Potsdams Buchhändler in der Coronazeit: "Die Sympathie der Kunden ist umwerfend"
Sie erhalten Buchbestellungen auf allen Wegen, sogar Corona-Abos nehmen die Kunden wahr. Doch können Potsdams Buchhandlungen trotz der Schließungen weiter überleben? Ein Stimmungsbild.
Potsdam - Sie radeln durch den Kiez, an das andere Ende der Stadt oder liefern mit dem Auto aus: Potsdams Buchhändler versorgen Lesende derzeit mit Büchern aller Art, die Läden selbst müssen wegen der Coronakrise geschlossen bleiben. Das ist nicht immer leicht und fordert einen ganz anderen Umgang mit den Kunden, eine neue Organisation der Beratung. Das Positive: Die Bestellungen reißen nicht ab, das Interesse an Lesestoff ist beständig vorhanden. So bestätigen es sowohl Andrea Schneider vom Viktoriagarten, Carsten Wist vom Literaturladen Wist und Stefan Bellin vom Internationalen Buch.
"Es läuft super", sagt Andrea Schneider vom Viktoriagarten in Potsdam West. "Wirtschaftlich müssen wir uns derzeit keine Sorgen machen, es ist eher zu viel Arbeit als zu wenig." Vor allem die Kommunikation dauere jetzt sehr viel länger, jede Mail möchte beantwortet werden, nebenbei klingele oft das Telefon. "Alle Wege werden genutzt, das ist toll." Die meisten Kunden wüssten bereits über die Bestellbedingungen Bescheid, der Infozettel an der Tür würde sehr häufig fotografiert, erzählt Schneider. Per Telefon (0331 96786450) können die Kunden bestellen, im Shop auf der Website, per Mail an kontakt@viktoriagarten-potsdam.de, ja sogar per WhatsApp an 0176 99138178. Die ganzen Kanäle müssen erstmal bedient werden, deswegen werden sie täglich auch nur bis 16.30 Uhr durchgesehen.
Ein Kampf gegen Windmühlen
"Wir müssen irgendwann abschalten können, am nächsten Morgen geht es ja gleich ab 8 Uhr weiter", sagt Schneider. Es sei eine surreale Situation, auch weil niemand wisse, wie lange sie noch andauert. "Es fühlt sich an, wie ein Kampf gegen Windmühlen, aber wir sind kampfgeistig genug, diesen Kampf zu führen." Neunzig Prozent der Bestellungen, die im Viktoriagarten eingehen, kommen übrigens direkt aus Potsdam-West. "Der Zuspruch ist ist sehr groß, das ist sehr schön und überwältigend."
"Die Sympathie der Kunden ist umwerfend", sagt auch Carsten Wist. "Wenn ich daran denke, bekomme ich regelrecht Gänsehaut." Die Leute ließen sich viel einfallen, um seinen Literaturladen in der Brandenburger Straße zu unterstützen, sogar ein Corona-Abo habe eine Kundin abgeschlossen. Sie bekommt jetzt laut Wist jede Woche ein Buch zugeliefert, dass die Buchhändler selbst auswählen. Lutz Seilers "Stern 111" war schon dabei, Ingo Schulzes "Die rechtschaffenen Mörder" auch. "Sie sagt selbst, dass sie das alles gar nicht schaffen wird, aber sie möchte auf dem Laufenden bleiben", erzählt Wist. Andere Kunden hätten das Abo inzwischen auch schon bestellt.
Die finanzielle Frage steht im Raum
Diese unterstützende Treue freut den Buchhändler hörbar, die Chance zu haben, den Potsdamern weiterhin die Möglichkeit zu geben, Literatur zu konsumieren, ebenfalls. Trotzdem kein Kunde mehr den Literaturladen betreten darf, knipst Carsten Wist dort täglich das Licht an, sortiert den Zeitungsständer und bearbeitet dann die eingegangenen Onlinebestellungen, wie er erzählt. Kunden können einerseits über den Wist'schen Onlineshop auf der Website bestellen, lieber sei es dem Buchhändler aber, wenn sie Bestellungen per Telefon (Tel.: 0331 280 04 52) oder per Mail an info@wist-derliteraturladen.de aufgeben. Dann seien die Bücher auch schneller bei den Kunden. Auf der Website ist außerdem ein Formular zu finden, worüber Interessierte Fragen zu Büchern stellen können.
Die finanzielle Frage stelle sich trotzdem, ewig könne es nicht so weitergehen. Warum Feinkostläden in Potsdam wieder öffnen dürfen, Buchläden aber nicht, erschließe sich ihm nicht. In Berlin dürften sie schließlich geöffnet bleiben. Und auch psychisch bewegt Wist einiges. Sein Literaturladen wird dieses Jahr 30 Jahre alt, eine solche Situation habe er noch nie erlebt. "Als ich am ersten Tag der Schließung runter in den Laden kam, war es wie auf einer Beerdigung", sagt er und zitiert dann den Fußballer Dragoslav Stepanović: "Aber 'Lebbe geht weider', dank der Solidarität." Die Ohnmacht und auch die Wut, die er ob der jetzigen Situation empfinde "muss ja irgendwie kanalisiert werden". Den Kopf in den Sand stecken, geht nicht. "Ich versuche gerade einen buddhistischen Weg zu finden, die Krise auch als Chance zu sehen", sagt Wist und lacht. Es werde sich zeigen, ob Ostern dann wirklich ein Fest der Auferstehung wird, die Hoffnung sei auf jeden Fall da.
Zusammenhalt ist jetzt besonders wichtig
Zuversichtlich ist auch Stefan Bellin vom Internationalen Buch in der Friedrich-Ebert-Straße: "Uns geht es den Umständen entsprechend gut", sagt er. "Wir sind absolut begeistert davon, wie sehr unsere Potsdamer uns unterstützen." Auch wenn das Internationale Buch schon immer viele Bestellungen per Telefon (0331 291496), Mail (internationales.buch@t-online.de) oder über die Website entgegen genommen hat, sei es derzeit doch eine andere Art des Büchereinkaufens. "Das Stöbern im Buchladen fällt vollkommen weg", sagt er. Immerhin können die Kunden hier noch die Bücher vor Ort abholen, im "Apothekenprinzip" werden sie in Tüten aus der Tür gereicht. Geliefert werde ebenfalls.
So gut das auch funktioniere: Länger als zwei bis drei Monate werde dieses Prinzip wirtschaftlich wahrscheinlich nicht tragbar sein, sagt Bellin. Ähnlich wie Carsten Wist, finde er es misslich, dass die Buchläden in Berlin geöffnet bleiben, in Potsdam aber geschlossen werden mussten. Der Zusammenhalt sei jetzt besonders wichtig, dass alle gesund bleiben auch. "Wir merken, dass es diesen gesellschaftlichen Ruck gibt. Der Kontakt mit den Kunden ist unglaublich intensiv, wahrscheinlich auch, weil alle in einer ähnlichen Situation sind." Wenn alle weiterhin beieinander stünden, würde sich das Leben bald wieder normalisieren, so hoffe Bellin zumindest.