Jubiläums-Interview mit Hasso Plattner: „In einer schönen Stadt ist auch gut studieren“
Hasso Plattner, Stifter des gleichnamigen Instituts für Digital Engineering an der Universität Potsdam, über die nächste technische Revolution, die Untiefen der Digitalisierung, das deutsche Unvermögen zur Vereinfachung und den Fluch der Vermögenssteuer.
Herr Plattner, ein großes Jubiläum steht an: Das Hasso-Plattner-Institut (HPI) wird am kommenden Dienstag 20 Jahre alt. Wie sind Sie damals überhaupt auf die Idee gekommen, das Institut zu gründen?
Es war Winter, ich war auf dem Telegrafenberg spazieren. Da kam mir die Idee, dass es eine schöne Sache sei, eine Universität zu gründen. In diesen Gedanken habe ich mich dann etwas hineingesteigert. Der Spaziergang endete mit einem sehr rutschigen Abstieg, weil alles vereist war. Und dann stand ich vor einem großen Schild, das zur Universität wies. Es gab also schon eine Uni in der Stadt. Damit war die Idee erst einmal ad acta gelegt.
Aber?
Bei einer Talk-Show mit Sabine Christiansen traf ich den damaligen Ministerpräsidenten Brandenburgs Manfred Stolpe. Er schlug vor, nicht gleich eine ganze Universität zu gründen, sondern die Sache etwas kleiner anzugehen. So kam es zu der Idee, ein Institut für Computer Science zu gründen. Ich war später sehr froh, dass das mit der Universität nichts geworden war, denn eine ganze Universität ist unglaublich teuer. Das Institut war teuer genug.
Wie ging es weiter?
Das Institut wurde dann ziemlich schnell an der Universität Potsdam in öffentlich-privater Partnerschaft ins Leben gerufen – mit großem Anteil der Stadt Potsdam und dem Land. Die ersten Seminarräume befanden sich am Luftschiffhafen, nach drei, vier Alternativen landeten wir schließlich am S-Bahnhof Griebnitzsee. Das hat sich im Nachhinein als sehr vorteilhaft herausgestellt, weil Studenten aus Berlin uns sehr einfach mit der S-Bahn erreichen konnten. Wir haben mit drei Professuren begonnen, demnächst haben wir 23. Das Institut wird stetig ausgebaut – und ist mittlerweile Kern der Digital Engineering Fakultät.
Warum Potsdam? Alle Welt ging doch damals nach Berlin.
Und warum sollte ich das dann auch so machen? Was ich in Potsdam erreicht habe, wäre in Berlin mit seinen drei Universitäten und zahlreichen Hochschulen nicht möglich gewesen. Außerdem: Frei nach den Griechen wohnt in einem guten Körper ein guter Geist – und das war Potsdam. In einer schönen Stadt ist auch gut studieren. Die Idee, nach Potsdam zu gehen, dicht an Berlin, hat sich als sehr positiv erwiesen. Ich bin in Grunewald aufgewachsen, ein paar Kilometer vom heutigen HPI entfernt. Das passt für mich.
Ihnen geht der Fortschritt manchmal zu langsam voran. Auch am HPI?
Nein, da konnten wir ja weitgehend machen, was wir wollten. Natürlich ging uns die Berufung von Professoren über die Universität manchmal zu langsam, aber mit den Regeln der deutschen Hochschullandschaft mussten wir eben zurechtkommen. Daher konnten wir auch keine Studiengebühren erheben.
Sie haben immer wieder die Sorge formuliert, dass Deutschland bei der IT den Anschluss verliert, wie einst bei der Unterhaltungselektronik. Wie sieht es heute aus?
Von den 16 größten IT-Unternehmen der Welt sitzen acht in den USA, drei in Japan, drei in China und zwei in Südkorea – Deutschland ist nicht dabei.
Immerhin gibt es nun ja in Potsdam ein Institut, das mit Hana ein System entwickelt hat, das die Datenverarbeitung revolutioniert.
Die Entwicklung des Hana-Systems ist über die SAP tatsächlich sehr erfolgreich geworden. Fast alle SAP-Systeme laufen nun auf Hana. Für die Firma ist das wie ein Jungbrunnen. Global gesehen ist das aber nur ein kleines Segment. Das Wachstum aus Deutschland heraus ist nicht mit dem aus den USA oder China zu vergleichen.
Woran liegt das?
Weil wir wesentlich kleiner sind – der Heimatmarkt ist nur ein Viertel von dem der USA und noch viel kleiner als in China. So gesehen müssen wir mit unserer Position zufrieden sein. Dass die SAP um zehn Prozent pro Jahr wächst, ist erfreulich. Aber wir sind nicht im Land von Facebook, Google und Amazon.
Was ist die nächste technische Revolution?
Die Elektrifizierung der Mobilität. Ich selbst fahre nur noch Tesla, man braucht heute keinen röhrenden Achtzylinder mehr, die Beschleunigung der Elektroautos ist enorm, die Straßenlage ist fantastisch und es ist sauber und macht keinen Krach. Zwischen Frankfurt am Main und Darmstadt gibt es bereits eine Versuchsstrecke für E-Trucks mit Oberleitung. Das wird die Zukunft.
Sie hatten einst gehofft, dass durch den Zeitgewinn des Hana-Systems in den Unternehmen mehr Raum für Kreativität der Mitarbeiter entstehen wird. Was aber, wenn die Unternehmen die Mitarbeiter einfach einsparen?
Das ist zwar denkbar. Aber der technologische Fortschritt lässt sich nicht aufhalten. Sonst machen es die anderen. Die Intention war ja auch nicht, etwas Schlechtes zu machen, sondern etwas Gutes. Viele Dinge können durch das neue System wesentlich beschleunigt werden, es werden sensationelle Verarbeitungszeiten erreicht. Dadurch fällt Arbeit weg, das gibt Freiheit. Wenn die Mitarbeiter diese Freiheit nutzen können, ist ihr Job gesichert. Und immerhin haben wir zumindest in Deutschland einen Fachkräftemangel. Wir müssen uns nun mit den anderen technologisch führenden Ländern, den USA, China, Südkorea und Japan anstrengen. Wir können uns nicht einfach zurücklehnen und sagen, dass wir nicht mitmischen wollen.
Sicher auch im Hinblick auf die Entwicklung und Anwendung Künstlicher Intelligenz?
So vieles wäre heute schon möglich. Mein Lieblingsthema sind Ampeln. Wir reden über Künstliche Intelligenz, aber wir haben immer noch keine intelligenten Ampelschaltungen, die erfassen, wo die Autos herkommen, die ein, zwei Kreuzungen nach vorne schauen - so ließe sich eine dynamische Optimierung schaffen. Nehmen sie die Potsdamer Zeppelinstraße: das ständige Stehenbleiben und Anfahren verursacht eine hohe Umweltbelastung. Das könnte anders geregelt werden. Da hätte ich mir schon lange gewünscht, dass Künstliche Intelligenz eingesetzt wird. Da sind wir einfach zu langsam.
Intelligente Autos könnten zudem tödliche Unfälle verhindern.
So ist es – weil sie mitdenken können. Es ist fantastisch was die nächsten Generationen der Autos alles können. Alle 30 Millisekunden wird die Umgebung gescannt, egal ob ein Kind einen Ball auf die Straße kickt oder ein Fahrrad plötzlich auftaucht. Das wird auch Leben retten können. Dennoch bleibt es dabei, dass unser Gehirn ein fantastischer Prozessor ist, der vor allen Dingen auch in unbekannten Situationen, die noch nie aufgetreten sind, auch noch funktioniert. Bis wir wirklich großflächig autonom fahren können, wird es noch dauern.
Algorithmen können auch in der Medizin helfen. Wie weit ist das HPI hier?
An der Plattner Stiftung arbeiten wir an einer Datenbank für persönliche medizinische Daten. Wenn diese Daten automatisch von Arzt zu Arzt mitgehen, ist schon viel gewonnen. Eine weitere Datenbank in der Cloud ermöglicht die persönlichen Daten anonymisiert für die wissenschaftliche Auswertung zu stiften. In Zukunft kann die medizinische Versorgung zielgerichtet stattfinden: Der groß angelegte Abgleich medizinischer Daten ermöglicht eine für jeden Menschen passgenaue Behandlung. Auf dem Weg dahin gibt es aber noch viele Schwierigkeiten.
Was meinen Sie?
Das System ist wesentlich komplizierter als alles, was ich aus der Datenverarbeitung von Unternehmen kenne. Wir bemühen uns nun aber an verschiedenen Orten der Welt um eine erste Anwendung – das wird voraussichtlich in den USA stattfinden. Dort kommt man schneller voran. Am HPI selbst haben wir für Digital Health eigens drei Lehrstühle eingerichtet, die Professoren sind nun berufen.
Sie haben weit über 200 Millionen Euro in das HPI investiert. Ist das Ziel mit der Digital Engineering Fakultät nun erreicht – oder wird das HPI noch weiterwachsen?
200 Millionen waren nur die Anfangsinvestitionen. Heute haben wir ein Budget von rund 20 Millionen Euro im Jahr, allein die laufenden Kosten betragen rund 240 Millionen. Hinzu kommen noch weitere Kosten für die neuen Gebäude. Mein weiteres Engagement ist vertraglich mit der Universität über die Hasso Plattner Stiftung festgeschrieben. Solang die Stiftung Einkünfte hat, solange es also der SAP gut geht, hat die Stiftung Kapital und kann die vollständige Unterstützung des Instituts leisten.
Welche Rolle spielt für Sie dabei die neuerliche Debatte um die Vermögenssteuer?
Das ist eine absolute Katastrophe. Diese Steuer wird nicht aus wirtschaftlichen, sondern aus politischen Gründen gefordert. Wir haben 50 Milliarden Überschuss in den Staatseinnahmen. Eine Vermögenssteuer zerstört die Wünsche vom Silicon Berlin, Start-up-Unternehmen werden mit einer solchen Steuer nicht gedeihen. Hätte SAP nach ihrem Börsenstart eine solche Steuer aufgebrummt bekommen, hätte die Firma wahrscheinlich nicht überlebt. Heute erwirtschaftet die SAP 1,5 Prozent Dividende, davon müssen 30 Prozent Steuern gezahlt werden, dann bleibt noch ein Prozent übrig. Bei einer Vermögenssteuer in dieser Höhe wären die Einkünfte für die Aktionäre dahin. Die würden dann ihr Kapital woanders anlegen. Das wäre kontraproduktiv, das schadet den Firmen und der Wettbewerbsfähigkeit. Das habe ich seit 30 Jahren den deutschen Politikern erklärt. Das muss immer wieder verstanden werden.
Könnte beim großen Menschheitsproblem Klimaschutz auch ein Institut wie das HPI weiterhelfen, mit künstlicher Intelligenz und smarten Lösungen?
Das ist denkbar, aber gegenwärtig nicht im Zentrum. Was heute passiert ist viel bedenklicher. Die Wälder, die eigentlich das Kohlendioxid binden sollen, werden weltweit mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit abgeholzt. Das ist vollkommen kontraproduktiv. In den USA wurden die Klimaschutzmaßnahmen der vergangenen Jahre zurückgedreht. Die Natur wird zur Bereicherung ausgebeutet. Ich glaube nicht, dass wir gegenwärtig in der Welt einen Fortschritt in der Sache haben. Deswegen darf man zwar nicht aufhören, etwas zu unternehmen, langfristig bin ich aber extrem pessimistisch. Wenn die Menschheit weiterwächst, brauchen wir schnell mehr Energie – und das wird größtenteils nach wie vor mit fossilen Rohstoffen abgedeckt.
Ihre Botschaft an die Trumps und Bolsonaros dieser Welt?
Es sind nicht die, sondern die Menschen, die sie wählen – und sich nicht darum kümmern, was dann wird. Es fehlt Wissen und Information über die Erkenntnisse der Wissenschaft. Nur darüber lästern und sagen, dass alles Fake News sind, hilft nicht weiter. Leider ist es ein weltweites Phänomen, dass die Menschen aus Trotz das wählen, was ihnen wahrscheinlich schaden wird.
Über das Internet wird doch immerhin weltweit Wissen verbreitet.
Zu Beginn des Internetzeitalters dachte ich tatsächlich, dass durch die weltweite Information alles besser wird. Aber das Gegenteil ist eingetreten. Wir sind heute schlechter informiert als in der Zeit, in der uns ausschließlich die Profis aus den Medien informiert haben. Heute kann jeder alles behaupten. Das stärkt nicht unbedingt die Demokratie.
Beobachter sagen auch, dass die Digitalisierung nicht ausreichend gesteuert werde, so Ängste entstehen, die die Menschen in die Hände von Populisten treiben.
Das mag so sein. Die Schwelle, in der Computer Science aktiv zu werden, ist relativ hoch. Das führt dazu, dass viele Menschen das Gefühl haben, da nicht mithalten zu können. Sie fühlen sich abgehängt. Wir bekommen ein soziologisches Problem – was machen wir mit Menschen, die körperlich fit sind, aber nicht programmieren können? Bisher konnten sie mit ihrer Kraft etwas erarbeiten. Dass das nun alles von Maschinen und Robotern ersetzt wird, ist ein großes Problem.
Wo sehen Sie den Potsdamer Informatik-Standort Griebnitzsee in 20 Jahren?
Ich hoffe, dass die geballte Investition in die Digital Health zum Erfolg wird. Ein solches Engagement lässt sich so schnell von keiner anderen deutschen Universität einholen. Das Ganze lebt von den Menschen, die das betreiben, und den Studierenden, die hierherkommen. Beides entwickelt sich im Augenblick äußerst positiv. Wenn wir unsere führende Position halten und etwas zur Entwicklung der digitalen Welt beitragen können, bin ich sehr zufrieden.
Mit der Methode des Design Thinking, die seit 16 Jahren an der Potsdamer D-School des HPI gelehrt wird, sollen Anwendungen und Geräte einfacher und smarter werden. Ich habe aber nach wie vor den Eindruck, dass viele Geräte sich untereinander nicht verstehen – und für viele Menschen immer komplizierter werden.
(lacht) Die Prozessoren und die Kommunikation werden immer schneller. Heute können wir unglaublich viel mehr machen – das zu harmonisieren, bleibt das große Problem. Das ist wie mit den verschiedenen Sprachen der Welt. Es braucht einen enormen Aufwand, um die Dinge zusammenzubringen. Einfache Bedienung ist eine sehr schwierige Aufgabe. Und wir Deutschen haben nicht das größte Talent darin.
Warum nicht?
Weil wir kompliziert denken und komplizierte Dinge entwickeln können. Zur Vereinfachung braucht es aber noch einen weiteren Schritt: Man muss die Dinge mit großem Aufwand noch einmal neu konzipieren. Nur so ist eine bestmögliche Interaktion zu erreichen.
Das Gespräch führte Jan Kixmüller
ZUR PERSON
Hasso Plattner (75) begann nach dem Studium der Nachrichtentechnik seine Laufbahn 1968 bei der Firma IBM. Bereits vier Jahre darauf gründete der gebürtige Berliner gemeinsam mit vier ehemaligen Kollegen den Unternehmenssoftware-Konzern SAP, der heute weltweit 80 000 Mitarbeiter zählt. In Potsdam gründete er vor 20 Jahren das Hasso-Plattner-Institut und finanzierte den Wiederaufbau des Potsdamer Palais Barberini, in dem er 2017 ein Kunstmuseum eingerichtet hat
HINTERGRUND
Im Oktober 1999 beginnt der Studienbetrieb des im Vorjahr als Betriebsgesellschaft gegründeten „Hasso-Plattner-Instituts für Softwaresystemtechnik GmbH“ am Potsdamer Luftschiffhafen. Im gleichen Jahr wird eine gemeinnützige Hasso-Plattner-Stiftung für Softwaresystemtechnik eingerichtet, wissenschaftlicher Direktor ist Siegfried Wendt. 2000 wird der Grundstein für eigene Institutsgebäude auf dem Campus Griebnitzsee in Potsdam-Babelsberg gelegt, 2001 ist die Einweihung. Im Jahr 2004 wird Christoph Meinel neuer wissenschaftlicher HPI-Direktor, Hasso Plattner kündigt einen massiven Ausbau des Instituts in Potsdam und Palo Alto an sowie eine Kooperation mit der Stanford University, er selbst wird Honorarprofessor der Uni Potsdam. Im folgenden Jahr wird das Forschungskolleg HPI Research School und der Wagniskapitalfonds Hasso Plattner Ventures (HPV) gegründet. Im Dezember 2006 findet der erste nationale IT-Gipfel der Bundesregierung am HPI statt, 2007 nimmt die HPI School of Design Thinking ihre Arbeit auf – nach dem Modell der „d.school“ an der Stanford University. 2010 wird der HPI-Erweiterungsbau eingeweiht, 2011 nimmt mit Nanjing in China die dritte Außenstelle des HPI-Forschungskollegs ihre Arbeit auf. Die Bildungsplattform des Hasso-Plattner-Instituts openHPI konnte 2015 rund 200 000 Einschreibungen verzeichnen. Im Zuge der Erweiterung des Hasso-Plattner-Instituts gründen im Jahr 2017 Universität Potsdam und HPI eine gemeinsame Digital Engineering Fakultät, in New York wird eine neue Außenstelle des Instituts gegründet. Im gleichen Jahr startet das HPI den Aufbau des Digital Health Centers unter Leitung von Erwin Böttinger. Bauarbeiten für eine räumliche Erweiterung an der August-Bebel-Straße starten. Das neue Haus F wird 2018 eingeweiht, im November findet die zweitägige Kabinettsklausur der Bundesregierung zur KI-Strategie am Potsdamer HPI statt. Kix
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