichte des amerikanischen Schriftstellers Clifford Bradshaw, der am Silvesterabend 1929 nach Berlin kommt und dort im Kit-Kat-Klub die Cabaretsängerin Sally Bowles kennenlernt. Die beiden beginnen eine Beziehung und wohnen gemeinsam in der Pension von Fräulein Schneider, die eine zarte Romanze mit dem jüdischen Obstverkäufer Herr Schultz verbindet. Als Sally schwanger wird, möchte sie sich trotzdem nicht vom Cabaret lösen. Während sie weiter von einer glitzernden Karriere träumt, fürchtet Bradshaw sich zunehmend vor den aufsteigenden Nationalsozialisten und der sich immer weiter zuspitzenden Juden- und Fremdenfeindlichkeit. Er möchte mit Sally nach Amerika zurückkehren, doch sie zweifelt. Denn was hat schließlich die Politik mit ihrem Leben zu tun? Und geht das nicht alles vorbei?
Es sind Sätze wie diese und nicht zuletzt auch der Song „Der morgige Tag ist mein“, die einen hart schlucken lassen. Weil sie eben nicht weit weg sind von der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation – und weil Rassismus und Nationalismus auch heute wieder beängstigend stark sind. Ein Stück wie „Cabaret“ in diesen Tagen auf die Bühne zu bringen, ist aus diesen Gründen wichtiger als es zunächst den Anschein hat. Auch deswegen, weil es die Diskrepanz zwischen Spaßgesellschaft und politischer Brisanz so schonungslos zeigt. Genau diese Diskrepanz versteht die Inszenierung unter der Regie von Bernd Mottl klug herauszuarbeiten und beweist damit einmal mehr, dass Stadttheater sich durchaus mit Musicalproduktionen der großen Häuser messen können.
Besonders schön sind hier Bühne und Kostüm von Friedrich Eggert: Während der Kit-Kat-Club in einem leuchtenden Rot mit opulentem Vorhang erstrahlt, sind die Kulissen der Welt außerhalb des Cabarets in Grau gehalten. Wie triste Skizzen wirken die Garderobe von Sally Bowles oder auch die Pension von Fräulein Schneider. Später symbolisiert ein bedrohlich rot-schwarzer Hintergrund den Aufstieg der Nationalsozialisten – die doppelte Nutzung der Farbe Rot als fließender Übergang von Unbeschwertheit und Bedrohung. Auch die Kostüme dürfen in Cabaret mit Federn, Fransen und viel Glitzer trumpfen, während etwa Fräulein Schneider ganz alltäglich gekleidet ist. Sally hingegen trägt auch außerhalb des Cabarets glitzernde Highheels – der schöne Schein wird gewahrt.
Maria-Danaé Bansen spielt diesen schönen Schein mit einer zarten Zerbrechlichkeit und selbstzerstörerischer Energie. Ihre Songs schmettert und tanzt sie allesamt stimmgewaltig und mit viel Emotion, vor allem ihr finales „Cabaret“ ist dabei herzzerreißend in seiner fröhlich-traurigen Art. Überhaupt ist der Cast durchgehend stark. Neben den vier eingeladenen, energiegeladenen Tänzern Kiara Brunken, Cindy Walther, Christopher Wernecke und Daniel Wernecke, profitiert das Theater von seinem eigenen starken Schauspielensemble, das im Gegensatz zu manchem namenhaften Musicaldarsteller in großen Produktionen auch die gesprochenen Passagen überzeugend spielt.
Arne Lenk, dessen Clifford Bradshaw erfrischend unproblematisch bisexuell ist, gibt seine Figur sympathisch gewitzt und aufrichtig. Da verzeiht man dem Stück sogar, dass der Amerikaner als einziger die schwierige Situation in Deutschland zu durchschauen scheint. Kristin Muthwill als Fräulein Schneider überzeugt sowohl im Spiel als auch im Gesang und ihre Beziehung mit dem ebenfalls starken Andreas Spaniol als Herr Schultz ist mehr als herzerwärmend. Besonders ihr gemeinsamer Song „Nichts wäre mir so lieb“ ist ganz bezaubernd, ihre scheiternde Liebe tief traurig. Henning Strübbe spielt den Nationalsozialisten Ernst Ludwig vielschichtig und mit genau der richtigen Portion gefährlichen Charmes.
Philipp Mauritz‘ Conférencier schließlich leitet als clowneske Figur durch diese Produktion. Bereits in der Vergangenheit hat er etwa als Freddi in „My Fair Lady“ sein Musicaltalent am Potsdamer Theater unter Beweis gestellt und auch hier schöpft er gekonnt aus den Vollen: Songs wie „Welcome“ oder „Säht ihr sie mit meinen Augen“ singt er herrlich überdreht, die Lust am Spiel ist ihm anzumerken. Umso mehr schmerzt sein schließlich schuhloses „I Don’t care much“, bei dem nicht mal mehr seine Figur die fröhliche Cabaretfassade aufrechterhalten kann, weil die Realität ihn einholt.
>>Nächste Vorstellungen am 26. Oktober und 3. November jeweils um 19.30 Uhr.