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Er kämpfte mit Worten gegen Hitler: Konrad Heiden.
© Maurizio Gambarini/dpa

Widerstand im Dritten Reich: Ein Denkmal für Hitlers Feind

Gegen das Vergessen: Stefan Aust würdigt in seinem neuen Buch den Kampf des Journalisten Konrad Heiden.

Die letzte Ruhestätte – unauffällig bis unscheinbar. Das Grabmal? Nur ein grober, recht kleiner Felsstein. Dazu passt der Name des Toten. Denn den allermeisten Besuchern des Friedhofs im amerikanischen East Orleans nahe Cape Cod dürfte er nichts sagen. Doch da gibt es eben auch diese merkwürdige Inschrift, vier Zeilen Großbuchstaben:

KONRAD HEIDEN

WRITER

FOE OF NAZIS

1901–1966

Foe of Nazis, Feind der Nazis. Nichts beschreibt die Lebensaufgabe des Schriftstellers und Journalisten wohl besser als diese drei Worte. Konrad Heiden war Adolf Hitlers erklärter Gegner. Und das schon zu einer Zeit, als der gescheiterte Kunstmaler aus Braunau nur einem winzigen Zirkel Gleichgesinnter bekannt war. Als der spätere Diktator und Massenmörder sich noch als mittelloser und armselig wirkender Schreihals betätigte. Als der Aufstieg des „Führers“ zur Macht so abwegig erschien wie ein Zusammenbruch des Deutschen Reiches.

Doch Heiden erkannte von Anfang an die Gefährlichkeit der braunen „Bewegung“ und bekämpfte sie mit seinen Mitteln: einem messerscharfen Verstand, einer außergewöhnlichen Beobachtungsgabe und ebenso deutlichen wie prägnanten Worten. Dafür handelte er sich den Hass der Nazis ein. Heiden wurde zu einem Verfolgten, verlor Job und Heimat, musste während des „Dritten Reiches“ um sein Leben bangen. Was ihn nicht davon abhielt, weiter analytisch brillante Artikel und Bücher zu schreiben, die ihn aus Sicht der Machthaber zum Staatsfeind Nummer eins machten. Die Nazis jedenfalls schäumten vor Wut.

Nur: Wer kennt heute noch diesen Konrad Heiden? Wer erinnert sich an den Hitler-Gegner der ersten Stunde? Weiß, dass er so präzise wie kaum ein anderer die Grundlagen des NS-Regimes beschrieben hat? Bestenfalls Experten für die Geschichte des Nationalsozialismus. Doch das wird sich hoffentlich ändern. Denn Stefan Aust ist es mit seiner jetzt erschienenen Biografie vortrefflich gelungen, Heiden dem Vergessen zu entreißen und ihm den gebührenden Platz in der Geschichte des Widerstands zuzuweisen – als einen faszinierenden, hellsichtigen und im besten Sinne des Wortes aufklärenden Nazi-Kritiker.

Er sah früh, was andere nicht sahen, nicht sehen wollten

Zumal einem, der sich als Berichterstatter ohne Sendungsbewusstsein verstand. Nicht seine persönliche Meinung zählte, sondern das, was er zu erzählen hatte. So schrieb Heiden, der Sozialdemokrat mit jüdischer Abstammung, in seinem Wiedergutmachungsantrag Anfang der sechziger Jahre: „Ich habe dem privaten Tort, den die Nazis mir persönlich angetan haben, bisher selten Beachtung geschenkt. Mir genügte das Bewusstsein, es ihnen in Wort, Schrift und Tat nach Kräften vergolten zu haben, obwohl persönliche Vergeltung als Motiv dabei keine Rolle spielte.“

Was Heidens Schilderungen bis heute so authentisch und anschaulich macht, war die Nähe zu den Protagonisten. Aust fasst das präzise zusammen: „Er kannte die Nationalsozialisten fast alle aus den frühen Tagen der Bewegung in München, vielleicht zu gut. Er war tatsächlich ein alter Bekannter des ,Führers‘ Adolf Hitler, sein kritischer, oftmals spöttischer Begleiter und Beobachter seit Jahrzehnten, ein Chronist des Aufstiegs zur Macht, ein intimer Kenner der Ränkespiele, der Freundschaften und Feindschaften, der Rivalitäten und Intrigen innerhalb der ,Nationalsozialistischen Arbeiterpartei‘ NSDAP.“ Und dabei ging es ihm nicht zuletzt um die besondere historische Situation, die die folgende Katastrophe einschließlich Holocaust und Weltkrieg ermöglichte. Er sah bereits sehr frühzeitig, was andere nicht sahen, womöglich nicht sehen wollten. Auch das zeichnet einen guten Reporter aus.

Um das alles deutlich werden zu lassen und Heidens besonderer Leistung gerecht zu werden, nutzt Aust geschickt die Form des Doppelporträts: Er zeichnet parallel das Leben Hitlers und das seines erklärten Gegners nach. Das gibt dem Buch den Charakter eines über weite Strecken spannend zu lesenden Zeitzeugenberichts. Das gilt in erster Linie für die Frühzeit, also die zwanziger Jahre. Schon damals stand für Heiden fest, womit er es zu tun hatte. In seinem Ende 1932 veröffentlichten Buch „Geschichte des Nationalsozialismus“ las sich das so: „Marsch ohne Ziel, Taumel ohne Rausch, Glauben ohne Gott und selbst in seinem Blutdurst ohne Genuss.“

Hitler, ein Redner mit Charisma

Heiden wusste, worüber er derart pointiert urteilte. Schon als Student und später als Mitarbeiter der renommierten „Frankfurter Zeitung“ war Adolf Hitlers verhängnisvolle politische Karriere und der zeitgleiche Aufstieg der Nazis sein Thema. Heiden, 1901 in München geboren, folgte dem böhmischen Gefreiten gewissermaßen auf Schritt und Tritt, beobachtete ihn bei frühen Parteiveranstaltungen und im Bierzelt ebenso wie bei dessen Auftritten im Gerichtssaal oder in Privatwohnungen. Zugute kam Heiden außerdem, dass er offenbar Informanten aus dem unmittelbaren Umfeld des „Führers“ hatte. Was bei der Antwort auf die wichtige Frage half, wie das System Hitler überhaupt funktionierte.

Bei seinen Recherchen erkannte Heiden denn auch frühzeitig, was heute leicht in Vergessenheit gerät: Hitlers Charisma und seine rhetorischen Fähigkeiten. „Er ist auf den Höhepunkten seiner Rede ein von sich selbst Verführter, und mag er lautere Wahrheit oder die dickste Lüge sagen, so ist jedenfalls das, was er gerade sagt, in dem betreffenden Augenblick so vollständig der Ausdruck seines Wesens, seiner Stimmung und seiner Überzeugung von der tiefen Notwendigkeit seines ganzen Tuns, dass selbst von der Lüge noch ein Fluidum von Echtheit auf den Besucher überströmt.“

Doch ein Redner braucht Zuhörer, die sich ob des Gesagten begeistern, um Bedeutung zu erlangen. Und Hitler fand sie. Eine Beziehung, die Heiden spitzzüngig, gleichwohl trefflich analysierte: Das Vorgetragene sei alles Unsinn, alles gelogen. „Und zwar so dumm gelogen, und überhaupt alles so lächerlich, dass jeder das doch sofort einsehen müsse. Stattdessen saßen die Zuhörer wie gebannt, und manchem stand die Seligkeit auf dem Gesicht geschrieben, die mit dem Inhalt der Rede schon gar nichts mehr zu tun hatte, sondern das tiefe Wohlbehagen einer durch und durch umgewühlten und geschüttelten Seele widerspiegelte.“

"Dann durch Knopfdruck das Gas auslösen"

Geradezu unheimlich wirkt in diesem Kontext Heidens Analyse der Judenverfolgung, die sich nach der Machtübernahme der Nazis von Tag zu Tag radikalisierte. Und er war sich über die wahren Absichten Hitlers und seiner willfährigen Handlanger bereits frühzeitig im Klaren. „Ein Massenmord wird gewünscht; ein Massaker, wie es die Geschichte trotz Mithridates und Tamerlan vermutlich noch nie sah. Unter welchen technischen Formen diese Massenhinrichtungen sich vollziehen werden, können wir nur vermuten.“ Heiden hatte allerdings eine begründete Vermutung, die sich auf schreckliche Art und Weise bewahrheiten sollte. „Von den hohen Führern des Regimes wird heute gerne die Wendung ,auf den Knopf drücken‘ gebraucht.“ Unter der Maske der eventuellen Scherzhaftigkeit werde erläuternd gesagt: „Alle Juden wird man in einem großen Raum versammeln und dann durch Knopfdruck das Gas auslösen.“

Dieses Schicksal bleibt Konrad Heiden erspart. Schon 1933 muss er aus Deutschland fliehen. Die Gestapo und andere Schergen des Regimes sind ihm auf den Fersen, wollen ihn unter allen Umständen mundtot machen. Frei arbeiten konnte er ohnehin nicht mehr. Über das Saarland geht es nach Frankreich, Portugal und schließlich in die USA. Dort findet Heiden eine neue Heimat. Und die Möglichkeit, weiter mit seinen publizistischen Waffen gegen Hitler zu kämpfen. Einige seiner Bücher, zum Beispiel die Biografie „Adolf Hitler. Das Zeitalter der Verantwortungslosigkeit“, werden zu Bestsellern.

Am Ende ein kranker, einsamer Mann

Ruhm und Wohlstand waren allerdings nicht von Dauer. Heiden konnte weder mit Geld umgehen noch war er ein einfacher Mensch. Auch das bleibt in Austs Buch nicht unerwähnt. Gleiches gilt für Heidens Parkinsonerkrankung, die ihm in den letzten Lebensjahren das Schreiben fast unmöglich machte. Er starb am 18. Juli 1966 verarmt und vereinsamt. „Das Echo in der Heimat, für deren Freiheit er sein Leben lang gekämpft hatte, war kaum vernehmbar“, schreibt Aust. Das war ein Ansporn für den früheren Chef des „Spiegels“ und heutigen Herausgebers von „Welt/N24“, Heiden Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Dafür hat Aust Archive abgeklappert, Akten gewälzt und Zeitzeugen befragt. Die Mühe hat sich gelohnt. Sein Buch ist ein würdiges Denkmal für Hitlers ersten Feind.

– Stefan Aust: Hitlers erster Feind. Der Kampf des Konrad Heiden. Rowohlt Verlag, Reinbek 2016. 384 Seiten, 22,95 Euro.

Christian Böhme

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