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Das Jugendamt in Potsdam.
© Andreas Klaer

Coronakrise in Potsdam: Jugendamt bereitet sich auf mehr Gewalt in Familien vor

Kinderschützer warnen: Isolation kann ohne Hilfe von außen gefährlich werden. 

Potsdam - Das Jugendamt bereitet sich auf einen Anstieg von häuslicher Gewalt in Familien vor, weil im Zuge der Coronakrise nun Schulen, Kindergärten und Sportvereine weitgehend ihre Arbeit eingestellt haben. Auf PNN-Anfrage sagte Rathaussprecherin Christine Homann: „Das Jugendamt ist sich bewusst, dass die aktuelle Situation für Kinder in bestimmten riskanten Umgebungen eine Herausforderung darstellt und wird mit erhöhter Aufmerksamkeit die Situation beobachten.“

Daher sei die Behörde dabei, sich entsprechend der neuen Lage aufzustellen und Arbeitsabläufe so zu strukturieren, „dass es auch auf eine eventuell erhöhte Zahl von Kinderschutz-Verdachtsfällen vorbereitet ist“. Dazu stimme man sich auch eng mit dem Land, anderen Kommunen und Jugendhilfeträgern ab, sagte Homann. Gleichwohl gilt das Amt wie berichtet schon seit Monaten als überlastet.

Kinderschützer warnen bundesweit

Anlass für die PNN-Anfrage sind Warnungen von Kinderschützern bundesweit, dass im Zuge der Coronakrise überforderte Eltern zur Gefahr für Kinder werden können, gerade bei Ausgangssperren. „Die Krise trifft besonders die Kinder von Müttern und Vätern, die schon zuvor aufgrund von Sucht oder anderen psychischen Störungen kaum in der Lage waren, den Bedürfnissen ihres Kindes gerecht zu werden“, teilte etwa der Deutsche Kinderverein mit Sitz in Essen jetzt mit. Und: „Wer gefährdete Kinder für viele Wochen von der Außenwelt abschneidet, braucht Konzepte im Umgang mit Familien, in denen aus der Beziehung von Eltern und Kind eine Beziehung von Tätern und Opfern wird.“

Der Potsdamer Psychologe Günther Esser, ehemaliger Inhaber der Professur für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Potsdam, sagte den PNN am Freitag, die zusätzliche Zeit, die Familien ohne Schule und andere Aktivitäten miteinander verbringen, könne zwar auch zu mehr Gemeinsamkeiten führen. „Zum Beispiel, wenn man nun Zeit zum gemeinsamen Spielen hat“, so Esser. Eine andere Sache seien „angespannte Familienverhältnisse, wo es schon Streit gibt.“ Dort sei zu erwarten, dass dann die Gefahr für häusliche Gewalt nun steige. Solche Familien würden dann gezielte Unterstützung benötigen, zum Beispiel durch Familienhelfer aus dem Jugendamt, so Esser.

Bislang kein Anstieg von Kindswohlgefährdungen

Stadtsprecherin Homann sagte allerdings, bislang sei noch kein Anstieg von Meldungen über eventuelle Kindswohlgefährdungen zu verzeichnen. Gleichwohl machte die Polizei am Freitag einen in anderer Hinsicht krassen Fall von Gewalt in einer Familie publik, Tatort war das Wohngebiet Am Schlaatz: So hat am Donnerstagabend ein Jugendlicher seinen Vater schwer mit einem Messer verletzt. Zuvor habe es in der Familie eine verbale Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn gegeben, sagte eine Polizeisprecherin. Gegen den Jugendlichen werde wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt, mangels Haftgründen blieb er laut Polizei und in Absprache mit der Staatsanwaltschaft auf freiem Fuß. Weitere Hintergründe zu dem Fall nannte die Polizei nicht.

Indes rechnet das Potsdamer Frauenhaus im Zuge der Krise nicht mit mehr Frauen, die Hilfe suchen. „Die Hemmschwelle in ein Frauenhaus zu gehen, ist bereits unter normalen Umständen sehr hoch“, sagte Heiderose Gerber vom Träger der Hilfeeinrichtung, dem Verein Autonomes Frauenzentrum Potsdam. Vielmehr müsse man in diesen Zeiten auch andere Instrumente zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt in den Blick nehmen. „So sind die Betroffenen darauf angewiesen, dass das Umfeld nicht wegschaut.“ So verwies Gerber auf das bundesweite Hilfetelefon gegen häusliche Gewalt unter Tel.: (0800) 0116 016. Dort könne man sich über Handlungsoptionen informieren, so Gerber. So könnten zum Beispiel Nachbarn bei Streitigkeiten deeskalieren – allerdings nur wenn die eigene Sicherheit nicht gefährdet werde. Im Zweifel könne man auch die Polizei rufen. Diese habe die Möglichkeit einen Täter aus der gemeinsamen Wohnung wegzuweisen. „Dieses Instrument muss nun verstärkt eingesetzt werden.“

Auch für das Frauenhaus bedeute die Krise eine Herausforderung, so Gerber. „Wir müssen unsere Bewohnerinnen, aber auch unsere Mitarbeiterinnen wirksam vor der Pandemie schützen, um soweit wie möglich leistungsfähig bleiben.“ Die ambulante Beratung werde am Telefon und schriftlich sichergestellt. 

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