zum Hauptinhalt
Anni von Gottberg mit ihren Enkeln, das Foto stammt von 1956. An sie erinnert unter anderem eine Gedenktafel in der Weinbergstraße. 
© F.: privat/ J. Frick

Rezension | Potsdamer Briefe aus der NS-Zeit: Gegen das Regime: Mutige Frauen zum Hören

Eine CD gibt Einblicke, wie die Gründerinnen der Bekennenden Kirche in Potsdam die NS-Zeit erlebten. In gelesenen Briefen kommen sie zu Wort. 

Potsdam - „Ich kann den Mund nicht halten“ schreibt Anni von Gottberg in einem Brief am 15. August 1935. Energisch wendet sie sich gegen die nationalsozialistische Vereinnahmung der evangelischen Kirche. Mit Gleichgesinnten gründet sie damals in ihrer Wohnung in der Weinbergstraße 35 die Bekennende Kirche in Potsdam.

„Ich kann den Mund nicht halten“ heißt auch die CD, die unlängst auf Anregung des Potsdamer Stadtkirchenpfarrers und Pfarrers der Friedenskirchengemeinde, Simon Kuntze, erschienen ist. Gemeinsam mit der Ethnologin und Soziologin Jeanette Toussaint und Simon Kuntze entstand eine Aufnahme, die Briefe von Frauen der Bekennenden Kirche vereint.

Amtseinführung des Pfarrers ohne Öffentlichkeit

Ihr Engagement war nötig. In mehreren Potsdamer Kirchen waren Pfarrer der NS-freundlichen Glaubensbewegung Deutsche Christen zugange, von 1939 bis 1945 amtierte in der Friedenskirche Sanssouci sogar deren Gründer Joachim Hossenfelder. Er und seine Anhänger begrüßten schon 1932 den Nationalsozialismus und Hitler als „gottgesandte kirchenfreundliche Alternative zum gottlosen Bolschewismus“. Das Alte Testament wurde von ihnen in Frage gestellt und alles Jüdische sollte ihrer Ansicht nach aus der Kirche getilgt werden.

[Abonnieren Sie kostenlos den neuen PNN-Newsletter "Potsdam Heute": Hier geht es zur Anmeldung.] 

Weite Teile des Protestantismus erkannten zunächst noch nicht den brutalen und diktatorischen Charakter des Nationalsozialismus. Doch nach wenigen Monaten begann die Einsicht in evangelischen Kreisen zu wachsen, dass die kirchlichen Hoffnungen unter den politischen Voraussetzungen des NS-Staates sich nicht erfüllen würde, ja, dass die Wahrheit der christlichen Botschaft zunichte gemacht werde. Es entstand die Oppositionsbewegung „Bekennende Kirche“. Es muss für die Potsdamerin Anni von Gottberg sehr schmerzlich gewesen sein, dass gerade in ihrer Friedenkirchengemeinde Hossenfelder der Pfarrer war. Gegen seine Amtseinführung protestierte ein Teil der Gemeinde. So führte man sie ohne Öffentlichkeit durch.

Die Gedenktafel für Anni von Gottberg.
Die Gedenktafel für Anni von Gottberg.
© F.: privat/ J. Frick

Schlaglichter auf Frauen, die Widerstand leisteten

Für die Lesung der Briefe zu dieser Zeit konnten die Journalistin und Moderatorin Britta Steffenhagen sowie der Schauspieler Florian Lukas, der sich bei Film und Fernsehen einen Namen gemacht hat, gewonnen werden. Die Sprecherin gestaltete ihren Part der verschiedenen Frauen mit feiner Farbigkeit, bei der auch die ehrlichen Emotionen von Abscheu, Besorgtheit und Aufgewühltsein der Briefschreiberinnen durchscheinen – jedoch kommen sie nie aufgebläht daher, sondern immer kontrolliert. Florian Lukas liest dagegen die Briefe der Adressaten sachlich, manchmal vielleicht mit zu großer Eile, ohne dass man daraus einen Sinn erkennen könnte.

Jeanette Toussaint, die sich seit längerem mit der Bekennenden Kirche in Potsdam und besonders mit Anni von Gottberg beschäftigt, sowie Simon Kuntze haben eine Auswahl von bewegenden Brief-Dokumenten getroffen, die Schlaglichter auf die Zeit richten, in der vor allem Frauen gegen die nationalsozialistische Gleichschaltung Widerstand leisteten. In den Schreiben von Anni von Gottberg, Maimi von Mirbach, Elisabeth Schmitz, Bertha Fritz und Agnes von Zahn-Harnack wird die große Sorge dieser Frauen um die Abkehr vieler Christen von der christlichen Botschaft sehr deutlich.

Mit Mut und Wortgewalt

Auch unentschlossene Männer in der Kirche mussten die Frauen erleben, jedoch auch solche, die mit Mut und Wortgewalt sich gegen das Regime der Nationalsozialisten und gegen die Judenverfolgung auflehnten. Beispielsweise der Theologe Helmut Gollwitzer, der Pfarrer in Berlin-Dahlem war. Die CD lässt den Hörer in Auszügen an seiner Bußtagspredigt am 16. November 1938, wenige Tage nach der Reichspogromnacht, teilnehmen: „Draußen wartet unser Nächster, notleidend, schutzlos, ehrlos, hungernd, gejagt, und umgetrieben von der Angst um seine nackte Existenz, er wartet darauf, ob heute die christliche Gemeinde wirklich einen Bußtag begangen hat.“ 

>>Die CD „Ich kann den Mund nicht halten! – Briefe engagierter Frauen der Bekennenden Kirche 1933 bis 1941“, herausgegeben vom Stadtkirchenpfarramt Potsdam, ist zum Beispiel erhältlich in der Buchhandlung „Das Internationale Buch" und im Literaturladen Wist, beide in der Brandenburger Straße, für 10 Euro.

Zur Startseite