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Potsdamer Knowhow für Digitalisierung: „Keinen Gedanken mehr verschwenden“

Der Direktor des Hasso-Plattner-Instituts, Christoph Meinel, über smarte Städte, in denen die Dinge miteinander kommunizieren, intelligente Ampeln und Mülltonnen, kluge Lösungen für Potsdams Dauerstau und wann Big Data zu Big Brother wird.

Herr Meinel, warum sollte die Stadt der Zukunft smart sein?

Die neuen Technologien bieten enorme Möglichkeiten, Ressourcen und Energie einzusparen. Nehmen Sie etwa den Verkehr, hier können sich Warte- und Fahrzeiten in einer intelligenten, vernetzten Stadt verkürzen. Im Energiebereich lässt sich viel genauer für den jeweiligen Bedarf wirtschaften. Das kann man für alle Bereiche einer Stadt durchdeklinieren. Durch eine Vernetzung können Dinge besser aufeinander abgestimmt werden, damit sie schneller und effizienter laufen. Smart meint insbesondere, dass nicht nur die Menschen, sondern die einzelnen Objekte miteinander vernetzt sind.

Ein Beispiel bitte.

Im Verkehr wäre das die berühmte rote Ampel am Abend, vor der man alleine steht, obwohl die Kreuzung leer ist. Eine smarte Ampel würde die Situation erfassen und in die Richtung des wartenden Autos freischalten. Es geht darum, nicht nach einem festen Takt, sondern nach dem Bedarf zu schalten. Oder nehmen sie die sogenannten Smart-Meter, vernetzte Gas- und Wasserzähler, hiermit können Tarife stündlich gewechselt werden, nicht mehr nur einmal pro Jahr. Die Waschmaschine schaltet sich dann ein, wenn es am günstigsten ist, wenn zum Beispiel viel Wind oder Sonnenenergie produziert wird.

Das muss man nicht mehr selbst machen?

Daran muss man keinen Gedanken mehr verschwenden, das machen die Systeme ganz von alleine. Nicht nur die Menschen erhalten in einer smarten Welt Informationen, sondern auch die Objekte, die dann entsprechend miteinander interagieren.

In einer vernetzten Stadt dürfte es dann auch weniger Verkehrstote geben?

Das ist zumindest eines der großen Ziele der Fahrassistenzsysteme. Ich glaube aber nicht, dass es hier ein 100-prozentige Sicherheit gibt. Menschen machen Fehler und so wird es auch immer in der Technik Fehler geben. Aber laut Statistik ist heute schon die Zahl der tödlichen Unfälle durch technische Hilfsmittel stark gesunken. Durch klugen Einsatz der IT-Technologie wird sich das auch noch weiter senken lassen.

Welche Vorteile gibt es also?

Bei der Energie ist der gezielte Verbrauch der große Vorteil: Die Heizung schaltet sich etwa nur dann ein, wenn sie gebraucht wird – zum Beispiel eine halbe Stunde, bevor man nach Hause kommt. Und wenn man das Haus verlässt, schaltet sie sich automatisch ab. Nicht wie heute zu einem festen Zeitpunkt, sondern wenn sie nicht mehr gebraucht wird.

Wie das?

Wenn das Smart-Phone weiß, wo wir sind, können die Objekte dementsprechend aktiviert oder in Ruhemodus geschaltet werden. Das können die Geräte untereinander auslösen. Im größeren Maßstab wäre das etwa für die intelligente Mülltonne nutzbar, die nur geleert wird, wenn es sein muss. Die Müllautos fahren gezielt intelligent berechnete Routen ab, das spart Energie und belastet die Umwelt weniger. Gerade für die Umwelt ergeben sich auch große Vorteile, wenn etwa in der Industrie nur noch nach Bedarf produziert und geliefert wird.

Inwiefern?

Die Vernetzung macht es möglich, ganz individuelle Produkte herzustellen mit den Vorteilen der Vollautomatisierung. Das geht bislang nur in großen Stückzahlen, die dann auch an den Kunden gebracht werden müssen. In Zukunft werden auch die Materialien mit den Maschinen kommunizieren. Die Systeme wissen dann beispielsweise, dass sie gerade ein Auto speziell für einen bestimmten Kunden herstellen, ganz nach seinen Bedürfnissen und Wünschen. Dieser völlig individuelle Produktionsprozess wird durch Industrie 4.0 möglich.

Was wäre beispielsweise für Potsdam von Vorteil?

Da denke ich natürlich sofort an die smarte Verkehrssteuerung: bei der sich die Ampelschaltung nach der Länge der Autoschlange richtet, um hier einen möglichst effizienten Fluss zu erreichen. So können Fahrer etwa auch auf bestimmte Umwege geleitet werden, damit sie schneller vorankommen. Das spart Zeit, Energie und schont die Umwelt. Es geht dabei natürlich nicht nur darum, Autos, Ampeln oder Mülltonnen mit Sensoren zu versehen.

Sondern?

Dafür ist auch die ganze Infrastruktur dahinter notwendig, die die Verbindung zwischen den Ampeln und die entsprechenden auf Datenanalyse beruhenden Algorithmen bereitstellt, die dann die Steuerung übernehmen. Insofern ist das noch Zukunftsmusik. Aber es fängt heute schon damit an, dass der Bürgerservice der Stadtverwaltungen zunehmend digital genutzt wird. E-Gouvernement ist der Anfang, der es dann später leichter macht, dieses System etwa mit einem Steuersystem für Verkehr oder Abfall zu verbinden.

Bislang sind das nur Visionen – oder gibt es bereits entsprechende Vorbilder?

Von einer vollständig vernetzten Stadt, die alle Möglichkeiten ausschöpft, sind wir noch weit weg. Aber es gibt bereits internationale Vorreiter – etwa Dubai, Barcelona, Singapur aber auch Paris. Auch die große Metropole Nanjing in China soll eine Smart City werden. Dort werden die gesamten Straßen mit Sensoren ausgestattet, mit Kameras und Zählvorrichtungen, aber auch der Bus- und Bahnverkehr. Auf dieser Basis können dann Bewegungen gesteuert werden. Je nachdem wie viele Leute im Bahnhof sind, wird der Takt der Bahnen angepasst. Heute richten wir uns noch nach dem System: Wir schauen auf die Uhr, wann die nächste Bahn kommt. Es wäre aber doch besser, wenn sich die Bahn nach uns richten würde – und auch da anhält, wo man gerade einsteigen will. In einer Stadt, in der viele Menschen voran kommen wollen, macht das dann Sinn.

Aber?

Es ist ein enormer logistischer Aufwand nötig, damit Straßenbahnen oder Sammeltaxis die Route abfahren, auf der sie aktuell gebraucht werden. Mit einem Auto oder einer Ampel ist es nicht getan – es braucht intelligente Systeme. Es muss eine riesige Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden, um Autos autonom fahren zu lassen oder Verkehrsströme zu lenken.

Was müssen die Kommunen tun?

Die müssen zuerst einmal erkennen, worin für sie die Vorteile liegen – etwa in der Einsparung von Ressourcen oder beim Arbeiten mit knappem Personal. Das kann man nicht alles auf einmal machen. Jede Kommune benötigt ein auf die speziellen Bedürfnisse zugeschnittenes Konzept. Das ist erst einmal recht aufwändig, aber wenn man die Infrastruktur im Hintergrund hat, dann lassen sich andere Dienste sehr viel einfacher mit diesen Strukturen verknüpfen. Nehmen sie das E-Gouvernement: Der komplette Ablauf, etwa der für die Anmeldung eines PKW, muss digitalisiert werden, um dann einen entsprechenden Internet-Service anbieten zu können. Ist das erst einmal geschehen, können dann leicht damit zusammenhängende Services angeboten werden.

Woran hapert es aktuell?

Wir hängen meist noch an dieser ersten Stufe fest. Es gibt viele Lippenbekenntnisse, doch die Umsetzung bedarf schon größerer Anstrengungen, und die werden gescheut.

Wo steht Deutschland?

Wir machen es uns wie in allen anderen Dingen auch nicht leicht. Wenn Verkehrsströme über eine Sonde erfasst werden sollen, gibt es eine lange Diskussion, ob das in die Privatsphäre eingreift. Smarte Wasser- oder Gaszähler haben natürlich etwas mit der Privatsphäre zu tun: sie machen Angebote, die genau auf mich zugeschnitten sind – und dafür muss das System meine Bedürfnisse kennen, meine Gewohnheiten, meinen Energieverbrauch. Wenn der Zähler vernetzt ist, wissen auch andere Systeme über meine Gewohnheiten Bescheid und können sich darauf einstellen. Das in Deutschland zu regulieren, ist immer etwas schwierig. Wir mögen keine Experimente – und das reichlich vorhandene Geld ist für solche Innovationen knapp. Die Länder in Osteuropa etwa treibt an, dass es am Ende über die Vernetzung alles viel preiswerter wird.

Warum sind wir so zögerlich?

Manchmal ist es leichter, wenn man auf einer weniger entwickelten Infrastruktur aufbauen kann. Zudem braucht es Sportsgeist und auch eine Risikobereitschaft, um ganz vorne schwimmen zu wollen und zu können. Wir Deutschen sind da oftmals zögerlich – dabei entstehen gerade hier Möglichkeiten und Geschäftsmodelle auch für neue Player. Das macht die Digitalisierung für den Start-up-Bereich so interessant. Sie erlaubt ganz neue Ansätze und ein anderes Herangehen, als bislang bei traditionellen Firmen.

Zum Beispiel?

In der Shared-Economy werden die Dinge gemeinsam genutzt. Das macht flexibler als das Konzept des privaten Autos oder Fahrrads. So werden viel weniger Autos und Räder gebraucht. Natürlich ist es eine ganz andere Frage, ob jeder mit jedem sein Auto teilen will. Aber: Wenn man lernen will, wie Steuerung, Sensoren und die gesamten Systeme funktionieren und wie man das geschickt einsetzt, wäre es gut, wenn man nicht wartet, bis man es aus anderen Ländern kaufen muss. In der Vergangenheit ist es Deutschland immer gelungen, dass die anderen unsere Entwicklungen kaufen, das muss uns zum Wohle von Wirtschaft und Gesellschaft auch diesmal gelingen. Immerhin gibt es bereits an vielen Stellen ernsthafte Bemühungen. Deshalb haben wir uns zur diesjährigen Industrie 4.0-Tagung mit dem Verband der kommunalen Unternehmen zusammengetan – um auch diejenigen, die hier noch abwarten, zum Mitmachen zu motivieren.

Öffnet die digitale Vernetzung der Städte nicht Tür und Tor für Cyberangriffe?

Sicher entstehen durch Vernetzungen neue Angriffsflächen. Viele der Geräte und Dinge, die nun vernetzt werden, wurden ursprünglich gar nicht dafür entwickelt und sind deshalb auch noch nicht ausreichend gesichert. Wir stellen uns diesem Thema in der Forschung und beschäftigen uns beispielsweise mit der Aufgabe, für Internet-of-things Szenarien Techniken zu entwickeln, die Cyberangriffe stark erschweren oder gar automatisch verhindern. Allerdings ist das wie bei keiner Technik zu 100 Prozent möglich. Es gibt Risiken und Fehler – denen aber riesige Potentiale gegenüberstehen. Übrigens machen auch Menschen gelegentlich Fehler.

Ein Sicherheitsexperte hat dazu gesagt, dass man parallel immer auch eine analoge Struktur aufrechterhalten müsse – um etwa ein Ventil in einem Wasserwerk zur Not auch von Hand schließen zu können.

Solche Szenarien sind immer sehr gründlich zu bedenken. Nicht jede Verbindung muss gleich in das weltweite Internet gehen, bestimmte Vernetzungen können auch lokal abgeschirmt werden. Wenn Daten aus dem Internet genutzt werden, lässt sich natürlich ein größerer Mehrwert erzielen – dann muss man sich aber auch darüber im Klaren sein, das dann auch ein Zugriff von außen möglich ist und bestimmte Schutztechniken zum Einsatz bringen. Auch das wird bei uns erforscht.

Verraten Sie uns mehr!

Ein ganz kleines Beispiel: Es gibt die Denial-of-Service-Angriffe im Internet, bei denen ein bestimmter Service im Netz durch multiple Zugriffe überstrapaziert wird. Dann wird es schwer, solche Angebote zu erreichen oder die Dienste stürzen gar ganz ab. Ganz ähnlich gibt es bei den Internet-of-things Denial-of-Sleep-Angriffe, die durch die Provokation überhöhter Aktivitäten die Batterien entladen. Dann ist das betroffene System erledigt und kann seine Funktion nicht mehr ausführen. Wenn ein Gerät im Regelbetrieb in fünf Jahren 50 Mal schalten muss, wird Energie für 500 Schaltungen eingebaut. Das aber lässt sich mit einem Denial-of-Sleep-Angriff in fünf Minuten zunichtemachen, wenn ein Angreifer eine Dauerschaltung auslöst. Wie das verhindert werden kann, ist eine Frage für die Forschung. Wir haben da in einer Doktorarbeit bereits Schutzmechanismen entwickelt: konkret geht es da um Kommunikationsprotokolle, die so klug sind, zu erkennen, dass eine Dauerschaltung keine normale Funktion sein kann - und diese dann verhindert.

Für die Smart City werden große Mengen von persönlichen Daten erhoben – inwiefern besteht dabei die Gefahr, dass aus Big Data irgendwann Big Brother wird?

Momentan ist es noch ein langer Weg bis zu den ersten Smart Cities in Deutschland, die im Idealfall ja die Leistungs- und Lebensqualität der Städte verbessern sollen. Diese Zeit sollten wir nutzen, die zusammenhängenden gesellschaftlichen Entwicklungen und Risiken genau zu analysieren und zu diskutieren, wie Unternehmen und Regierungen mit den Daten der Bürger umgehen dürfen. In besonderem Maße ist hier auch die Politik gefragt, denn wir brauchen klare rechtliche Rahmenbedingungen, in welcher Form Massendaten von Bürgern erhoben und ausgewertet werden dürfen sowie einen IT-Grundschutz. Es gibt bereits gut erforschte statistische Methoden, wie große Mengen von Einzeldaten auf eine Weise zusammengeführt werden können, dass sie zwar eine detaillierte Analyse erlauben – etwa über Bewegungs- und Transportmuster – der Datensatz aber letztlich keine Rückschlüsse mehr über das Verhalten eines einzelnen Bürgers erlaubt. Diese Wege der Datenbeschaffung sind allerdings deutlich aufwändiger.

Was ist mit den Menschen, die am digitalen Leben nicht teilnehmen wollen?

Als der Strom aufkam, gab es ebenfalls die Frage, was mit denjenigen ist, die damit nichts zu tun haben wollen. Heute nutzen alle den Strom. Es würde jemandem in Zukunft also so gehen wie jemandem, der heute ohne Strom in unserer Welt lebt. Der kommt einfach nicht weiter.

Und ältere Menschen, die mit der Entwicklung nicht mehr mitkommen?

Wir leben in einer Übergangszeit. Es gibt mehrere Stellschrauben. Zum einen ist die Bedienung solcher Systeme heute oft lästig. Wenn man sich überall einen Account mit Passwörtern einrichten muss und diese dann wieder vergisst oder Buchstaben vertauscht – das ist viel zu anstrengend. Das muss sich verbessern – und das kann sich verbessern. Hier muss sich die Technik mehr nach dem Menschen richten als umgekehrt. Diesen Ansatz verfolgen wir am HPI mit dem Design Thinking, das bei allen technischen Entwicklungen die Nutzer und ihre Bedürfnisse in den Vordergrund stellt. Andererseits wollen die Menschen aber auch die Vorteile der smarten Welt nutzen. Behördengänge und vieles andere mehr lassen sich dann bequem und ohne Wartezeit von Zuhause aus erledigen. Dies wird viele Menschen dazu bringen, mitzugehen. Erstaunt bin ich oft auch, wie viele ältere Menschen heute schon mit dabei sind – einige nutzen sogar schon Systeme wie Alexa-Assistenten zu Hause, um sich von denen weiterhelfen zu lassen.

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Christoph Meinel (63) ist Direktor und Geschäftsführer des Hasso-Plattner-Instituts für Softwaresystemtechnik und Dekan der Fakultät „Digital Engineering“ an der Universität Potsdam.

Zur vierten Industrie-4.0- Konferenz des Potsdamer Hasso-Plattner-Instituts (HPI) steht am15. Februar 2018 das Konzept der digital vernetzten Smart City im Fokus. Der wissenschaftliche Austausch findet zusammen mit dem Verband der kommunalen Unternehmen statt, um Kommunen zum Mitmachen zu motivieren, so HPI-Chef Christoph Meinel. Die Frage sei, wie öffentliche Einrichtungen und Unternehmen strategische Kooperationen knüpfen können und wie neue Geschäftsmodelle aussehen. Neben HPI-Direktor Meinel sprechen zur Eröffnung Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und die Hauptgeschäftsführerin des Verbands kommunaler Unternehmen Katherina Reiche (CDU). Zudem sind unter anderem auch Matthias Machnig, Staatssekretär Bundesministerium für Wirtschaft und Energie sowie die Berliner BVG-Chefin Sigrid Nikutta zu hören. Das Fazit der Konferenz zieht Katherina Reiche. Kix

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