Sharon Dodua Otoos Debütroman "Adas Raum": Die "Fremde" ist ein Konstrukt westlicher Zivilisationen
Zwischen Ghana, England und Berlin: Mit ihrem deutschsprachigen Debüt "Adas Raum" zeigt sich Sharon Dodua Otoo als singuläre literarische Stimme.
Haben Dinge eine Seele? Und was hätten diese Seelen, könnten sie sprechen, uns wohl von ihrer Jahrtausende währenden Reise zu berichten? In der Ethnologie wird der Animismus inzwischen kritisch gesehen, weil er auf einen kulturellen Diskurs zurückgeht, in dem Anthropologie und Kolonialismus eine mörderische Beziehung eingingen.
Der in Naturreligionen verbreitete Glaube, dass sich in einem Totem Mensch und Natur verbinden, wurde von den europäischen Eroberern zu lange ausgenutzt, um indigene Völker übers Ohr zu hauen – oder galt schlichtweg als Ausweis von deren Rückständigkeit. In der Kunst erfuhr die traditionelle Vorstellung beseelter Dinge zuletzt auch dank eines Fokus auf die Kulturen des globalen Südens wieder neue Aufmerksamkeit – nicht zuletzt, weil die staatlichen Museen der ehemaligen Kolonialmächte zuhauf solche indigenen Objekte der Verehrung in ihren Sammlungen haben.
So ist es nur konsequent, dass der Debütroman “Adas Raum” (S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021. 320 Seiten, 22 €) der in Berlin lebenden britischen Autorin Sharon Dodua Otoo im Jahr 1459 an der afrikanischen “Goldküste” beginnt – dem heutigen Ghana, damals ein Knotenpunkt des Sklavenhandels – und mit dem Katalog einer Ausstellung über das “Vorkoloniale Westafrika” im Berlin der Gegenwart endet.
Bindeglied ist ein Armband aus 33 Perlen, das einen weiten Weg aus dem Besitz des Aschanti-Mädchens Ada aus dem Küstendorf Totope bis in jenen Katalog zurücklegt, den über 500 Jahre später eine andere, hochschwangere Ada bei ihrer Wohnungssuche im gentrifizierten Berlin in den Händen hält. Dass die Zahl 33 in der deutschen Geschichte vorbelastet ist, spielt später ebenfalls noch eine Rolle.
Schutzengel ohne Handlungsmacht
Die beiden Frauen bleiben nicht die einzigen Adas in Otoos durch die Jahrhunderte wandernder Geschichte. Doch sie alle haben eine treue Gefährtin: eine ruhelose Seele zwischen wiase (Diesseits) und asamando (Jenseits), die ungeduldig darauf wartet, in einen menschlichen Körper geboren zu werden.
Doch die auf Geheiß eines schelmischen Gottes (der aus Jux schon mal als bärtige, weißgewandete Gestalt aus der christlichen Ikonografie in Erscheinung tritt) immer wieder in Gegenstände “inkarnieren” muss. So fungiert die Seele zwar als allwissende Erzählerin, neben den subjektiven Stimmen der verschiedenen Adas, bleibt als Schutzengel in ihren Handlungsmöglichkeiten aber eingeschränkt.
Als Reisigbesen, bronzener Türklopfer im viktorianischen London, wo sie mit der irischen Haushälterin zur Komplizin einer heimlichen Liebschaft zwischen der Mathematikerin Ada Lovelace und einem sich hoffnungslos selbst überschätzenden Charles Dickens wird, oder als Lottoschein bleibt die Erzählerin machtlose Augenzeugin der Weltgeschichte.
Ihre schmerzlichste Manifestation aber ist die, die Otoos Roman auch seinen Titel gibt. Jener Raum befindet sich in der Baracke 37 des Konzentrationslagers Dora, in dem die junge Polin Adelajda in den letzten Kriegsmonaten zur Prostitution gezwungen wird; die gefangenen Frauen haben für diesen Ort noch einen anderen Namen: Hölle. Und die arme Seele leidet mit: “Warum ich 1945 unbedingt ein KZ-Bordellzimmer werden musste, wollte mir zu der Zeit nicht einleuchten. Meine Wände waren so dünn, jeder Schrei, jedes Stöhnen ging durch mich hindurch. Ich war verdammt, alles zu bezeugen, aber nichts verhindern zu können.”
Raus aus dem deutschen Kleinbürgermief
Leblose Objekte, die zu sprechenden Subjekten werden, sind gewissermaßen Otoos Markenzeichen. 2016 gewann sie in Klagenfurt mit der Kurzgeschichte „Herr Gröttrup setzt sich hin“, die eine sehr deutsche Ehe-Dynamik aus der Sicht eines bockigen Frühstückseis beschreibt, zur allgemeinen Überraschung den Bachmann-Preis; zu diesem Zeitpunkt hatte Otoo erst eine Novelle mit dem Titel “Die Dinge, die ich denke, während ich höflich lächle ...” veröffentlicht.
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Das Ei erlebt in “Adas Raum” sogar ein kurzes Comeback, beiläufig in einem Nebensatz. Doch die Perspektive, aus der Otoo in ihrem ersten Roman erzählt, hat sich geweitet, raus aus dem deutschen Kleinbürgermief und den spitzen, biografisch gefärbten Alltagsbeobachtungen einer alleinerziehenden Tochter ghanaischer Eltern zwischen Londoner und Berliner Familie. Das Unterfangen ist ambitioniert. Aber es unterstreicht auch, was für eine singuläre Stimme Otto in der gegenwärtigen deutschsprachigen Literatur ist.
Die Flammen sprengen
“Adas Raum” zieht eine Verbindungslinie von europäischer Kolonialvergangenheit über die NS-Zeit bis in die Gegenwart – in der die vorerst letzte Ada einer langen Ahnenreihe, der Vater Ghanaer, die Mutter Britin, konfrontiert mit dem Drohszenario des Brexits die historischen Ungleichverhältnisse noch einmal mit aller Macht zu spüren bekommt. Bezeichnend, dass Otoos körperlose Erzählerin am Ende von “Adas Raum” die Gestalt eines EU-Personalausweises annimmt: Symbol eines modernen Glücksversprechens, für das viele Menschen eine tödliche Reise von Afrika über das Mittelmeer auf sich nehmen.
In den Jahrhunderten zuvor müssen auch viele stolze Adas sinnlos ihre Leben lassen, gebrochen von den gesellschaftlichen Verhältnissen ihrer Epochen. Aber jeder Tod macht Ada auch widerstandsfähiger. “Damals wusste ich”, berichtet die Seele, “dass die Haut von Ada – anfangs so dünn und zerbrechlich wie die Flamme einer Kerze – durch jede Berührung immer fester wurde. Ich wusste, dass diejenigen, die ihr Gewalt antun wollen, es schwer haben würden, sie zu brechen.“
“Adas Raum” ist ein kühnes Experiment, nicht unähnlich Yaa Gyasis Debüt "Heimkehren". Voller Nebenfiguren, die kurz in den Leben der Adas auftauchen und wieder verschwinden; Sätze, die über Jahrhunderte durch Zeitschleifen wandern, begonnen von der einer Ada, beendet vom Mund einer anderen; unsichtbare Verbindungslinien, die die Schwesternschaft der Frauen und ihre wachsende Widerstandsfähigkeit bezeugen. “Meine Mutter hüllte sich in Flammen”, erzählt Lovelace. Hundert Jahre später entgegnet Adelajda: “Meine Mutter sprengte die Flammen.”
Aus der Sicht eines EU-Passes
Otoos Sprache balanciert zwischen sehr unterschiedlichen Tonlagen, der Lakonie des Schmerzes, der Melancholie des Ausgeschlossenseins und feinem Spott, der die absurde Prämisse ihres Animismus ironisch bricht. Auch Alltagserfahrungen der Autorin, die seit 15 Jahren in diesem seltsamen, nicht immer freundlich gesinnten Deutschland lebt, finden den Weg in ihre Geschichte.
Der erste Satz, den die jüngste Ada bei ihrer Ankunft lernt und der ihr zum Verständnis der Deutschen später ein nützlicher Ratschlag bleiben wird, lautet: “Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.” Ausgerechnet von einem Zollbeamten, of all people.
Der Bewusstseinsstrom von „Adas Raum“ führt geradewegs in die Dichotomie der vermeintlich aufklärerischen Zivilisation, die letztlich auch Otoos doppelte Diaspora-Erfahrung – zwischen Ghana, England und Deutschland – verfasst. Es ist ein Konzept, das ihre unsichtbare Erzählerin im Kontakt mit den Menschen über Jahrhunderte erst erlernen muss und von dem die Bewohner des Dorfes Totope noch eine sehr abstrakte Vorstellung haben, eben wiase und asamando. Die Europäer waren es, die die Kategorien “hier” und “dort” einführten, indem sie das Paradies zerstörten. “Am Ende hatte 'hier' für mich nur noch eine Bedeutung: am Leben”, versteht die Seele des Romans irgendwann. Zumindest aus Sicht eines EU-Passes ist das eine beruhigende Erkenntnis.
Andreas Busche
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