Potsdamer Klimaforscher über CO2-Steuer: „Wer verschmutzt, muss zahlen“
Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer, spricht im PNN-Interview über die umstrittene CO2-Steuer, die Entlastung niedriger Einkommen und die „Fridays for Future“-Bewegung.
Herr Edenhofer, die Gelbwesten-Bewegung in Frankreich hatte ihren Ursprung in der Besteuerung fossiler Kraftstoffe. Die französische Regierung musste schließlich dem Druck der Straße nachgeben. Ist eine CO2-Steuer, wie Sie sie seit Jahren fordern, also gar nicht durchsetzbar?
Ein gerechter CO2-Preis ist durchaus machbar. Wenn man Haushalte mit geringem Einkommen überproportional belasten würde, wäre das unsozial und auch politisch nicht durchsetzbar. Aber man kann diese Haushalte entlasten, indem man zum Beispiel die Stromsteuer abschafft und jedem Bundesbürger einen Teil der Einnahmen zu gleichen Teilen rückerstattet. Das begünstigt gerade die Menschen mit geringem Einkommen viel stärker als die mit hohem Einkommen. Der Konflikt zwischen Klimapolitik und sozialem Ausgleich ist also ein Scheinkonflikt.
Ist nicht absehbar, dass unbeliebte ökologische Abgaben einfach abgewählt werden?
Die Deutschen wollen eine effektive Klimapolitik und sind auch bereit, dafür zu zahlen. Spätestens seit dem Dürresommer 2018 wissen doch fast alle, dass uns teure Wetterextreme drohen, wenn wir unser Klima nicht rasch stabilisieren. Die Politik ist mutlos, weil sie glaubt, die Wähler würden ihnen nicht mehr folgen. Die Politik muss den Leuten erklären, dass es nicht darum geht, Menschen zu bevormunden oder zu schröpfen. Es geht darum, dass sich durch einen CO2-Preis die Anstrengungen vieler Menschen zu einer gemeinschaftlichen Anstrengung aufaddieren und das so zu einem Erfolg wird. Bei einem CO2-Preis muss niemand fürchten, dass seine individuellen Anstrengungen verpuffen, weil andere mehr emittieren. Denn dann gilt: Wer verschmutzt, zahlt – wer vermeidet, wird belohnt.
Was macht die Politik falsch?
Bislang sollte Klimapolitik offenbar so umgesetzt werden, dass es die Bürger nicht merken. Das geht nicht mehr: Wir transformieren die gesamte Wirtschaft. Die Leute müssen verstehen, warum das notwendig ist und wie die Lasten fair verteilt werden können.
In Deutschland tut sich die Politik aktuell recht schwer mit einer Steuerabgabe für den Klimaschutz. Was könnte die Entscheidung erleichtern?
Die „Fridays for Future“ machen es uns gerade vor. Die Politik kann sich jetzt nicht mehr hinter der Angst vor den Gelbwesten verstecken. Die jungen Leute fordern, dass wir ihr Zukunftskapital nicht verschleudern. Das kann die Politik nicht ignorieren.
Nicolas Stern hat vorgerechnet, dass Klimaschutz billiger wird als nichts zu tun, dass dies sogar eine eigene Wirtschaftskraft entfalten kann. Welchen Schluss sollten wir daraus ziehen?
Die Schlussfolgerung ist einfach: Wir müssen endlich damit beginnen, die Emissionen zu vermindern. Seit dem Stern-Bericht haben wir doch ein ganzes Jahrzehnt verloren. Die Emissionen sind global gestiegen, und viele Länder, auch Deutschland, haben in neue Kohlekraftwerke investiert. Deutschland hat seit 2011 allein zehn neue Kohlekraftwerke gebaut. Die Verkehrsemissionen steigen weiter. In der Landwirtschaft wird zu wenig gegen den Ausstoß von Treibhausgasen getan. Es ist verrückt: Die von der Politik verkündeten langfristigen Ziele fürs Klima werden immer ehrgeiziger, die Mittel immer halbherziger. Das muss dringend anders werden.
Und wenn bei einer CO2-Steuer am Ende doch Menschen mit niedrigem Einkommen als erste weniger in der Tasche haben?
Wenn wir die Einnahmen rückerstatten und zum Beispiel die Stromsteuer senken, würden einkommensschwache Haushalte nicht belastet werden. Wir haben dies für eine Vielzahl von Konstellationen durchgerechnet. Nehmen wir einen Ein-Personen-Haushalt in einer Kleinstadt mit sehr geringem Einkommen. Dieser gibt zwar über 17 Prozent seines Einkommens für Energie aus, doch profitiert er unterm Strich von Stromsteuersenkung und Rückerstattung. Selbst eine durchschnittliche vierköpfige Mittelstandsfamilie auf dem Land profitiert unterm Strich bei einem CO2-Preis von 50 Euro oder höher; bei geringeren CO2-Preisen wären die Belastungen mit höchstens 40 Euro im Jahr kaum spürbar.
Hat eine Rückerstattung überhaupt einen Effekt: Wenn der Sprit teurer wird, die Bürger die Spanne aber durch Steuerentlastung wieder zurückerhalten – was soll dann gewonnen sein?
Die Belastung setzt am Verbrauch an, die Rückerstattung ist unabhängig vom Verbrauch. Wer nicht sparsam mit Energie umgeht, zahlt mehr – bekommt aber nicht mehr zurück. Wer Energie spart, zahlt weniger und bekommt dann noch genauso viel Geld zurück wie alle anderen, steht also deutlich besser da.
Also wird auf die eine oder andere Flugreise verzichtet. Für ein zweistündiges Treffen in Washington lohnt sich kein Flug.
Ottmar Edenhofer
Berlins Grüne wollen den Individualverkehr weitgehend abschaffen. Eine gute Idee? Verprellt man so nicht die Wähler?
Klar ist: Die Staus in den Großstädten werden zunehmen. Und das Problem kann nicht gelöst werden, indem man mehr Straßen baut. Wir wissen seit langem, dass mehr Straßen zu mehr Verkehr führen, so dass für die Menschen nichts gewonnen ist. Wir müssen deshalb die gegebenen Kapazitäten an Straßen besser nutzen. Das wird nur gehen, wenn wir den öffentlichen Nahverkehr ausbauen und vielerorts eine City-Maut einführen.
Solche Maßnahmen können aber auch zu Ungerechtigkeiten führen.
Es wäre doch gerechter, wenn diejenigen, die verschmutzen, auch bezahlen müssen. Ein CO2-Preis begünstigt umweltschonendes Verhalten und er verteuert klimaschädliches Verhalten. Aber es werden im Gegensatz zu allen anderen umweltpolitischen Instrumenten Einnahmen erzielt, mit denen man für diejenigen Menschen etwas tun kann, die sonst zu stark belastet würden. Es ist ja nicht strittig, dass wir die Emissionen drastisch senken müssen, um die Klimarisiken zu begrenzen. Wenn wir nicht über CO2-Preise lenken wollen, dann bleiben als Möglichkeiten noch Verbote oder Gebote, Subventionen, oder Apelle. Führt man zum Beispiel aber strengere Grenzwerte bei Fahrzeugen ein, müssen alle Käufer die Kosten tragen, gleichgültig ob sie viel oder wenig fahren. Bei der Festlegung solcher Grenzwerte werden aber keine Einnahmen erzielt, mit denen der Staat die Haushalte entlasten könnte. Wirklich ungerecht ist übrigens der Klimawandel, wenn wir jetzt nichts dagegen tun. Wer reich ist, kann sich höhere Versicherungskosten gegen Starkregenschäden oder den Strom für die Kühlung der eigenen Wohnung gut leisten. Wer arm ist, den trifft der Klimawandel viel härter. Nicht nur in Bangladesch, auch bei uns. Davor sollten wir die Menschen schützen.
Schließen sich individuelle Mobilität und Klimaschutz zwangsläufig gegenseitig aus?
Nein. Aber wir brauchen dennoch mehr öffentlichen Nahverkehr und eine klügere Auslastung der gegebenen Straßenkapazitäten.
Elektroautos sind, gerade was die Akkus betrifft, nicht sonderlich umweltfreundlich. Welche Alternativen sehen Sie?
Die Batterietechnik steht erst am Anfang. Ein CO2-Preis schafft hier Anreize für Innovationen.
Wenn wir jetzt alle bei schönem Wetter machbare Wege mit dem Fahrrad erledigen, ist dem Klima aber auch nicht wirklich geholfen?
Aber ihrer Gesundheit.
Die wahren Klimakiller liegen doch woanders, etwa in der Kohlekraft und der mangelnden Wärmedämmung von Gebäuden.
Und darum brauchen wir eine CO2-Bepreisung.
Zum Thema Flugverkehr herrscht eher beschämtes Schweigen. Gibt es hier überhaupt Alternativen jenseits fossiler Treibstoffe?
Ja, aber die sind noch sehr teuer. Aber auch der Flugverkehr muss besteuert werden. Hier sind Innovationen wichtig.
Heute fliegen alle munter in der Welt herum, lässt sich das überhaupt wieder zurückdrehen?
Ein CO2-Preis hat hier zwei Funktionen: Einerseits belohnt er Innovationen und Investitionen in kohlenstoffarme Treibstoffe und energiesparendere Maschinen. Andererseits beinhalten die Preise für Flugtickets dann auch die wahren ökologischen Kosten.
Also?
Also wird auf die eine oder andere Flugreise verzichtet. Für ein zweistündiges Treffen in Washington lohnt sich kein Flug, das kann man auch über eine Videokonferenz erledigen.
Wie lassen sich persönliche Freiheit und der Klimaschutz miteinander vereinbaren?
Ein ungebremster Klimawandel bedroht Freiheit und Eigentum. Wenn extreme Wetterereignisse Haus und Hof regelmäßig zerstören und kein Versicherungsschutz mehr möglich ist, wird unsere Vorstellung von Eigentum sinnlos. Eine freie Marktwirtschaft ist nur möglich, wenn ich für meine Handlungen hafte und wenn Dritte durch mein Verhalten nicht geschädigt werden dürfen. Das Verursacherprinzip ist für das Funktionieren einer Marktwirtschaft grundlegend. Wer die Freiheit will, andere zu schädigen, kann sich auf seinen Egoismus berufen, aber nicht auf das Freiheitsverständnis der sozialen Marktwirtschaft
Fortschritte beim Klimaschutz müssten doch sehr schnell gehen, das war bisher aber kaum der Fall. Eigentlich bewegt sich doch viel zu wenig.
Ja, bisher gab es vor allem ambitionierte Ziele aber keine effektiven Maßnahmen. Das liegt an den recht abstrakten und in der Zukunft liegenden Folgen des Klimawandels – aber auch an dem bisher geringen Druck der Wählerinnen und Wähler.
Durch den ungebremsten Klimawandel bürden wir zudem vor allem Menschen in den Entwicklungsländern Lasten auf, die sie nicht zu verantworten haben.
Ottmar Edenhofer
Die Befürchtung, dass es zu einer Art Ökodiktatur kommen könnte, steht im Raum, gerade bei Populisten. Können Sie hier beruhigen?
Wenn die Populisten die Freiheit fordern, andere zu schädigen und die ökologischen Grundlagen unserer Volkswirtschaften zu zerstören, dann verraten sie nicht nur die Grundprinzipien der Ethik, sondern auch die Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Wir betreiben Klimapolitik vor allem, weil ein ungebremster Klimawandel erhebliche ökonomische Schäden hervorruft, die wiederum enorme politische und soziale Sprengkraft entfalten können. Durch den ungebremsten Klimawandel bürden wir zudem vor allem Menschen in den Entwicklungsländern Lasten auf, die sie nicht zu verantworten haben. Dies ist ungerecht und zerstört die Grundlagen für ein friedliches Zusammenleben der Völker, die ohnehin schon brüchig geworden sind.
Wenn die Bahn günstiger wäre als der Flieger oder das Auto, wäre das sicher auch ein Anreiz …
Natürlich.
Aber?
Wer heute fliegt, trägt nicht die Kosten, die er damit verursacht. Fliegen ist billig, Bahnfahren zu teuer. So einfach ist das.
Die Bahn müsste bei günstigeren Preisen für mehr Fahrgäste ihr Angebot wiederum ausbauen, wodurch die Ticketpreise bekanntlich wieder steigen. Ein Dilemma?
Warum soll das ein Dilemma sein? Die öffentliche Hand wird in den Ausbau von Bahn und öffentlichem Nahverkehr investieren müssen. Es gibt überzeugende Finanzierungsmodelle, wie man das bewerkstelligen kann.
Wie reisen Sie?
Privat kaum, weil ich froh bin, wenn ich nicht reisen muss; dienstlich mit der Bahn, leider aber auch zu häufig mit dem Flugzeug.
Schüleraktivistin Greta Thunberg reist konsequent mit der Bahn. Erwarten Sie hier einen Wandel, dass sich die kommende Generation daran ein Vorbild nimmt?
Ja. Moralische Vorbilder sind wichtig. Trotzdem wäre es falsch, das Klimaproblem vor allem mit moralischen Appellen an den Einzelnen lösen zu wollen. Das Klimaproblem kann nur gelöst werden, wenn die Politik ihre Hausaufgaben macht. Das hat sie bisher verweigert. Aus dieser Verantwortung dürfen wir die Politiker nicht entlassen.
Die Fragen stellte Jan Kixmüller
Lesen Sie weiter auf pnn.de:
Fleisch ist viel zu billig, sagt Johan Rockström vom Potsdamer Klima-Institut im Interview, das sollte sich ändern. Der Staat muss den Menschen dabei helfen.
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