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Regionalforscher zum Strukturwandel: „In der Lausitz müssen wir vom Angst-Schüren wegkommen“

Nach den Milliarden-Hilfen: Der Brandenburger Regionalforscher Oliver Ibert warnt vor einem Untergangsdeterminismus in der Lausitz - und zeigt, wie der Strukturwandel gelingen kann.

Herr Ibert, in der Lausitz soll zum Kohleausstieg ein eigenständiger Strukturwandel in Gang kommen. Aus der Bergbauregion soll etwas ganz Neues entstehen. Kann das überhaupt gelingen?

Das Problem ist, dass das Neue oft neben dem Alten entsteht. Also weniger in Erweiterung oder Veränderung des Alten, sondern oft auch in Konkurrenz zum Bestehenden. Daher ist es oft schwierig, etwas Neues aus dem Alten herzuleiten. Das Neue kann etwas ganz Überraschendes sein, das auf den ersten Blick nicht wichtig erscheint – in einer langen Perspektive dann aber am wichtigsten werden kann.

Oliver Ibert.
Oliver Ibert.
© IRS in Erkner

Zum Beispiel?
Nehmen Sie die schwimmenden Häuser, die einst im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Fürst-Pückler-Land entwickelt wurden. Sie wurden anfangs als Nischenprodukt belächelt. Nach fast einem Jahrzehnt hat sich die Idee aber zu einer an die Region angebundenen wichtigen Entwicklungschance gemausert. Da sieht man, wie langfristig solche Prozesse sind, aber auch wie unvermittelt und überraschend das Neue neben das Alte treten kann – und wie schwer es herzuleiten ist. Ich warne davor, sich zu sehr auf den schnellen Ersatz des Bestehenden zu fokussieren. Das ist natürlich wichtig, um die Situation zu moderieren und Ängste zu nehmen, aber das ist nicht das Entscheidende, wenn es um Strukturwandel geht.

Sondern?
Wie gesagt: neue Ideen, von denen man dann hoffen muss, dass sie sich langfristig zu einer neuen Entwicklungsgrundlage auswachsen.

Wie nimmt man dabei die Menschen vor Ort mit?
Ein Ansatz am IRS ist, dass die Problemlagen einer Region auch eine Chance sein können. Bei einem Problem, das typisch für eine Region ist, das in Zukunft aber auch andere Regionen betreffen wird, kann durch die Problemlösung gleichzeitig eine an die Region gebundene Kompetenz entstehen, die auch für andere interessant wird. Neue Entwicklungen abseits oder neben dem Alten können durchaus an regionalen Potenzialen anknüpfen.

Wie kann so etwas aussehen?
Nehmen Sie beispielsweise das sogenannte Spremberger Modell. Es ging um ein Krankenhaus, das sich nicht mehr finanziell getragen hat. Auf Initiative der Ärzte, des Betriebsrates sowie der Leitung wurde eine genossenschaftliche Lösung entwickelt, um das Krankenhaus halten zu können. Aus einem großen Problem für die Region ist ein Modell geworden, das in anderen Regionen auf zunehmendes Interesse stößt. Das ist auch ein Beispiel für etwas Überraschendes, das sich nicht einfach aus der Braunkohleindustrie ableiten lässt.

Doch wie macht man aus Arbeitsplätzen im Bergbau Fachkräfte für IT oder die Energiewende?
Hier hat die Diskussion auf unserem Regionalgespräch in der vergangenen Woche deutlich gezeigt, wie gut eine Versachlichung der Diskussion tut. Die Zahlen der Arbeitskräfte müssen genau betrachtet werden. Nicht jeder der rund derzeit geschätzten 15.000 betroffenen Jobs wird überhaupt oder zumindest nicht sofort zur Disposition stehen. Es handelt sich um einen langfristigen Prozess, während dem auch viele neue Dinge entstehen werden. Ein weiterer Teil der Arbeitsplätze kann vielleicht erhalten bleiben, indem sie sich verändern.

Wie das?
Nehmen sie den Niedergang der Textilindustrie im Westmünsterland. Die Sparte erlebte einen radikalen Niedergang, aber sie wurde nicht ausradiert, sondern hat sich gewandelt. Heute ist die Region ein Zentrum für Textildesign und -marken, für die Ausbildung von Fachkräften, für die Entwicklung von Produktionsmaschinen und für Industrietextilien. In der Lausitz müssen wir von dem Untergangsdeterminismus und dem Schüren von Ängsten – die sich auch instrumentalisieren lassen – wegkommen. Schlimmer ist noch, dass diese Ängste von anderen Problemen ablenken, die es in der Region auch gibt – Fachkräftemangel, ungeklärte Unternehmensnachfolgen.

Sie sind also optimistisch?
Natürlich wird es auch Verlierer geben, Strukturwandel ist immer auch mit Schmerzen verbunden. Dennoch ist eine Versachlichung und Einordnung in der aktuellen Debatte nötig. Zum Beispiel, indem man die Lage mit der Situation in britischen Regionen kontrastiert, in denen es so gut wie gar keine staatliche Unterstützung gab. Dieses Szenario kann seit dem Kohlekompromiss für die Lausitz ausgeschlossen werden. Oder indem man es kontrastiert mit dem Strukturwandel, der bereits in den 1990er-Jahren in der Lausitz stattgefunden hat. Damals gab es eine verheerende Massenarbeitslosigkeit. Damit ist heute nicht zu rechnen.

In den kommenden 20 Jahren sollen rund zehn Milliarden Euro in die brandenburgische Lausitz fließen. Für so viel Geld braucht man eine Menge guter Ideen.
Das könnte in der Tat das Einmalige und Besondere an diesem Strukturwandel sein, dass es hier vielleicht wirklich mehr Geld als Ideen gibt. Zumindest neue Ideen. Es gibt genug Ideen in den Schubläden, die bisher nicht finanziert werden konnten und für die nun Geld da sein könnte. Der Kohlekompromiss birgt eine einmalige Chance für die Region, aber nur wenn es gelingt, einen Großteil der Mittel in zukunftsträchtige, ganz neue Projekte zu investieren.

Die Rede ist vom „Lausitzer Weg“, was wäre dafür notwendig?
So etwas wie eine regionale Entwicklungsagentur wäre eine gute Idee: damit man einen Überblick über die augenblicklich noch vielen dezentralen Initiativen bekommt. Das müsste dann auch in ein übergeordnetes Programm und eine zeitliche Dramaturgie eingefügt werden. Es braucht einen strukturierten Prozess, bei dem Meilensteine gesetzt werden, bei dem nachjustiert werden kann, neue Projektfelder eröffnet und alte geschlossen werden können. Eine solche Instanz wäre nötig, um den auf 20 Jahre angelegten Förderprozess sinnvoll zu gestalten. Und um Dinge im Zusammenhang zu denken, die bislang noch isoliert gesehen werden.

Vielleicht auch ein Lausitzministerium wie es die CDU vorschlägt?
Erfolgreiche Ansätze in der Vergangenheit hatten eher das Modell von in der Region ansässigen, kleinen aber schlagkräftigen Entwicklungsagenturen mit einer gewissen Ferne zur Verwaltung.

Was halten Sie von der Idee, eine Institution wie das Wissenschafts- und Kulturministerium von Potsdam in die Lausitz zu verlegen?
Nicht viel. So etwas ist ein ganz altes Instrument für Strukturpolitik. Mir ist kein einziges Beispiel bekannt, bei dem so etwas großen und nachhaltigen Nutzen hatte. Die Gefahr ist groß, dass solche Einrichtungen dann sogenannte „Kathedralen in der Wüste“ werden, unverbunden mit der Umgebung, kostspielig und mit viel erzwungenem Fernpendeln verbunden. Die Arbeitsplätze kommen so zwar in die Region, aber nicht unbedingt die Menschen, die diese Arbeitsplätze besetzen. Wenn eine solche Einrichtung bei freier Standortwahl nicht an den Standort ziehen würde, kann das natürlich Folgeprobleme haben. Die Einrichtung muss dann, etwa bei der Suche nach Personal, mit dem erzwungenen Standortnachteil dauerhaft umgehen. Ziel muss es vielmehr sein, an regionalen Problemlagen anzusetzen und von da aus Endogenes zu entwickeln, das spezifisch für die Region ist.

Wie schafft man endogene Entwicklung, wenn die Menschen vor Ort offenbar mit ganz anderen Problemen befasst sind?
Endogen heißt ja genau das, sich mit den Problemen vor Ort sehr ernsthaft auseinanderzusetzen. Wichtig ist, beim Strukturwandel einerseits zu schauen, was von dem Vorhandenen bewahrenswert ist. Nicht alles an der Braunkohleindustrie ist schlecht und nicht zukunftsfähig. Die Frage ist, welche Dinge so verändert werden können, dass man sie bewahren kann. Andererseits muss man auch nach den neuen Pflanzen schauen, was neben dem Alten entsteht. Das muss anwachsen dort, das muss mit dem Lokalen etwas zu tun haben. Dabei darf man den Einfallsreichtum der Menschen vor Ort gar nicht unterschätzen. Man muss das nur finden und dann Entwicklung ermöglichen.

Was blockiert derzeit die Entwicklung?
Wenn man an das Neue denkt, sollte man nicht zu schnell in Kategorien von Ersatzarbeitsplätzen denken. Das ist ein selbst auferlegtes Denkverbot, das uns daran hindert, radikalere Lösungen zu finden. Industriearbeitsplätze eins zu eins durch vergleichbare Arbeitsplätze ersetzen zu wollen, weckt eine Erwartung, die innovative Ideen erstickt, weil sie im Anfangsstadium der Anforderung, ein unmittelbarer Ersatz zu sein, gar nicht entsprechen können.

Wie bekommt man den Blick also frei?
Der lange Zeitraum für den Strukturwandel ist eine Chance, weil Änderungen eingeleitet werden können, bevor unmittelbarer Handlungsdruck, etwa durch Stilllegungen, da ist.

Strukturwandel findet nicht nur in der Lausitz statt. Ist es nicht falsch, die ganzen Milliarden in eine Region zu kanalisieren?
Strukturpolitik hat immer auch etwas von „ausgleichender Ungerechtigkeit“. Es geht ja genau darum, eine besonders betroffene Region prioritär zu fördern. Die Kehrseite ist, dass andere dabei herunterfallen. Andere Regionen fragen zu Recht, warum nicht auch sie gefördert werden. Aufgrund der hohen Summen, die im Raum stehen, könnte sich diese allgemeine Problematik verschärfen. So ein regionaler Wandel sollte nie unter einer Käseglocke stattfinden. Die Austauschprozesse zwischen den Regionen sind sehr wichtig. Eine regionale Identität ist wichtig, allerdings nicht zum Abschotten, sondern als Basis für einen selbstbewussten Austauschprozess mit anderen Regionen.

Ein Beispiel bitte!
Neue Energietechnologien sind beispielsweise kein regionales Thema. Die Frage ist nun, welche Rolle die Lausitz in einem größeren System der erneuerbaren Energien spielen kann, welchen Teil der Wertschöpfung die Region zur Energiewende beitragen kann. Das ist keine Frage von regionaler Abschottung, sondern dabei geht es natürlich auch um Interaktion mit anderen Räumen.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller.

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