Klimaforschung Potsdam: Paradox: Mehr Emissionen durch Kohleausstieg
Der deutsche Kohleausstieg hat nur in Kombination mit einem CO2-Preis eine positive Wirkung aufs Klima. Das sagen Potsdamer Forscher.
Potsdam - Es klingt paradox, ist aber offenbar essentiell: Der deutsche Kohleausstieg könnte die CO2-Emissionen durch die komplizierten Mechanismen im Emissionshandelssystem der EU sogar noch steigen lassen. Zu diesem Schluss kommen Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) in einer neuen Analyse. Ihre Empfehlung: Nur ein Mindestpreis für das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) oder die Löschung von Emissionszertifikaten könnten hier gegensteuern. Der Ausstiegsplan der deutschen Kohlekommission biete keine Sicherheit, dass die CO2-Emissionen wirklich sinken, schreiben die Forscher aktuell im Fachjournal „Energiewirtschaftliche Tagesfragen“.
Steigender Strompreis und EU-Zertifikate
Steigen könnten die Emissionen demnach beim Kohleausstieg durch zwei Effekte. Erstens sinke beim Abschalten von Kohlekraftwerken das Angebot von Strom im Markt und entsprechend steige der Strompreis. Dadurch aber könnten die noch im Markt verbleibenden Kohlekraftwerke häufiger kostendeckend produzieren: sie erhöhen ihre Produktion, und damit steigt ihr Ausstoß an Treibhausgas. Der zweite Effekt betreffe die Nachfrage nach Emissions-Berechtigungs-Zertifikaten im Europäischen Emissionshandel. Die Forscher erwarten, dass die Nachfrage danach durch den deutschen Kohleausstieg sinkt – und damit auch deren Preis. Dann würden Stromproduzenten im Ausland mehr der dann billigeren Emissions-Berechtigungen kaufen und damit ihren CO2-Ausstoß steigern. „Diese Risiken werden bislang unterschätzt“, sagt Christian Flachsland, Ko-Autor vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC).
Wirksame politische Werkzeuge nötig
Die Forscher haben eine Reihe von Szenarien durchgerechnet. So kann etwa die Stromnachfrage stark steigen, insbesondere, wenn der Wärmesektor und der Verkehrssektor – etwa durch Elektromobilität – umfassend elektrifiziert werden. „Diese Nachfragesteigerung kann die CO2-Emissionen in Deutschland trotz Kohleausstiegsplan steigen lassen“, heißt es vom PIK.
Dass ein Industrieland mit hohem Kohleverbrauch wie Deutschland den Ausstieg aus der Kohle beschließt, sei ein starkes Signal. „Jetzt aber brauchen wir wirksame politische Werkzeuge, damit die nun anstehende Umsetzung des Beschlusses der Kohlekommission auch tatsächlich die klimaschädlichen CO2-Emissionen senkt“, erklärt der Leit-Autor der Studie Michael Pahle vom PIK. Es bestehe sonst ernsthaft das Risiko, dass ein Kohleausstieg allein durch Abschaltungen von Kraftwerken das Gegenteil von dem bewirkt, was er bewirken soll. „Das wäre für die dringend nötige Stabilisierung unseres Klimas fatal – und es wäre schädlich für das Vertrauen der Menschen in die deutsche Politik und das Ansehen der deutschen Klimapolitik in der Welt.“ Deshalb empfehlen die Forscher, von jetzt an gegenzusteuern: „Mit einer verlässlichen und gerechten Bepreisung von Kohlendioxid“.
CO2-Steuer als Win-win-Situation
„Bereits wenn eine Pioniergruppe aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und wenigen anderen einen solchen Mindestpreis einführen würde, könnte das ein wichtiger Schritt zu einem EU-weiten Mindestpreis sein“, sagte PIK-Direktor Ottmar Edenhofer, der Ko-Autor der Studie ist. Die Kosten der Löschung von Zertifikaten würden auf mehrere Schultern verteilt: "Unter Umständen könnte Deutschland hier sogar Einnahmen erwarten".
Der Mindestpreis sei zudem eine Versicherung gegen die Unsicherheiten auf den Märkten – „und damit letztlich auch gegen die realen Risiken des Klimawandels wie etwa immer mehr Extremwetter“. Auch wäre ein solcher Preis eine Versicherung für die Politik, dass sie glaubwürdig bleibt, meint Edenhofer. „Wenn sie die Bepreisung so gestaltet, dass die Stromsteuer sinkt und insbesondere ärmere Familien Rückerstattungen bekommen, gewinnen am Ende alle.“