Potsdams neues Museum am Brauhausberg: Ein erster Blick in "Das Minsk"
Mit Mattheuer und Douglas eröffnet in einem Jahr Hasso Plattners zweites Museum in Potsdam. Gründungsdirektorin Paola Malavassi stellt das im Bau befindliche ehemalige DDR-Terrassenrestaurant vor.
Potsdam - Maschinen dröhnen, Metall quietscht, Staub liegt in der Luft. Das Minsk auf dem Potsdamer Brauhausberg ist hinter Gerüsten und Planen kaum zu erahnen. Eine Großbaustelle. Paola Malavassi trägt weißen Bauhelm, Jeans und schwarze Schnürstiefel, halboffen. Das Gebäude, das sie durchschreitet, ist nur ein Jahr älter als sie: 1978 wurde Malavassi in Costa Rica geboren, 1977 in Potsdam das einstige DDR-Terrassenrestaurant Minsk fertiggestellt. In gut zwölf Monaten soll Malavassi als Gründungsdirektorin das neueste Kunstmuseum der Hasso Plattner Foundation eröffnen.
„Das Minsk“ wird das Museum heißen, ein Motto steht in großen Lettern schwarz auf weiß und auf Englisch am Bauzaun: „Keep it, switch it, work it“ (Behalte es, tausche es, bearbeite es). Was im Minsk ab Frühjahr 2022 geschehen und gesehen werden soll, stellt Malavassi jetzt erstmals vor.
Die zwei offenen Säulenhallen – eine im Erdgeschoss in der einstigen Küche, eine im Obergeschoss im früheren Gastraum – mit zusammen 900 Quadratmetern Fläche werden zur Eröffnung Schauplatz zweier Ausstellungen sein. Anders als im Barberini sind es im Minsk nicht die Impressionisten, sondern Kunstwerke aus der ehemaligen DDR, die in völlig neuen Zusammenhängen und im Austausch mit zeitgenössischer Kunst gezeigt werden sollen.
Dialoge zwischen Kunst und Geschichte
Zum Auftakt wird das Minsk Landschafts- und Gartendarstellungen des 2004 verstorbenen Malers Wolfgang Mattheuer, die Hasso Plattner im Laufe der Jahre erworben hat, und Fotografien des kanadischen Medienkunst-Stars Stan Douglas von Potsdamer Schrebergärten aus den 1990er-Jahren präsentieren. „Es werden zwei separate Ausstellungen sein, die miteinander reden“, sagt Malavassi.
Das passt natürlich perfekt zur Selbstdefinition des neuen Museums. „Das Minsk ermöglicht Dialoge zwischen Kunst und Geschichte“, heißt es da. Und weiter: „Das Minsk schaut nach vorne, zurück und zur Seite“. Es solle ein „Ort für Begegnungen“ sein.
Dafür werden, eine herrliche Nachricht für Potsdam, das Minsk-Foyer, das Café im Obergeschoss und die Terrasse mit Blick zur Innenstadt dauerhaft unabhängig vom Ausstellungsbesuch geöffnet sein. „Ja, man kann einfach kommen und hier einen Kaffee trinken, sich verabreden. Das Minsk soll ein Treffpunkt über die Kunst hinaus sein“, sagt Malavassi. Sie steht dabei mitten im Foyer, das freilich derzeit noch aus grauem Beton besteht. Die meisten alten Wände stehen nicht mehr, sie waren marode und voll Asbest.
Parkplatz vor dem blu verschwindet
„Wir sind noch nicht fertig, nichts ist perfekt. Wir haben noch kein Logo, und die Fenster fehlen auch noch“, sagt die Gründungsdirektorin. Manches allerdings lässt sich trotzdem erahnen: Wie einnehmend dieses Foyer mit seiner großen Glasfront zur Ausstellung, aber auch zur Stadt hin sein wird, das die Besucher über den Haupteingang erreichen – von den neuen Minsk-Terrassen mit Wiesen und Brunnen kommend, gestaltet in Anlehnung an das Minsk-Ensemble der DDR-Zeit. Die Terrassen bauen Hasso Plattners Stiftung, die Stadt und ihre Stadtwerke gemeinsam, mit ihnen wird der Parkplatz vor dem Schwimmbad blu, der derzeit dem Brauhausberg auch noch die letzte Würde nimmt, zum Glück verschwinden.
Im Foyer werden manche Besucher die charakteristische Wendeltreppe der früheren Gaststätte Minsk wiedererkennen. Die neue Treppe sei eine „liebevolle Rekonstruktion“, wie Malavassi sagt. Das Original sei kaum zu retten gewesen – und Geländerhöhe und Stufenmaße hätten nicht den heutigen Vorgaben entsprochen. Wer die Treppe nach oben läuft, erreicht das Café mit Plätzen innen und auf der Terrasse und einer Bar, die der einstigen, leger geschwungenen im Minsk nachempfunden ist. Wie früher sollen im neuen Museum auch immer wieder Konzerte, Lesungen und Performances stattfinden, sagt Malavassi.
Das Minsk wurde jahrzehntelang vernachlässigt
Der Blick aus dem Bau der DDR-Moderne auf Potsdam allerdings, das wird schnell klar, ist längst nicht so magisch wie einst. Er offenbart geradezu brutal die Bausünden der jüngsten Vergangenheit: Das massive Betonband, mit dem das „Potsdam-Center“, heute Bahnhofspassagen, den Brauhausberg von der Innenstadt trennt, und das Schwimmbad blu, ein deplatzierter Klotz am Berg. Wie wunderbar wäre es jetzt, wenn die alte Schwimmhalle noch stünde, sanft erweitert und saniert.
Immerhin, das Minsk, von Potsdams SPD-Oberbürgermeistern jahrzehntelang wohl mit dem Kalkül des absoluten Verfalls – Ziel: Abriss – sträflich vernachlässigt, wird im Ensemble mit den Terrassen und den nebenan geplanten Wohnhäusern bald ein städtebauliches Gegengewicht bilden. 2019 hatte Hasso Plattner entschieden, das Minsk zu erwerben und als Museum zu erhalten; zuvor hatten Potsdamer:innen gegen den drohenden Verlust protestiert.
Kein Wunder, dass nun das Interesse am künftigen Museum in der Stadt groß ist, wie Stefanie Plattner feststellt. Sie ist eine der beiden Töchter des Software-Unternehmers und in der Plattner Foundation für das Minsk verantwortlich. Der Bau nach Entwurf des Architekten Karl-Heinz Birkholz sei ein „erinnerungsträchtiger Ort“, der bald zum „Ort vieler neuer Erlebnisse für die Potsdamer:innen“ werde, lässt sie sich zitieren.
Zeitzeugen gesucht
Via ab Donnerstag freigeschalteter Website und einem digitalen „Minsk Funk“ will das Museum ab sofort Kontakt aufnehmen mit den künftigen Besucher:innen, in den Dialog treten. Dabei geht es nicht nur um Zukunft, sondern auch um die Vergangenheit. „Wir suchen Zeitzeugen, die ihre Geschichten aus dem alten Minsk mit uns teilen wollen“, sagt Direktorin Malavassi.
Alles sei willkommen: „Ob Fotos oder Filmmaterial, alte Einladungen, Handzettel oder eben auch ganz persönliche Anekdoten, die sich im Minsk zugetragen haben – an all diesen Momenten sind wir interessiert“, so Stefanie Plattner. Das Minsk wolle die Erinnerungen „für die Zukunft nachhaltig archivieren, sie lebendig halten und weiter erzählen“. Auch die vier Studierenden der Fachhochschule Julius Deckelmann, Charlotte Verleih, Judith Wildhagen und Ivana Wirtz, die während der Proteste gegen den Abriss im Podcast "Mein Minsk" Zeitzeugen zu Wort kommen ließen, sollen mitwirken, so Malavassi.
Erinnerungen ermöglichen – als Hasso Plattner sich zur Rettung des Minsk entschied, nannte er dies als ein wichtiges Motiv. „Dieser Ort verbindet sich für viele Potsdamer mit glücklichen Erinnerungen“, sagte er in einem PNN-Interview im März vor zwei Jahren. Und angesichts des Verfalls des Bauwerks in städtischer Hand: „Es gehört sich nicht, auf diesen Erinnerungen herumzutrampeln, wie es jetzt getan wurde. Auf Schloss Sanssouci traut sich ja auch keiner, herumzutrampeln – warum also auf dem Minsk?“
Plattner: „Notwendig, die Lebensleistungen wertzuschätzen“
Ohnehin sei der Westen „sehr roh mit den Ostdeutschen umgegangen“, hatte er seinerzeit kritisiert. Die Menschen in der ehemaligen DDR hätten „ganz normal gelebt und waren stolz auf ihre Leistungen“. Dass sie zweimal fast alle industriellen Werte – durch Breschnew und dann durch die Wiedervereinigung – verloren hätten, sei „eine Tragödie“, sagte Plattner damals. Deshalb sei es „so notwendig, die Lebensleistungen wertzuschätzen und nicht auf den guten Erinnerungen herumzutrampeln“.
Was das Minsk für die Potsdamer:innen bedeutet und wie es sich im neuen Minsk anfühlt, hat ein Künstler bereits erkundet. Zur künstlerischen Intervention auf der Baustelle hat Direktorin Malavassi den Rumänen Dan Perjovschi eingeladen. Er zeichnet und schreibt bereits seit Anfang der 1990er-Jahre auf Wände, charakterisiert und kritisiert so seine Umgebung. Im Minsk hat er, berichtet Malavassi, eine Woche lang gearbeitet. Manche Bauarbeiter hätten ihn gegrüßt, mit ihm gesprochen, seiner Arbeit Beachtung geschenkt, andere nicht.
„For No One and Everyone“ heißt die Intervention, die bald schon hinter Trockenbauwänden und Beton verschwinden wird. „Die Zeichnungen werden vom Gebäude absorbiert“, sagt Malavassi. Perjovschis Kunst „schreibe schon ein Jahr vor der Eröffnung unser Programm in die Wände des Minsk ein“. Die Skizzen und Worte seien humorvoll und kritisch, sie deckten Widersprüche auf und stellten unbequeme Fragen, so Malavassi. „Sans Souci“ ist an der rohen Betonwand zu lesen, das „Sans“ dick durchgestrichen. Nur das Wort History, untereinander und jeweils ein Stück versetzt. Und es sind zwölf Bauhelme zu sehen, je drei nebeneinander. Darunter stehen jeweils verschiedene Berufsbezeichnungen: Artist (Künstler), Worker (Arbeiter), Engineer (Ingenieur). Und der Kommentar: The hard hat Equality (Die Gleichheit der Bauhelme).
Das Minsk, hatte Hasso Plattner formuliert, solle ein Ort der Kunst sein, an dem man experimentieren kann. Das erste Experiment ist erfolgt. Und scheint gelungen.
Die ersten Ausstellungen im Museum „Das Minsk“ stehen bereits fest:
- Eröffnungsausstellungen aus der Sammlung Hasso Plattner im Frühjahr 2022: Landschafts- und Gartendarstellungen von Wolfgang Mattheuer sowie eine fotografische Serie Potsdamer Schrebergärten, die der kanadische Fotograf und Filmemacher Stand Douglas Anfang der 1990er-Jahre fertigte
- Im Sommer 2022 werden ortsspezifische Arbeiten des Künstlers Olaf Nicolai aus Halle/Saale gezeigt, die dieser in Reaktion auf die Schau Mattheuer/Douglas für das Minsk entwickelt
- Im Herbst 2022 zeigt das Minsk aus Anlass des 90. Geburtstags der Künstlerin Ruth Wolf-Rehfeldt eine umfangreiche Retrospektive. Wolf-Rehfeldt gilt als Pionierin der „Mail Art“ in der DDR
- Im Frühjahr 2023 soll eine Ausstellung die legendäre Konzerttour des Jazzmusikers Louis Armstrong durch die ehemalige DDR im Jahr 1965 thematisieren. Dabei sollen vor Ort auch Konzerte stattfinden
Zeitzeugen, die Erinnerungen beitragen wollen, melden sich per E-Mail an zeiten@dasminsk.de oder per Post an Das Minsk, c/o Museum Barberini, Friedrich-Ebert-Straße 115, 14467 Potsdam.