Sklaverei, Befreiung und erneute Versklavung: Der Wohlstand kam aus der Karibik
Flavio Eichmann zeigt, welche Rolle die Kleinen Antillen in der Politik Napoleons spielten
Als das Pariser Musée d’Orsay im vergangenen Jahr die Ausstellung „Das schwarze Modell“ zeigte, sah sich die französische Öffentlichkeit mit der unbequemen Tatsache der Sklaverei ausgerechnet in der hehren Kunst konfrontiert. Irritierend war, dass die Sklaverei vom revolutionären Konvent 1794 aufgehoben, von Napoleon 1802 aber wieder sanktioniert worden war – nur um während der „Hundert Tage“ Napoleons 1815 erneut aufgehoben zu werden.
Stand nun die junge Republik auf Seiten der universellen Menschenrechte, während der zum Konsul avancierte Korse sie mit Füßen trat, bevor er sie am Schluss wieder hervorholte? So einfach liegen die Dinge nicht, wie Flavio Eichmann, Historiker an der Universität Bern, in seiner umfangreichen Studie „Krieg und Revolution in der Karibik“ darlegt. Weder Aufhebung noch Wiedereinsetzung der Sklaverei hatten mit hehren Grundsätzen zu tun, als vielmehr mit den situativen Notwendigkeiten in einer immerhin zwei Jahrzehnte währenden Zeit globaler Unruhe.
Nordamerika? Frankreich behielt die Antillen
Um 1790 wickelte Frankreich ein Drittel seines Außenhandels mit seinen Besitzungen in den Antillen ab; und schon nach dem verlustreichen Siebenjährigen Krieg hatte Frankreich im Jahr 1763 lieber die nordamerikanischen Besitzungen an Großbritannien abgetreten, als auch nur eine der Antilleninseln. Der Sklavenhandel wiederum bildete die Existenzgrundlage von Hafenstädten wie Nantes und Bordeaux.
„Der aus den karibischen Kolonien gewonnene Reichtum hatte einen hohen Preis“, wendet Eichmann ein: „Allein auf Guadeloupe und Martinique arbeiteten zusammengenommen 170 000 afrikanische Sklaven unter fürchterlichsten Bedingungen auf den Zucker- und Kaffeeplantagen (...)“, ferner 43 000 Sklaven auf jenen drei Inselchen, die Frankreich 1763 an Großbritannien hatten abtreten müssen. Zudem besaß die Karibik für die Segelschifffahrt der damaligen Zeit aufgrund der atlantischen Winde eine strategische Bedeutung, die heutzutage weitgehend vergessen ist.
Taktische Maßnahme
Die Aufhebung der Sklaverei diente, wie Eichmann nachweist, vor allem der Aufrechterhaltung der französischen Oberhoheit in einer unruhig gewordenen Weltgegend. Guadeloupe war seit Kurzem britisch besetzt, als der französische Kommissar des Nationalkonvents 1794 anlandete und den dortigen 90 000 Sklaven französisches Bürgerrecht verlieh. Das war ein taktischer Schachzug gegen die konterrevolutionäre Kolonialelite und die britischen Besatzer zugleich; entsprechend folgte ein blutiger Bürgerkrieg mit wechselnden Frontstellungen. „Richtig einordnen lässt sich die angestrebte Analyse nur“, macht Eichmann deutlich, „wenn man sie im Kontext des Sklavenaufstands in der französischen Kolonie Saint-Domingue verortet, der in der Nacht vom 22. zum 23. August 1791 ausgebrochen war und der 1804 in der Unabhängigkeit Haitis gipfelte.“ Haiti bildete das Fanal für die ganze Karibik.
Doch nicht von Haiti und dem seinerseits zum Despoten aufgestiegenen ehemaligen Sklaven Toussaint Louverture handelt das vorliegende Buch, sondern von den wechselhaften Verhältnissen auf den Inseln der Kleinen Antillen. Im Einklang mit neueren Forschungsansätzen zeichnet Eichmann das Bild eines von vielschichtigen und wechselnden Koalitionen bestimmten Ringens primär um die ökonomische Vorherrschaft über diese damals so ungemein profitablen Kolonien, das vom Gegensatz zwischen Pariser Metropole und karibischer Peripherie sowie der Konkurrenz der Kolonialmächte überlagert wird.
Machtpolitiker Napoleon
Der Verlust Haitis nach dem Sklavenaufstand brachte Napoleons Wende zur Wiedereinführung der Sklaverei, um die französische Oberhoheit zu sichern. Im Übrigen, so Eichmann, stelle sich „in Anbetracht des fließenden Übergangs von Sklaverei zu Zwangsarbeit die Frage, ob an einer dichotomischen Gegenüberstellung von Sklaverei und Freiheit festgehalten werden kann“. Hinzu kommt, dass in den Kolonien eine „trennscharfe Unterscheidung zwischen militärischer und ziviler Sphäre“ nicht mehr auszumachen sei, „weil ein Teil der männlichen Bevölkerung zum Dienst in den Kolonialmilizen verpflichtet war“. Die Tendenz zum „totalen Krieg“, den manche Forscher in der Karibik bereits verwirklicht sehen, ist jedenfalls auszumachen; mindestens zur Entgrenzung und Enthemmung.
Die locals halten's mit den Briten
Die Wiedereinführung der Sklaverei folgte dann allerdings den geostrategischen Überlegungen Napoleons, der die Karibik in ein „französisches Binnenmeer“ umzuwandeln und Großbritannien daraus zu vertreiben hoffte. Das ökonomische Rückgrat jedoch bildete unverändert die Sklavenwirtschaft. Nun waren erneut die Kolonialeliten gefragt, „denn die Pflanzer sollten in Bonapartes Plänen wieder zum wichtigsten Pfeiler französischer Kolonialherrschaft werden“.
Doch stattdessen trieben die Kriegsanstrengungen Napoleons die lokalen Eliten zur Kooperation mit der weit flexibleren britischen Herrschaft. Die Verkündung der abermaligen Aufhebung der Sklaverei 1815 war demgegenüber nur ein letztes Aufglühen taktischer Überlegungen Napoleons. Flavio Eichmanns ungemein detailgenaue Studie zeigt lediglich einen kleinen Ausschnitt der Weltgeschichte, aber er steht, Pars pro Toto, für die europäische Gestalt der Sklaverei.
Flavio Eichmann: Krieg und Revolution in der Karibik. Die Kleinen Antillen 1789 - 1815. Verlag De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston 2019. 553 S. m. 7 Karten, 54,95 €.
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