zum Hauptinhalt
Gräfin Lichtenau, 1776 gemalt von Anna Dorothea Lisiewska. 
© SPSG/Gerhard Murza

Königliche Mitbringsel aus Italien: Die Shopping-Queen von Friedrich Wilhelm II.

Wilhelmine Enke, auch bekannt als Gräfin Lichtenau unternahm für Friedrich Wilhelm II. Shoppingtouren in Italien - und brachte damit die ersten Souvenirs aus Rom über die Alpen nach Potsdam.

Potsdam - Die Anreise zieht sich über Wochen hin: per Kutsche über staubige Wege und rumpeliges Pflaster. Nach etwa 30 Kilometern ist Etappenschluss: Die Pferde sind erschöpft, die Körper der Passagiere durchgeschüttelt. Zum Glück gibt es die Postroute und aller 20 Kilometer eine Poststation zum Nächtigen. Wilhelmine Enke macht sich im Mai 1795 von Potsdam aus auf den Weg. Ihr Ziel: Italien. Stück für Stück kommt sie dem Meer, den Palmen und der viel besungenen barocken Kunst näher. Sie nimmt den längeren Weg über die Schweiz, lässt sich über den Gotthardpass in das Land der Sehnsucht schuckeln. 

Sie reist als Gräfin Lichtenau, obwohl doch jeder weiß, dass sie die ehemalige Mätresse von Friedrich Wilhelm II. ist und nicht zum Stand gehört. Inzwischen ist die königliche Liebe erloschen. Doch die schöne Wilhelmine darf als gute Freundin und profunde Beraterin in Sachen Interieur dennoch für den kranken Monarchen auf Reisen gehen. Er zahlt und hofft in seiner ungestillten Italienliebe und Antikenleidenschaft auf die schönsten Souvenirs. Wilhelmine, die ebenfalls kränkelt, nutzt die Italienreise zuerst einmal zum Kuren in den Bädern von Pisa. Doch es bleibt ausreichend Zeit, die Koffer mit Mitbringseln zu füllen. Zudem gibt es die gut funktionierende Spedition des englischen Kunsthändlers Thomas Jenkins, die per Schiff die sperrigen Kostbarkeiten aus den Werkstätten von Rom, Florenz oder Pisa sicher nach Potsdam schippert.

Auf dem Bild „Die Grotte des Neptun bei Tivoli" von Peter Gottlieb Müller ist unten links ganz klein auch die Gräfin Lichtenau, alias Wilhelmine Enke, zu sehen – mit ihrem Reiseleiter Aloys Hirt.
Auf dem Bild „Die Grotte des Neptun bei Tivoli" von Peter Gottlieb Müller ist unten links ganz klein auch die Gräfin Lichtenau, alias Wilhelmine Enke, zu sehen – mit ihrem Reiseleiter Aloys Hirt.
© SPSG/Roland Handrick

Mit offenem Blick und offener Börse

Über ein Jahr ist Wilhelmine an der Seite ihrer Gesellschafterin, des königlichen Hofpoeten und der Bediensteten in der Toskana und Campagna unterwegs: immer mit offenem Blick und offener Börse für spektakuläre Einkäufe. Einiges kommt da zusammen, wie der Berliner Historiker Christian Arpasi zu berichten weiß. Der 41-Jährige ist Schlossführer in Potsdam und beschreibt in Vorträgen vor Ort, welche der Raritäten aus Italien im Marmorpalais landeten. Zuallererst gibt es da das Porträt der Frau Gräfin selbst: in Lebensgröße. Die Lichtenau, alias Wilhelmine Enke, stand der Malerin und Salondame Angelika Kaufmann Modell, die zu der deutschen Community in Rom gehörte. Auch „Die Grotte des Neptun bei Tivoli“ ließ sie in Öl bannen: von dem deutschen Maler Peter Gottlieb Müller. Er verewigte links unten in der Ecke des Gemäldes seine Auftraggeberin Wilhelmine und den Cicerone Aloys Hirt. Der Archäologe gab in Rom Kunstkurse für Reisende, die auch Wilhelmine besuchte. Später holte sie Hirt nach Berlin: als Mitglied der Akademie der Wissenschaften.

Neben dem kunstsinnigen Pärchen hielt Maler Müller vor allem den berühmten Wasserfall und natürlich antike Bauwerke fest. Nach der Ausgrabung von Pompeij um 1760 wurde Italien geradezu als Geburtsort der Antike gefeiert und in ganz Europa entbrannte eine Leidenschaft für die Antike. Pompeij blieb nach dem Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 nach Christi unter der Vulkanasche weitgehend konserviert und lockte nun die Touristen an. Der wohl prominenteste deutsche Besucher in dieser Frühzeit der Ausgrabungen war Goethe. Er notierte danach: „Es ist viel Unheil in der Welt geschehen, aber wenig, das der Nachwelt so viel Freude gemacht hätte“.

Die Gräfin Lichtenau brachte von ihrer Italienreise neben Kupferstichen auch  dieses Colosseum aus Kork mit. 
Die Gräfin Lichtenau brachte von ihrer Italienreise neben Kupferstichen auch  dieses Colosseum aus Kork mit. 
© HLMD

Enke überließ beim Einkauf nichts dem Zufall

Wilhelmine schaffte es nicht bis Pompeji, besichtigte aber das antike „Herculaneum“. Sie stieg mit Fackeln in die Tiefe, um im Original zu sehen, was Friedrich in Stichen seit den späten 1780er-Jahren sammelte. Denn auch ohne selbst vor Ort zu sein, kam dank „Mittelsmänner“ die Antike auch nach Potsdam. Zu den beliebtesten Souvenirs, die massenhaft verfügbar waren, gehörten die leicht zu transportierenden Kupferstiche. Als einer der größten Kupferstecher galt Piranesi, von dem derzeit auch in der Ausstellung „Wege des Barock“ im Museum Barberini Werke zu sehen sind, darunter sein berühmter Stich vom „Palazzo Barberini“ in Rom. Der wiederum war für Friedrich II. die Vorlage für das Potsdamer Barberini.

Wilhelmine Enke überließ beim Einkauf nichts dem Zufall. Wochenlang hatte sie sich auf ihre Tour vorbereitet: mit dem angesagten Reiseführer „Volkmann“, dem Baedecker des 18. Jahrhunderts. Sie wusste um die wichtigsten Kunstadressen und brachte schließlich das vollständige Kupferstich-Angebot von Piranesi sowie einige Kupferwerke von Volpato mit nach Hause. Lange hingen sie im Marmorpalais im Neuen Garten. „Heute gelten sie als verschollen“, so Christian Arpasi. Vieles sei seit 1945 nicht mehr auffindbar, auch nicht die zahlreichen Landschaftsgemälde, die Wilhelmine mitbrachte, und die die Campagna und den Golf von Neapel mit rauchendem Vesuv zeigten.

Der Berliner Historiker und Potsdamer Schlossführer Christian Arpasi.
Der Berliner Historiker und Potsdamer Schlossführer Christian Arpasi.
© Andreas Klaer

Das römische Pantheon aus Kork

Auch ihr Reisejournal ist verschollen. Aber es gibt Briefe von ihr, in denen sie von ihren Shoppingtouren zwischen Mai 1795 und Juni 1796 berichtete. Sie stattete nicht nur das Marmorpalais nach ihrem Geschmack aus, sondern auch die Königskammern im Berliner Schloss, die es nicht mehr gibt, und ihre privaten Räume im Palais Unter den Linden (dem heutigen Niederländischen Palais). Aus Livorno schickte sie per Post Stofftapeten. Und schrieb dem König dazu die Zeilen: „Die tapetten wünste aber das sie nicht eher aufgemacht werden bis kome weil ich sie selbst arangieren will in unser lieben freunt seine zimr.“

Besonders tief griff sie in des Königs Tasche, als sie ein Modell aus Kork des römischen Pantheon erstand. „Diese Modelle sind wunderbare verkleinerte Darstellungen antiker Bauwerke im ruinösen Zustand, detailgenau“, schwärmt Arpasi. Er kennt sie seit seiner Jugend, denn in seiner Heimatstadt Gotha gibt es im Schloss Friedenstein eine große Sammlung davon. „Diese faszinierenden Nachbildungen von etwa einem Meter gehören zu den kostspieligsten Souvenirs und waren nur für betuchte Bürger erschwinglich. Während ein colorierter Kupferstich meist eine Dukate kostete, musste man für ein Korkmodell des Colosseums 168 Dukaten hinlegen.“ Dafür sei dann aber auch jede abgebrochene Säule verewigt gewesen. Einer der berühmtesten Korkmeister, Antonio Chichi, hatte 36 Modelle im Angebot. Wilhelmine entschied sich nachweislich für das Pantheon. Es hieß, dass man drei Monate in Rom bleiben muss, um alles gesehen zu haben. Wilhelmine nahm sich die Zeit.

Schnäppchen hat sie auch nicht verschmäht

Auch an Schnäppchenandenken wird sie nicht achtlos vorbeiflaniert sein: Die Auswahl war reichlich. Schmuckbroschen aus Gold mit dem Colosseum oder Blumen drauf, Briefbeschwerer aus Malachit mit dem Petersdom oder Gemmen aus Elfenbein mit Figuren wie Herkules. Auch in Gold gefasste Koralle aus Sizilien fielen in die Gunst der Touristen. Jeder wusste Bescheid, was der Markt hergab. Und dieser Markt reagierte schnell, war hochspezialisiert und gut vernetzt. Statt Internet sorgten Salons für den entsprechenden Austausch.

„Seit Menschen reisen, gibt es auch Andenken. Sie sind Träger persönlicher Erinnerung“, sagt Arpasi. Bis zur Reformation seien die Reisen meist religiös motiviert gewesen. Pilgerwege. Mit der Aufklärung emanzipierten sich die Reisen von der religiösen Bindung. Sie galten jetzt der Erholung und Bildung.

Auch Christian Arpasi reist gern, vor allem nach Italien. Und als Historiker interessieren ihn besonders Selbstzeugnisse geschichtsträchtiger Persönlichkeiten, wie Tagebücher und Briefe. Schnell war der Bogen zu Wilhelmine gespannt und zum Thema seiner Führung: „Rom über die Alpen tragen“. Er selbst ist kein großer Souvenirjäger, aber ein Heiligenbildchen von Pater Pio, dem Wunderheiler, landet auch schon mal im Köfferchen.

>>Wie viel Italien steckt im Marmorpalais? Darüber spricht Christian Arpasi in seinem Vortrag „Rom über die Alpen tragen“ am Sonntag, 4. August, 14.30 Uhr, im Marmorpalais, Eintritt 8 Euro, ermäßigt 6 Euro. Karten unter Tel.: (0331)9694-200 oder per Mail an: info@spsg.de

Zur Startseite