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Ein anderer Ausnahmezustand. Den Flügel fotografierte Klaus D. Fahlbusch 2014 in Tschernobyl. Angelika Euchner zeigt das Bild trotz Lockdown.
© Klaus D. Fahlbusch

Eine Potsdamer Galeristin begehrt auf: Die Permanenz des Ausnahmezustands

Im Lockdown verkümmern Kulturschaffende, sagt die Potsdamer Galeristin Angelika Euchner. Und öffnet ihre Galerie. Sie sieht sich als Sprachrohr für die anderen. Ist sie das?

Potsdam - Fast ein Jahr lang befindet sich auch die Kultur im Ausnahmezustand, wechseln sich Schließungen, Teil-Öffnungen und neue Schließungen in den Kulturorten ab. Ein zermürbender Prozess, der Spuren hinterlässt: Trotz, Ermüdung, Ungeduld – aber auch große Ausdauer. Und Zuversicht. „Diese Permanenz des Ausnahmezustandes ist nicht mehr auszuhalten“, sagt die Galeristin Angelika Euchner. „Sie lässt Kulturschaffende und Kulturgenießende gleichermaßen in Schockstarre verkümmern.“ Das schrieb sie Ende Januar in einem offenen Brief an Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD).

Galeristin Angelika Euchner fordert die Öffnung aller Kulturorte jetzt, unter Beachtung der AHA-Regeln. Galerien seien keine Orte der Ansteckung.
Galeristin Angelika Euchner fordert die Öffnung aller Kulturorte jetzt, unter Beachtung der AHA-Regeln. Galerien seien keine Orte der Ansteckung.
© Ottmar Winter PNN

Als Angelika Euchner das schreibt, plant sie gerade zum vierten Mal die bereits dreifach verschobene Eröffnung ihrer Ausstellung „Hiroshima mon amour – Fukushima“. In dem Brief erwähnt die Betreiberin der AE-Galerie die Sicherheitsmaßnahmen, die Museen und Galerien im ersten Lockdown umgesetzt hatten, das Geld, das Theater, Kinos und Gastronomie investiert hätten. Die fabrik habe im August eigens eine Choreografie entwickelt, „um Zuschauer sicher an ihre Plätze zu lotsen“. „All diese Orte sind nachweislich keine Hotspots aus epidemiologischer Sicht gewesen.“ Euchners Forderung an Woidke: eine Öffnung „aller Kulturhäuser im Land“. Ab Mitte Februar.

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„Ich akzeptiere keine Schließung mehr“

Die Kulturhäuser blieben bekanntlich zu, Euchner entschied, selbst zu handeln. „Ich akzeptiere keine Schließung mehr“, schreibt sie am 9. Februar und kündigt eine Vernissage für den 15. Februar an. Unter Einhaltung der AHA-Regeln. Sie hat FFP2-Masken vorrätig, bittet um Voranmeldung – für einen Besuch während der Bürozeiten. „Alle Besucher mit exakter Anmeldung, auch bei der Vernissage vorbildlich!“, berichtet sie nach der Eröffnung. Alle seien lückenlos registriert worden.

Eine Öffnung unter den geltenden Sicherheitsbestimmungen hält sie für verantwortbar. „Ich habe noch nie gehört, dass sich jemand im Museum angesteckt hat.“ Vor den Konsequenzen hat sie keine Angst. Der Inhalt zähle. „Zehn Jahre Fukushima und 35 Jahre Tschernobyl sollen nicht Corona zum Opfer fallen!“ Sie rechnet mit einer Verwarnung des Ordnungsamtes, auch mit Bußgeld. Das zu zahlen ist sie bereit. „Ich möchte ein Zeichen setzen.“ Denn: „Die Stimmung geht eindeutig in Richtung Depression.“ Sie sieht sich als Sprachrohr. „Viele fühlen das Gleiche. Nur ich mache den Mund auf.“

Wie andere Ausstellende sich verhalten

Doch stimmt das? Spricht Angelika Euchner aus, was alle denken?Tatsache ist: Auch der Kunstverein KunstHaus, in dessen Vorstand Angelika Euchner ist, macht seine zunächst digital eröffnete Schau „Kein Thema 5“ Besucher:innen nach Voranmeldung im Rahmen von Bürozeiten zugänglich. Vorsitzende Birgit Möckel hat sich dezidiert dafür ausgesprochen, bei Corona-Maßnahmen „langsam mal zu differenzieren“.

Tatsache ist auch: Längst nicht alle Kunstschaffenden unterstützen Euchners Forderung. Vielmehr scheinen sich die meisten in Geduld zu üben. Thomas Kumlehn, neben Andreas Hüneke Vorsitzender des Potsdamer Kunstvereins, hatte im November selbst noch ein Schlupfloch in den Verordnungen genutzt, um Arbeiten von Peter Rohn zu zeigen, legal: Er erklärte die Schau in Zusammenarbeit mit Angelika Euchner zur Verkaufsausstellung. Jetzt aber plädiert er für Geduld – und arbeitet unbeirrt an der nächsten Ausstellung, zu Hubert Globisch. Draußen, im Hof der Galerie Gute Stube: Das legale Schlupfloch, das aktuell noch bleibt.

Übungen in Geduld

„Natürlich sehnen auch wir die Zeit der Öffnung aller Kultureinrichtungen herbei“, sagt das Galeristenpaar Ursula und Rainer Sperl. „Noch ist es uns jedoch wichtiger, die Pandemie absolut zu drosseln.“ Seit Wochen seien die Menschen ohnehin sehr zurückhaltend, geschlossene Räume zu betreten. „Unter diesen Umständen üben wir uns in Geduld mit der Zuversicht auf ein baldiges normales Miteinander und eine rege Galerietätigkeit.“

Auch Jutta Götzmann, Direktorin des Potsdam Museums, sorgt sich bekanntlich um den Stellenwert der Kultur in der Krise. Doch auch sie drängt nicht auf eine schnelle Öffnung. Aber sie sagt: „Der Kultur- und Bildungsauftrag, den wir und viele andere Kultureinrichtungen erfüllen, muss in eine gleichberechtigte Gesamtplanung einbezogen werden.“ Einen konkreten Schritt weiter in dieser Planung ist man seit Dienstag: „Möglichst noch vor Ostern“, so verkündete Woidke, wolle man Museen, Ausstellungen und Veranstaltungen unter freiem Himmel „eine Perspektive“ geben.

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