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Den Fontane-Code entschlüsseln: Der Meister der Luxusse

Theodor Fontane schuf Wortwelten – und vielleicht auch Unterhaltungsliteratur. Ein „Hackathon“ im Potsdamer Fontane-Archiv will beides untersuchen.

Der Plural von Luxus existiert nicht. Zumindest laut Duden: Der verweist auf die fehlende Mehrzahl des Wortes mit einem einfachen Strich. Beim Lesen von Theodor Fontanes „Stechlin“ hingegen finden sich in einem einzigen Satz sowohl „Gefühlsluxusse“, „Gesinnungsluxusse“ als auch „Freiheitsluxusse“. Der Schriftsteller ist berühmt für seine kreativen Wortschöpfungen, die häufig ein Alleinstellungsmerkmal haben. Hapaxlegomena heißen solche Wörter, die in einem Text nur ein einziges Mal vorkommen. Welche das bei Fontanes genau sind und wie viele er geschaffen hat, wird ab heute im Theodor-Fontane-Archiv untersucht.

Bei einem sogenannten „Hackathon“ soll bis Samstag der „Fontane-Code“ entschlüsselt werden. Wie Peer Trilcke, Leiter des Fontane-Archivs, erklärt, arbeiten dabei Literaturwissenschaftler, Computerlinguisten und Informatiker zusammen und analysieren Fontanes Texte. „Im Fokus stehen vor allem die Romane, seine Wanderungen, die Briefe und Gedichte“, sagt Trilcke, der an der Universität Potsdam die Juniorprofessur für deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts innehat.

Kulturhistorische Erkenntnisse über das 19. Jahrhundert

Unter verschiedenen Fragestellungen werden die Texte durch Computer gejagt, die mit den jeweiligen Filtertools ausgestattet sind. „Ein Team untersucht etwa, welche Wahrnehmungsverben Fontane in seinen Texten genutzt hat“, sagt Trilcke. In welchen Variationen Verben wie sehen oder schmecken verwandt werden, sagt ihm zufolge viel über die Zeit des 19. Jahrhunderts aus. „Es war eine Zeit des medialen Wandels“, sagt er. „Die Bildwelten nehmen zu und uns interessiert, ob sich das in Fontanes Beschreibungen abbildet.“

Ein anderes Themenfeld bilden die Subjekte in Fontanes Sätzen: Sind sie tendenziell belebt – also Menschen und Tiere – oder unbelebte Gegenstände? Die Ergebnisse können Aufschluss darüber geben, ob Fontane eher ein beschreibender Autor ist oder einer, der seine Protagonisten agieren lässt. Auch die Beziehungen der Figuren untereinander werden untersucht werden. Wie gut sie etwa in gesellschaftliche Strukturen eingebettet sind, ob sie Außenseiter sind und Ähnliches.

Vergleiche mit zeitgenössischen Kollegen

Insgesamt geht es den Wissenschaftlern um Mustererkennung, wie Trilcke sagt. Und darum, wie literarische Kunstwerke in ihrer Zeit funktionieren. Was sind ihre Eigenarten, was macht das Literarische überhaupt aus, wann ist ein Text schön, wann interessant – all diese Fragen spielen dabei eine Rolle. „Darin unterscheidet sich schließlich die Literatur von der Gebrauchsanweisung“, sagt Trilcke.

Der Stil Fontanes steht dabei im direkten Vergleich mit zeitgenössischen Autoren, wie Theodor Storm, Wilhelm Raabe oder auch mit der heute völlig vergessenen Eugenie Marlitt. Im 19. Jahrhundert war sie eine Bestsellerautorin. Ihre Texte verkauften sich sehr viel erfolgreicher als die Fontanes, worüber der sich unter anderem in einem Brief an seine Frau Emilie beschwerte: „Personen, die ich gar nicht als Schriftsteller gelten lasse, erleben nicht nur zahlreiche Auflagen, sondern werden auch womöglich ins Vorder- und Hinterindische übersetzt; um mich kümmert sich keine Katze“, schreibt er 1879.

Schrieb Fontane Unterhaltungsliteratur?

Tatsächlich wird Marlitt eher der Unterhaltungsliteratur zugeordnet. Warum das so ist und was den Stil Fontanes von ihrem unterscheidet, soll der „Hackathon“ ebenfalls klären. „Genau hier sind seine Wortschöpfungen besonders interessant“, sagt Peer Trilcke. Sie könnten Hinweise darauf geben, dass nur gehobene Literatur exquisite Wörter verwendet – oder genau das Gegenteil: „Es gibt durchaus auch Hinweise darauf, dass Fontane Unterhaltungsliteratur geschrieben hat.“

Insgesamt geht es also in den nächsten Tagen im Fontane-Archiv vor allem um ästhetische Fragen. Und auch wenn Ästhetik grundsätzlich eine subjektive Erfahrung sei, könnten die Ergebnisse des „Hackathons“ Fontanelesern helfen, die Besonderheiten Fontanes zu verstehen. Und wenn sie dabei noch mehr Wörter, wie „Angstapparat“ oder „Zärtlichkeitsrolle“ entdecken, hat sich der Aufwand doch schon gelohnt. 

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Vorstellungen der Ergebnisse des „Hackathons“ am Samstag um 15 Uhr im Fontane-Archiv, Große Weinmeisterstraße 46/47. Anmeldungen unter trilcke@uni-potsdam.de.

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