Ausstellung im Potsdamer Kunstverein: Der Zug rast ins Nichts
Im Kunstverein KunstHaus eröffnen künstlerische Positionen den Blick auf die alte Seidenstraße. Uigurische Kunst wird in einer Projektion gezeigt.
Potsdam - Wer die Ausstellung betritt, kann sie spüren: diese besondere Stimmung, die im Kunstverein KunstHaus in der Luft liegt. Man bleibt zunächst bedächtig an der Türschwelle stehen, schreitet dann langsam durch den kleinen, lichtdurchfluteten Raum, fast so, als müsse man zerbrechliches Glas transportieren. Denn das Thema der aktuellen Ausstellung verlangt Achtsamkeit, „Chinas alte Seidenstraße – ein Kaleidoskop“ lautet ihr Titel.
Es geht um den Mythos, um persönliche Eindrücke und Gedankenkonstruktionen, die Künstler mit dem Handelswegenetz verknüpfen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts formte der Geologe Ferdinand von Richthofen den Begriff Seidenstraße, indem er ihn auch für andere Handelsrouten benutzte, auf dem nicht der kostbare Stoff der Seide transportiert wurde. Das Wort kann auch Synonym für den Kulturaustausch mit fernen Ländern sein, für exotische Waren im Allgemeinen, und überhaupt für das Abenteuer. Im Ausstellungsraum fühlt es sich so an, als würden die künstlerischen Positionen tatsächlich miteinander interagieren. Viele Teile bilden ein Ganzes, und wie bei einem Kaleidoskop bestimmt der individuelle Blick das Muster. Auch die aktuellen Entwicklungen schwingen mit, das Projekt One Belt One Road, die Angst vor einer Übermacht China – wenngleich diese nicht explizit Thema sind.
"Eine ungeheure Wissenserweiterung“
Die Arbeit an der Ausstellung begann bereits vor zwei Jahren, erinnert sich die Projektorganisatorin des Kunstvereins, Annette Jahnhorst. Sie hatte den Berliner Kurator Andreas Schmid mit dem Thema beauftragt, und dieser versammelte daraufhin sechs Künstler, von denen jeder eine gewisse Zeit lang in der Nähe der Seidenstraße gelebt hat. Mit enormer Präzision hat Schmid die Arbeiten im Raum positioniert. So auch die zwei Bücher von Beate Terfloth. In extra angefertigten Vitrinen markieren sie in der Mitte des Raumes dessen Achsen. Terfloth beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Ost und West. Auf hauchdünnes Xuan-Papier hat sie mit chinesischer Tusche von links nach rechts Linien gezogen, die nun – in den Büchern – wie feine Verästelungen jeweils durch mehrere Seiten hindurchschimmern. Weil das Papier so empfindlich ist (und das Thema so prekär, könnte man meinen), kann der Besucher nur auf einem Bildschirm verfolgen, wie die Seiten umgeblättert werden.
Besonders eindrucksvoll ist die riesige Karte „China-Arabs“ von Qiu Zhijie, die eine gesamte Wand einnimmt. Der chinesische Künstler hat alles zwischen Shanghai und dem Suezkanal mit schwarzer Tusche abgebildet, wobei letzterer fast größer ist als Indien. Qiu Zhijie hat eigene Proportionen gefunden und insbesondere die Verbreitung des Islams hervorgehoben. Gebiete, Städte, Gebirge, Gewässer stattete er mit Wortkonstellationen aus, die teils auf historische Zustände hinweisen, teils Assoziationen hervorrufen. Der „Mount Imperialism“ beispielsweise könne für die missglückten Versuche Chinas, die eigenen Verhältnisse zu ändern, stehen, etwa für das Zerwürfnis mit Russland Ende der Sechziger, erklärt Schmid: „Vieles hat man nicht mehr parat, aber die individuelle Recherche von Qiu Zhijie sorgt für eine ungeheure Wissenserweiterung.“
Experte für zeitgenössische Kunst in China
In eine Provinz gegenüber von Taiwan, in der viele muslimische Hui-Chinesen, zu denen auch die Uiguren gehören, leben, hat der Künstler ein chinesisches Sprichwort geschrieben: Die Wahrheit sei überall zu finden, eben auch in der Fremde. Dies sei als Ironie zu werten, als versteckte Kritik sozusagen, erklärt Schmid, wenngleich sich Qiu Zhijie als Dekan der Zentralen Kunstakademie in Beijing eigentlich keine Kritik am System erlauben könne. Andererseits würden böse Zungen aufgrund seiner Position behaupten, er sei systemkonform. Wie viele chinesische Künstler werde er von beiden Seiten angegriffen.
Schmid gilt als Experte für zeitgenössische Kunst in China, traf Qiu Zhijie schon in den Neunzigern, als dieser noch freischaffend arbeitete. Er selbst hat unter anderem Kalligrafie in Hangzhou studiert. Dem Uiguren-Gebiet Xinjiang, durch das die alte Seidenstraße verlief und das er drei Mal besuchte, hat er eine Collage gewidmet, die nun in der Ausstellung zu sehen ist. Die unterschiedlich großen Reisefotos scheinen – mit Achsen versehen – in einem imaginären Erinnerungsraum zu schweben: Ein Zug rast ins Nichts, zwei Muslime unterhalten sich unter einem Rundbogen und ein Junge mit Schiebermütze hat seinen durchdringenden Blick auf den Betrachter gerichtet. Das von ihm festgehaltene Leben gibt es so nicht mehr, sagt Schmid. Rund eine Million Uiguren sollen sich derzeit in chinesischen Umerziehungslagern befinden. Zu uigurischen Künstlern sei praktisch kein Kontakt möglich, da man sie auf diesem Wege gefährden würde, weiß der Kurator.
Zeichen für die Fruchtbarkeit
Merhaba Schaich, die aus Xinjiang kommt und mittlerweile in der Schweiz lebt, recherchiert seit Jahren zu der Kunst aus ihrer Heimatregion. Sie selbst kann noch nicht einmal mit ihren eigenen Eltern telefonieren, weil das zu riskant wäre. Für die Ausstellung hat sie eine Projektion zusammengestellt, in der sich Arbeiten von uigurischen Künstlern aneinanderreihen. Sie sind also immerhin mit Reproduktionen in der Potsdamer Schau vertreten. So auch Nurmuhammat Ibrahim. Er bildet eine verwunschene Fantasiewelt ab, mit kräftigen Farben verleiht er der Natur die Allmacht. Pralle Granatäpfel, als Zeichen für die Fruchtbarkeit, hängen in der Luft, und der Wunsch nach Freiheit und Frieden schwingt mit.
Hätte man die aktuellen Verhältnisse in China in den Vordergrund stellen wollen, hätte man einen größeren Kontext gebraucht, sagt Schmid. Er finde es schön, auch positive Begegnungen mit der Seidenstraße zu zeigen. Die Arbeiten, die im KunstHaus zu sehen sind, wirken vor allem in ihrem Zusammenspiel. Blickwinkel und Sonneneinfall entscheiden, welche Verbindungen geknüpft werden, eben genauso wie bei einem Kaleidoskop. Steht man vor Qiu Zhijies Karte, entdeckt man vielleicht die „Küste des Porzellanexports“ auf chinesischem Gebiet, daneben eine Region, die mit „Porzellanwaren mit islamischem Design“ betitelt ist. Dreht man sich von hier aus um, fällt der Blick auf Schaichs Projektion, auf die Werke der islamischen Künstler, von denen man nicht weiß, ob sie überhaupt noch am Leben sind, weil ihre Kultur gerade systematisch ausgemerzt wird.
Das Labor China und die Uiguren
Freitag, 7. Juni
18.30 Uhr Vortrag Kai Strittmatter, Sinologe und Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, spricht über das Thema: „Was in Xinjiang geschieht, bleibt nicht in Xinjiang – Über das Labor der KP Chinas für den digitalen Staat der Zukunft“.
Freitag, 14. Juni
18.30 Uhr Performance von Bignia Wehrli:
„Wie viel wiegt der Weg von Hangzhou nach Berlin?“ Dazu hält die Sinologin Eva Luedi Kong den Vortrag: „Der heilige Westen – Die Reise von China nach Indien in Jahrhunderten der Fiktion“.
Sonntag, 23. Juni
17 Uhr Finissage verbunden mit einem Vortrag der uigurischen Künstlerin Merhaba Schaich, die momentan in der Schweiz lebt: Sie gibt einen Einblick in die junge Gegenwartskunst der Uiguren. Zu sehen ist die Ausstellung im Ulanenweg 9.
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität