Coronakrise: Potsdams Einzelhändler fürchten um ihre Existenz
Angesichts der verordneten Schließung der meisten Geschäfte stellt sich für viele Händler bald die Existenzfrage. Doch die Not schweißt auch zusammen.
Potsdam - Sorgen und Existenzängste, aber auch Optimismus und Solidarität: Potsdams Einzelhändler bereiten sich in unterschiedlicher Weise auf den Kampf ums wirtschaftliche Überleben vor. Vor allem bei jenen Branchen, die keine Lebensmittel oder Medizinprodukte verkaufen und die daher ihre Läden wegen der Coronakrise ab dem heutigen Mittwoch schließen müssen, herrscht Alarmstimmung.
„Das ist ein Gefühl, als würde man zu seiner eigenen Beerdigung gehen“, sagt der Potsdamer Buchhändler Carsten Wist den PNN. Trotz Corona drängen sich am Dienstagvormittag in seinem kleinen Laden die Kunden, sprechen ihm Mut zu, mancher macht einen Scherz. Nach der Schließung des Geschäftes will Wist die Kunden auch zu Hause beliefern. Seit Dienstag werde bestellte Ware in Potsdam und im erreichbaren Umland mit dem Fahrrad ausgefahren – CO2-neutral, wie Wist betont. Auch per Post könnten Bücher verschickt werden. Und er werde versuchen, online zu werben – mit Besonderheiten, die nur eine lokale Buchhandlung bieten kann. „Ich bin zum Beispiel sicher, dass wir die einzigen sind, die im Moment signierte Lutz-Seiler-Exemplare anbieten“, sagt Wist. Der im benachbarten Wilhelmshorst lebende Autor war bekanntlich erst vor wenigen Tagen für sein jüngstes Buch „Stern 111“ mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet worden.
Fixkosten im "mittleren vierstelligen Bereich"
Reichen werden all diese Anstrengungen freilich nicht. Er habe monatliche Fixkosten im mittleren vierstelligen Bereich, sagt Wist. Das Gehalt für die zwei Vollzeitbeschäftigten und den Minijobber ist da noch nicht einmal eingerechnet. Sollte das Geschäft länger als zwei Monate schließen müssen, „wird es existenziell“, sagt Wist. Womöglich müsse er auch über vorübergehende Entlassungen oder Kurzarbeit nachdenken. Er hoffe, dass die versprochene Staatshilfe für durch die Krise gefährdete Unternehmen schnell und unbürokratisch gewährt werde. Noch überwiege aber der Optimismus, so der Buchhändler.
Im Krisenmodus fährt auch André Zibolsky, Inhaber der renommierten Weinhandlung In Vino in der Dortustraße. „Wie lange wir durchhalten können? Ganz ehrlich – ich weiß es nicht“, sagt er. Angesichts von monatlichen Fixkosten zwischen 25 000 und 30 000 Euro „halte ich vier Wochen für die absolute Obergrenze“. Neben der Weinhandlung betreibt Zibolsky auch einen Feinkostladen in der Gutenbergstraße, in dem neben Wein auch Schinken, Käse und andere Delikatessen vertrieben werden. Da dies Lebensmittel seien, werde er diesen Laden geöffnet lassen. Ansonsten setzt auch Zibolsky auf alternative Vertriebswege. Man werde mehr liefern und auch den Mindestbestellwert – derzeit sind es 100 Euro – absenken.
Lange über Wasser halten werde er sich damit aber auch nicht können. Bevor die Nachricht kam, dass die Weinhandlung schließen muss, habe er damit gerechnet, dass der monatliche Umsatz wegen der Coronakrise um ein Drittel sinken werde. Jetzt gehe er davon aus, dass der Umsatz insgesamt auf maximal ein Drittel des Üblichen zurückgehe, sagt Zibolsky. Sieben Festangestellte und zwei Aushilfen hängen an der Existenz von „In Vino“. Er hoffe, dass, „wenn es wirklich an die Grenzen geht“, rasch staatliche Unterstützung fließt.
Die Händler helfen sich gegenseitig
Doch es gibt auch gute Nachrichten: Die schwierige Lage schweißt die Händler zusammen. Er habe dem Buchhändler Wist vorgeschlagen, dass Auslieferungen, wenn die Routen ähnlich sind, koordiniert stattfinden, um Kosten zu drücken, erzählt Zibolsky. Das wolle er auch dem Inhaber des Spielegeschäfts „Galadriel“ anbieten, das im gleichen Gebäude direkt gegenüber liegt.
„Galadriel“-Inhaber Matthias Schäferhoff trifft die bevorstehende Schließung besonders hart. Erst vor wenigen Monaten hatte der 42-Jährige Räume im Hinterhof angemietet, ihn renovieren und zu einem Veranstaltungsraum umbauen lassen, in dem vor allem Spieleabende stattfinden sollten. Nun, wo er kaum acht Wochen offen war, steht der Raum wieder leer – kostet aber Miete. 2500 Euro monatlich muss Schäferhoff dafür monatlich berappen. Er wolle allerdings mit seinem Vermieter über die Möglichkeit der Stundung sprechen, sagt er. Ähnliche Verhandlungen will auch Zibolsky führen.
Wie seine Kollegen organisiert Schäferhoff andere Vertriebsmöglichkeiten. Einen Onlineshop hat der Laden nicht. Er prüfe aber, ob man neben einem Liefer- auch einen Abholservice einrichten könne, bei dem den Kunden bestellte Ware vor Ort nur ausgehändigt werde. Schäferhoff setzt seine Hoffnung auf die Treue der Stammkunden, doch selbst dann werde der Umsatz wohl um vier Fünftel einbrechen, glaubt der Händler. „Wenn die Situation länger als zwei Monate dauert, wird es existenzbedrohend“, sagt Schäferhoff – eine Einschätzung, die viele seiner Kollegen teilen.
Auch beim Juwelier- und Uhrengeschäft Braune in der Brandenburger Straße, dessen Tradition bis 1913 zurückreicht, hofft man „dass alles geht“, wie es Josefin Großer, die Lebensgefährtin von Inhaber Andreas Braune, ausdrückt. Auch bei Braune laufen monatliche Fixkosten in niedriger fünfstelliger Höhe auf. Fünf Festangestellte in Vollzeit gilt es zu versorgen. Dazu kommen Vorsteuern, Kredite, die abgezahlt werden müssen und andere Ausgaben. Als Traditionsunternehmen habe man zwar Erfahrungen und ein Sicherheitspolster, dennoch dürfe die Durststrecke nicht lange andauern. Lieferungen und Versand als Alternativen kommen für Braune dennoch nicht infrage. „Wir sind ein Traditionsgeschäft, das vor Ort für seine Kunden da sein will“, stellt Großer klar. Auch sie wollen aber staatliche Hilfen in Anspruch nehmen.
Im größten Einkaufscenter der Stadt, im Stern-Center, haben bereits am Dienstag die ersten Geschäfte geschlossen, insbesondere Modeläden stellten den Verkauf ein, so die Filialen von Levis, Esprit und New Yorker. Aber auch in den noch offenen Geschäften herrschte Leere, lediglich der Drogeriemarkt und der Lebensmittelhändler Real hatten spürbar Kundschaft. „Seit Montag ist kaum noch was los“, sagte eine Verkäuferin eines Modegeschäfts. Lediglich Lebensmittel und Drogerieartikel würden noch eingekauft.
Im Stern-Center haben nur noch wenige Läden offen
Das Center selbst versucht derweil, sich den kommenden Schließungsregeln anzupassen: „Wir arbeiten gerade daran, weiterhin das versorgungsrelevante Sortiment im Center anbieten zu können“, sagte Center-Manager Frank Kosterka auf PNN-Anfrage. Gemäß den Vorgaben wegen der Ausbreitung des Coronavirus würden ab Mittwoch nur die Apotheke, die Drogerie und die Nahversorger sowie die Gastronomie unter den geltenden Bestimmungen geöffnet haben, so Kosterka. Dort, im so genannten Food-Court, waren auch aufgrund der Abstandsregelungen für gastronomische Einrichtungen ein Großteil der Sitzplätze abgesperrt. Kaum Kundschaft war auch in den benachbarten Möbelhäusern Porta und Möbel Boss zu sehen, auch diese Läden schließen ab morgen die Türen.
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