Potsdamer Klimaforscher über Klima-Ziele von Paris: „Kein Grund zur Entwarnung“
Der Paris-Vertrag soll die globale Erwärmung unter zwei Grad halten. Warum das noch ein weiter Weg ist, welche Rolle die Bekämpfung der Armut hat und welche Chancen es für eine Stadt wie Potsdam gibt, erklärt Klimaforscher Wolfgang Lucht im PNN-Interview.
Herr Lucht, in den Jahren 2014/15 ist es gelungen, den globalen CO2-Ausstoß der Energieversorgung bei jährlich rund 32 Gigatonnen zu begrenzen, trotz eines Wirtschaftswachstums von über drei Prozent. Haben wir es also geschafft?
Der Anstieg der weltweiten CO2-Emissionen war zuletzt tatsächlich geringer als einige Jahre zuvor. Dies zeigt, dass sich möglicherweise endlich etwas tut. Trotzdem gibt es keinerlei Grund, Entwarnung zu geben. Jahr für Jahr werden noch immer große Mengen an klimaschädlichen Gasen direkt in die Atmosphäre entsorgt und sammeln sich dort an. Für eine echte Wende bräuchte es einen kräftigen und nachhaltigen Rückgang der Emissionen. Deshalb müssen dem so klaren Bekenntnis der Staaten der Erde zum Klimaschutz nun auch tatsächliche Fortschritte folgen. Die Abflachung ist vor allem China zu verdanken, das vorher auch für den rasanten Anstieg gesorgt hatte. Die Emissionen der EU dagegen haben 2015 sogar leicht zugenommen, die Werte für 2016 stehen noch aus. 2016 hat auch einen neuen Temperaturrekord gesetzt: kein Jahr seit Beginn der Messungen war wärmer.
In Paris war beschlossen worden, die Erwärmung unter zwei Grad zu halten. Wie groß müsste die Reduktion der Emissionen dafür sein?
Wenn das Pariser Klimaabkommen mehr als ein symbolisches Bekenntnis zur Verantwortung für die Welt gewesen sein soll, muss die weltweite Reduktion klimaschädlicher Emissionen bis zum Jahr 2050 nahezu vollständig sein. Um dies noch zu erreichen, muss der Übergang zu erneuerbaren Energiequellen nicht gemächlich, sondern mit großem Nachdruck umgesetzt werden. Dafür müssen verbindliche Zwischenziele für jedes Jahrzehnt bis 2050 festgelegt werden. Je früher die Emissionen deutlich sinken, desto besser ist es, denn jede zusätzlich emittierte Tonne CO2 trägt zum Klimawandel bei und lässt sich später nicht mehr einfach aus der Atmosphäre entfernen.
Wie kann das Ziel erreicht werden?
Indem Klimaschutz und andere wichtige Entwicklungsziele Hand in Hand gehen. Die Menschheit braucht den Rücken frei, um Aufgaben wie nachhaltige Wohlfahrt, Armutsbekämpfung, geopolitische Stabilität und wirtschaftliche Gerechtigkeit angehen zu können. Dies wird nicht so recht gelingen, wenn gleichzeitig die Umwelt ins Rutschen gerät. Hier können gesellschaftliche Allianzen entstehen, welche auch dem Klimaschutz dienen.
Deutschland galt lange Zeit als Vorreiter, heute traut man sich nicht einmal, den Braunkohleabbau zu stoppen oder den Autoverkehr zu regulieren. Ist das Paris-Ziel so überhaupt noch möglich?
Es ist Aufgabe der Politik, Lösungen zu finden, welche unserer Verantwortung gerecht werden. Dazu gehört, Schritte ehrlich anzusprechen, die notwendig sind. Am Ausstieg aus Kohle, danach auch aus Erdgas und Erdöl, geht kein Weg vorbei. Das muss ausgesprochen werden. Eine dezentrale, flexible, erneuerbare Energieversorgung ist auch aus anderen Gründen attraktiv. Unter der Verkehrslast in den Städten leiden enorm viele Menschen. Hier bietet ein Ende des Verbrennungsmotors ab 2030 riesige Chancen, vor allem auch für eine Stadt wie Potsdam, Klima- und Gesundheitsschutz mit hoher Lebensqualität zu verbinden. Weiter zu expandieren und gleichzeitig den PKW-Verkehr zu reduzieren, wird nicht gelingen ohne einen tiefgreifenden Kurswechsel in der Verkehrspolitik. Potsdam könnte, wenn es denn wollte, hierbei zu einem attraktiven Modell werden. Das erfordert dann aber mehr als Trippelschritte.
Sie betonen die Rolle von Deutschland als Klimapionier. Das Land können der Weltgemeinschaft zeigen, wie das Ende der fossilen Ära herbeizuführen ist. Ist das noch realistisch?
Die Rolle von Deutschland kann hier gar nicht überschätzt werden. Natürlich muss ein hochentwickeltes, reiches, technologisch und wissenschaftlich fähiges Land wie Deutschland vorangehen und der Welt zeigen, dass und wie es geht. Sollen dies die ärmeren Länder tun? Deswegen ist es so unverantwortlich, wenn es bei uns stockt und sogar gebremst wird, obwohl es sich noch dynamischer entwickeln könnte. Wenn wir es nicht tun, tut es vielleicht China und dann wird, abgesehen vom Klima und allem, was davon abhängt, unsere Wirtschaft das Nachsehen haben.
Sie sehen die wissenschaftlichen und technischen Fähigkeiten unserer Gesellschaft als Lösung der heutigen Menschheitsprobleme. Ist dieser Prozess mittlerweile angestoßen?
Man spürt es überall, die Zeichen der Zeit werden zunehmend erkannt und anerkannt. Der Widerstand hat oft schon die Form eines letzten oder vorletzten Versuchs, die Entwicklungen aufzuhalten, die ohnehin kommen. Natürlich ist die große Wende noch nicht da, aber die Voraussetzungen sind technologisch vorhanden. Es gibt marktreife regenerative Energietechnologien, es gibt alternative Transportkonzepte, man könnte beim Bauen viel tun, wenn man es wollte. Nimmt man noch hinzu, dass es natürlich auch in den kommenden Jahrzehnten weitere Fortschritte geben wird, so könnte man optimistisch sein, wenn der Wille da wäre und die Zeit nicht so sehr davonlaufen würde. Letztendlich muss die Menschheit ihre Energie aus den zahlreichen chemischen und thermischen Gradienten der Umwelt beziehen, nicht aus etwas im Grunde so Mittelalterlichem wie dem Feuer in einem Verbrennungsmotor.
Nehmen wir das Braunkohleland Brandenburg – was wäre hier heute notwendig, um eine klimafreundliche Entwicklung einzuleiten, ohne dass Arbeitsplätze der Kohleindustrie verloren gehen?
Natürlich werden die Arbeitsplätze in der Kohleindustrie verlorengehen, alles andere zu behaupten wäre unehrlich. Und natürlich müssen für die betroffenen Regionen und Familien Wege in die Zukunft gefunden werden. Das ist doch aber gerade die Aufgabe der Politik, für solche Herausforderungen auch Lösungen zu finden. Es braucht eine Politik, bei welcher Umweltpolitik, Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik ineinandergreifen und gemeinsam wichtige Ziele verfolgen, anstatt sie gegeneinander auszuspielen. Solche Wandlungen ganzer Regionen sind nicht einfach, aber auch anderswo schon erfolgreich verlaufen. Die verbleibende Zeit sollte genutzt werden.
Um das Klimaziel einzuhalten, müssten weltweit die Emissionen nicht nur gesenkt werden, es bräuchte dazu auch negative Emissionen. Was bedeutet das?
Angesichts der vielen Zeit, die beim Klimaschutz schon vertan wurde, wird nun vermehrt diskutiert, wie man Kohlendioxid aus der Atmosphäre wieder entfernen könnte, das wir dort bereits deponiert haben – was als negative Emissionen bezeichnet wird. Zum Beispiel müsste man den Kohlenstoff, der in entsprechend großflächigen Plantagen als Biomasse angelegt ist, dem Kreislauf für lange Zeiten entziehen, indem man diese in Pflanzenkohle verwandelt und einlagert oder den Kohlenstoff abspaltet und unterirdisch aufbewahrt.
Aber?
Ich sehe das sehr kritisch, denn die Landschaften der Erde sind schon heute unter enormem Druck und brauchen mit Sicherheit keine zusätzlichen Biomasse-Plantagen im Namen des Klimaschutzes. Besser wäre es, die Emissionen schnell genug zu reduzieren, so dass dies gar nicht erst nötig wird.
Eine neue Studie deutet nun aber darauf hin, dass der CO2-Ausstoß unterschätzt wird – bis 2050 würden demnach zusätzlich 55 Milliarden Tonnen im Boden gespeichertes CO2 frei. Macht das nicht alle Bemühungen der CO2-Reduktion sinnlos?
Wir haben schon vor Jahren Berechnungen unserer Computermodelle vorgestellt, die zeigen, dass der im Boden gespeicherte Kohlenstoff durch die Erderwärmung in Bewegung geraten und den Klimawandel verstärken könnte. Die neue Studie zeigt, dass man dies auch aus zahlreichen Messungen vor Ort schließen kann. Das ist ein zu wenig diskutierter Aspekt des Klimawandels. Dies macht natürlich Bemühungen zur CO2-Reduktion nicht sinnlos, sondern ganz im Gegenteil, es macht sie umso dringlicher. Denn diese zusätzlichen Emissionen aus den Böden würden ja nur entstehen, wenn der Klimawandel nicht begrenzt würde. Ein Grund mehr, dies frühzeitig zu tun.
Welche Rolle spielt Methan aus dem Boden für die Erwärmung?
Methan ist ein sehr interessantes Thema, denn es ist ein noch sehr viel stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxid. Den Methan-Kreislauf verstehen wir noch immer nicht vollständig, da er viele und zum Teil komplexe Prozesse umfasst. Die Hauptquellen sind biologische Prozesse in Böden, Feucht- und Permafrostgebiete, Reisfelder, die Verdauung von Kühen und Schafen. Aber auch Erdgas besteht hauptsächlich aus Methan, so dass Leckagen in der Nutzung ein Problem sind. Methan ist ein gutes Beispiel dafür, dass wir nicht sorglos sein sollten, wenn wir massiv in wichtige chemische Kreisläufe der Erde eingreifen. Beim Klimaschutz geht es jedenfalls um mehr als nur um Kohlendioxid.
Entsteht so ein Teufelskreis?
Es ist eine gute wissenschaftliche Frage, ob es eine Erderwärmung geben könnte, die sich ab einem gewissen Punkt selbst verstärkt und unseren Planeten dann komplett aus seinem jetzigen Zustand herauskatapultiert. Es gibt durchaus Effekte, die durch Rückkopplung die Erwärmung verstärken können. Aber eine galoppierende Erderwärmung ist nach bisheriger Erkenntnis eher unwahrscheinlich. Ganz sicher sollten wir uns aber nicht sein, jedenfalls nicht bei einer sehr starken Erwärmung. Wenn wir jetzt aber unsere Hausaufgaben machen und den Klimawandel so gering wie möglich halten, bleibt diese Frage zum Glück eine rein akademische.
2008 haben Sie gesagt, dass die Zeit sehr dränge, mindestens 15 Jahre habe die Menschheit bereits verloren. Seitdem sind weitere acht Jahre vergangen.
Es stimmt, viel Zeit ist verstrichen, nun fehlt sie. Seit 40 Jahren wissen wir über den Klimawandel Bescheid, seit 20 Jahren ist er wissenschaftlich sicher belegt und wird konkret beobachtet. Daher wird jetzt ein schnelles Umsteuern der öffentlichen Planungen weg von den fossilen Infrastrukturen entscheidend sein. Dann kann der jetzige Zustand sehr schnell in eine interessante und möglichkeitsreiche Zukunft gekippt werden. Anders ist unser Wohlstand auch kaum zu sichern. Denn dafür braucht es Bewegung und Erneuerung, nicht Beharren und Verdrängen. Hier muss sich jeder noch einmal klar machen, um was es geht.
Bitte, sagen Sie es uns!
Um die Erde, wie wir sie kennen, um die Landschaften, in welchen wir leben, und damit um die Grundlagen unserer eigenen Welt, und letztlich um Gerechtigkeit. Bis 2025 sollten die Emissionen zu sinken beginnen, bis 2030 keine Kohle mehr genutzt und kein Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden, bis 2040 die Nutzung fossiler Energien dem Ende zu gehen. Wenn das feststünde, würden die alternativen Lösungen aus dem Boden schießen, weil es ein riesiger Markt wäre, an dem alle sich beteiligen würden. Uns mangelt es allzu oft an Phantasie, Visionen und Mut. Aber die Geschichte bleibt nicht stehen.
Wenn das Paris-Ziel nicht erreicht wird, wie schnell werden die Folgen der globalen Erwärmung dann spürbar?
Der Klimawandel wird sich in den kommenden Jahren stark beschleunigen, wenn nichts geschieht. In 25 Jahren wird es sicher keine antiwissenschaftliche Diskussion mehr darüber geben, ob er stattfindet, denn dann wird es jeder direkt erleben. Besonders gefährlich sind die Veränderung von Strömungsmustern in der Atmosphäre und im Ozean. Dafür gibt es bereits heute Anzeichen. Die Strömungen der Atmosphäre bestimmen unser regionales Wettergeschehen. Verschiebungen in diesem System können Stürme bewirken, Kälteeinbrüche und Hitzewellen. Die Strömung der Ozeane ist noch wichtiger, denn sie transportiert gewaltige Mengen an Energie um den Globus. Jede Veränderung bewirkt Verschiebungen im Klima, weil an einer Stelle Energie nicht mehr ankommt, die sich an anderen dann staut. Kollegen haben Analysen vorgelegt, welche beunruhigende Veränderungen beim Energietransport in den Nordatlantik nahelegen. Das hat enorme Konsequenzen, von der Eisschmelze und von Ökosystemen bis hin zur Landwirtschaft.
Ist ein unaufhaltsames Abschmelzen von Grönland bereits in Gang gekommen?
Zumindest können wir nicht ausschließen, dass es in den nächsten Jahrzehnten unumkehrbar in Gang kommt. Wir haben Berechnungen durchgeführt, wonach die Schwelle für ein Abschmelzen von Grönland möglicherweise schon unterhalb von zwei Grad Erwärmung liegen könnte. Dies hätte einen Anstieg des Meeresspiegels um sieben Meter zur Folge. Zum Glück schmilzt Eis langsam, deshalb würde das erst nach sehr langer Zeit voll eintreten. Verhindern können wir den Vorgang aber nur jetzt, in den kommenden zwei bis drei Jahrzehnten.
Sie bleiben trotz allem optimistisch?
Ich muss zugeben, dass ich in einem Zwiespalt bin. Realistisch gesehen ist die Menschheit noch nicht auf dem richtigen Kurs und es ist leicht vorstellbar, dass unsere Zivilisation hier aus Kurzsichtigkeit ein gigantisches Versagen produziert. Andererseits gibt es viele Anzeichen, dass die Dinge in Bewegung kommen und immer mehr Menschen klar wird, dass es wie bisher in keinem Fall weitergehen wird. Es ist Zeit, die Techniken des 20. Jahrhunderts hinter uns zu lassen und die Chancen unserer eigenen Zeit, des 21. Jahrhunderts, zu ergreifen. Solch ein Wandel kann sehr schnell passieren, wenn er erst einmal in Gang gekommen ist. Es ist meine Hoffnung, dass dies gelingen wird. Es wäre jedenfalls völlig falsch, die Flinte vorzeitig ins Korn zu werfen, wo noch gar nichts entschieden ist.
Die Fragen stellte Jan Kixmüller
ZUR PERSON: Wolfgang Lucht (52) ist Leiter des Forschungsfeldes Erdsystemanalyse am Wolfgang Lucht ist zudem assoziiertes Mitglied der Earth League, einem Zusammenschluss führender Klima- und Erdsystemwissenschaftler. Anfang dieser Woche haben Forscher aus aller Welt auf dem Symposium „Transformation now!“ der Earth League am PIK diskutiert, wie soziale, technologische und ökonomische Prozesse ineinandergreifen können, um eine möglichst rasche Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu erreichen. Die Bewältigung des Klimawandels sei eine zivilisatorische Aufgabe von historischer Bedeutung, so die Earth League. Diese Aufgabe berühre auch zahlreiche Aspekte, die über die globale Erwärmung hinaus gehen.
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