Interview mit Autorin Franziska Hauser zu "Die Gewitterschwimmerin": Buchpreis-Nominierung: „Aha, die kann ja wirklich was“
Franziska Hauser hat mit „Die Gewitterschwimmerin“ ihre Familiengeschichte aufgeschrieben und war dafür für den Deutschen Buchpreis nominiert. Am Donnerstagabend stellt sie den Roman im Potsdamer Viktoriagarten vor.
Frau Hauser, Sie haben mit „Die Gewitterschwimmerin“ eine Familiensaga geschrieben, die sich von 1889 bis 2011 erstreckt. Könnten Sie den Kern des Buches in einem Satz zusammenfassen?
Nein, ich glaube nicht. Es ist tatsächlich so, dass jeder etwas anderes daraus liest. Ich habe mit vielen Menschen darüber gesprochen und jeder sieht etwas anderes, empfindet eine andere Figur als wichtig. Das ist schon spannend.
Welche Figur ist für Sie am wichtigsten?
Im Prinzip geht es um die Frage, die sich die Figur der Tamara, also meiner Mutter, am Anfang stellt: „Warum bin ich geworden, wie ich nicht sein will?“ Meine Mutter ist eben zu einem Biest geworden, ohne es selbst zu wollen. Das hat sich allerdings geändert. Sie hat vor kurzem geheiratet und ist ein anderer Mensch geworden.
Inwiefern?
Früher waren Männer für sie nur da, um schwere Kisten zu tragen, aber jetzt ist sie wirklich glücklich.
Ihrem Buch stellen Sie die Anmerkung voran, dass der Roman nur in Grundzügen auf Ihrer eigenen Familiengeschichte beruht …
Ja, das habe ich geschrieben, damit sich meine Verwandten nicht bedrängt fühlen. Aber ich habe mich schon an unsere Geschichte gehalten, war viel im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde, in dem viel Material, viele Briefe aufbewahrt sind. Allerdings bin ich keine Historikerin und wollte auch eine unterhaltsame Geschichte schreiben, ein bisschen fiktionalisieren musste ich schon.
In „Die Gewitterschwimmerin“ geht es auch um sexuellen Missbrauch, der sich durch die Generationen zieht. Fiel es Ihnen schwer, diese Passagen aufzuschreiben?
Ehrlicherweise lese ich selbst solche Geschichten nur äußerst ungerne, beim Schreiben habe ich allerdings eine ganz andere Haltung. Dabei möchte ich etwas mitteilen, eine Geschichte erzählen und etwas weitergeben, das die Leser erfahren sollen.
Das klingt nach einer emotionalen Herausforderung.
Aus meiner Sicht war die Emotionalität nicht groß, aber wenn ich mich in andere Figuren hineindenken musste, schon. Ich kann etwa die Passagen über die Figur Dascha, die Schwester meiner Mutter, welche Schreckliches erlebt hat, nicht öffentlich vorlesen.
Hat Ihre Familie das Buch gelesen?
Nicht wirklich. Mein 19-jähriger Sohn hat es teilweise gelesen, seine Freundin ganz. Ansonsten ist es eher schwierig. Ich bin auch zum Geburtstag meiner Großtante nicht mehr eingeladen worden, dafür meine Mutter wieder. Und mit der Tochter meiner Tante, die im Buch ein Sohn ist, habe ich lange Diskussionen geführt, weil sie das Gefühl hatte, ich eigne mir ihre Geschichte an. Aber letztendlich haben sie alle ihr Einverständnis für das Buch gegeben.
Was hat überhaupt den Anstoß gegeben, Ihre Geschichte aufschreiben zu wollen?
Ich habe Maxim Leos Buch „Haltet euer Herz bereit: Eine ostdeutsche Familiengeschichte“ gelesen, in dem er über seinen Großvater schreibt und das mich sehr beindruckt hat. Sein Großvater und mein Großvater waren Freunde, sie waren zusammen in der Résistance. Mein Großvater hat Flugblätter geschrieben, seiner hat sie verteilt. Ja, und da habe ich gedacht, ich muss das wohl auch machen.
Wie haben Sie recherchiert?
Ich habe mich zunächst mit meiner Mutter zusammengesetzt und ihr Fragen gestellt. Sie hat erzählt, was sie noch weiß und dann habe ich andere Menschen über meine Mutter erzählen lassen.
Klingt nach einer sehr langen Recherche.
Insgesamt hat es sieben Jahre gedauert, bis das Buch fertig war. Zwischendrin habe ich auch „Sommerdreieck“ geschrieben.
Ihren Debutroman, der mit dem Debütantenpreis der lit.Cologne ausgezeichnet wurde.
Genau. Ich brauchte das als Ablenkung und war auch sehr froh, als das Buch erschienen ist. Es war wie ein Felsen auf meinen Schultern.
Sie haben für Ihren Roman eine gekreuzte Chronologie gewählt: Die Geschichte der Ich-Erzählerin Tamara läuft rückwärts, die ihrer Familie vorwärts. Wie kam das?
Ich kann es nicht leiden, wenn Filme oder Bücher kurz vor dem Krieg anfangen. Dann weiß man genau, jetzt kommt viel Grauenvolles. Aber ich konnte diese Zeit auch nicht weglassen. Zunächst war mein Urgroßvater der Ich-Erzähler des Romans, allerdings hätte dieser dann mit seinem Tod enden müssen, was nicht funktioniert hat und so ist meine Mutter zur Ich-Erzählerin geworden. Irgendwann kam mir die Idee des Überkreuzens, zwei Geschichten, die wie zwei Zahnräder gegensätzlich verlaufen und doch ineinandergreifen. Ich habe mein Skript dann einfach dementsprechend zerhackt, ohne eine Sicherheitskopie der Ursprungsversion zu machen.
Das ist mutig.
Ja, aber ich habe gedacht, entweder es funktioniert jetzt so oder ich muss alles wegschmeißen.
Letzteres ist zum Glück nicht eingetreten. „Die Gewitterschwimmerin“ stand auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2018. Wie groß war die Freude?
Ich habe mich vor allem für meine Mutter gefreut, weil sie durch das Buch indirekt Anerkennung bekommen hat. Ich hatte das Gefühl, sie hat sich schuldig gefühlt, weil sie keine so gute Mutter war, aber in dem Buch wird das durch ihre Familiengeschichte teilweise entschuldigt. Das hat sie sehr geheilt.
Abgesehen davon: Ist die Aufmerksamkeit für Ihre Arbeit größer geworden?
Auf jeden Fall. In meinem Freundeskreis wurde ich bisher für mein Schreiben nicht so ernst genommen, aber jetzt sagen einige: „Aha, die kann ja wirklich was.“ Mir hat die Nominierung auch einen Schub an Selbstbewusstsein gegeben und die beruhigende Feststellung: Das nächste Buch verkauft sich auch.
Arbeiten Sie schon an etwas Neuem?
Ja, ich bin gerade auf Seite 180. (lacht) Diesmal ist es auch eine harmlose Geschichte und eine komplett ausgedachte. Darauf habe ich mich wieder richtig gefreut.
Möchten Sie schon verraten, worum es gehen wird?
Im Prinzip wird es wieder eine Familiengeschichte: Es geht um zwei Schwestern, die sehr unterschiedlich mit dem Tod ihrer Männer umgehen und quasi ihre Wesenszüge im Laufe der Geschichte tauschen. Die eine ist eher eine Verdrängerin, die andere eine Verarbeiterin, das kehrt sich irgendwann um.
Sie arbeiten auch als Fotografin. Können Sie von Ihrer künstlerischen Arbeit leben?
Zur Hälfte. Für die andere Hälfte gebe ich Deutschunterricht, was mir sehr viel Spaß macht und mir wiederum Geschichten liefert. Man muss das Leben schließlich auch wirklich leben, um davon erzählen zu können.
Sie sind in Ostberlin aufgewachsen. Spielte Potsdam in Ihrer Kindheit eine Rolle?
Wir sind oft nach Potsdam gefahren, obwohl das damals in der DDR eine unendliche Reise war, man musste ja um ganz Berlin herum. Für mich war die Stadt ein Sehnsuchtsort, schöne Häuser, das Wasser und natürlich die Schlösser. Für meine Schwester und mich war es eine Art Mädchentraum, dort zu wohnen. Meine Mutter hat immer von Paris geschwärmt und ich dachte: Dort ist es bestimmt so schön wie in Potsdam.
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Franziska Hauser liest am 18. Oktober um 20 Uhr in der Buchhandlung Viktoriagarten, Geschwister-Scholl-Straße 10.
ZUR PERSON: Franziska Hauser, geboren 1975 in Ostberlin, studierte Fotografie an der Ostkreuzschule bei Arno Fischer und ist Autorin. Im Frühjahr 2015 erschien ihr Debütroman „Sommerdreieck“. „Die Gewitterschwimmerin“ stand auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2018.
ZUM BUCH: Franziska Hauser: „Die Gewitterschwimmerin“, Eichborn Verlag 2018, Hardcover, 431 Seiten, 22 EUR.