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Die Initiative Mitteschön protestierte gegen die Straßenbenennung
© Manfred Thomas

Potsdamer Straßennamenstreit: Historiker befürwortet neue Straßennamen

Der Potsdamer Zeithistoriker Martin Sabrow sieht gute Gründe für weibliche Straßennamen in der Mitte. Die Initiative Mitteschön demonstrierte dagegen.

Potsdam - Drei Frauen als Namensgeberinnen für historische Straßen in der neu entstehenden Potsdamer Mitte: Aus Sicht des Historikers Martin Sabrow ist das kein Problem. Auf PNN-Anfrage sagte der Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF): „In dem Fall handelt es sich nicht um Um-, sondern Neubenennungen.“

Sabrow sagte, für ihn stehe die „namenspolitische Ehr-Würdigkeit“ der drei Frauen außer Frage: „Und der Vorschlag entspricht einem Drängen unserer Zeit hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit.“ Er wisse nicht, was daran auszusetzen sei, dass ein städtisches Gemeinwesen dieses Anliegen nach Geschlechtergerechtigkeit „auch und gerade an den Orten sichtbar zu machen versucht, die es mit viel Geld und Beharrlichkeit neu entstehen lässt“.

Rekonstruktion nicht mit dem verlorenen Original verwechseln

Kritik könne sich daher nur „auf die historische Authentizität stützen, die durch eine aktualisierende Neubenennung verletzt würde“, so Sabrow. Doch im Fall der Potsdamer Mitte sei „diese Authentizität aber ohnehin geborgt, weil es sich um Nachschöpfungen aus Gegenwartsinteresse handelt“. Insofern wäre „das Spiel der Gegensätze“ zwischen historischem Stadtgrundriss und gesellschaftspolitisch motivierter Neubenennung reizvoll – „und es würde Potsdam-Besucher weniger der Gefahr aussetzen, eine städtebauliche Rekonstruktion mit dem verlorenen Original zu verwechseln“, sagte Sabrow. Zugleich warnte der Historiker aber auch, dann weiter bestehende Straßennamen mit monarchischem Bezug – wie die Schlossstraße – anzutasten: „Das wäre bornierte Bilderstürmerei.“

Wie berichtet hatte der Kulturausschuss zuletzt mit breiter Mehrheit entschieden, dass die neu entstehenden Teile der Schloss-, der Schwertfeger- und der Kaiserstraße jetzt Anna-Zielenziger-, Erika-Wolf- und Anna-Flügge-Straße heißen sollen - ein Vorschlag aus der Initiativgruppe „Frauenwahllokal“, die gerade an 100 Jahre Frauenwahlrecht erinnert.

Mitteschön protestierte gegen die neuen Straßennamen

Doch dagegen regt sich Protest: Am Mittwochabend veranstaltete die Bürgerinitiative Mitteschön mit einigen Dutzend Unterstützern eine Protestaktion vor der Nikolaikirche. Die Initiative hatte schon im Vorfeld erklärt, „politisch motivierte Straßennamen gehören nicht in einen Stadtkern, denn sie unterliegen den wechselnden Zeiten“. 

Vor Ort wurden Postkarten verteilt, auf denen eine Potsdamerin einer Touristin den Weg zum Stadtschloss erklärt: „Da gehen Sie die SPD-Straße links, die CDU-Straße rechts und dann zurück zum anders-linksgrünen Platz“ – das erinnert an den Schmähbegriff „linksgrün-versifft“. Außerdem war auf einem Transparent zu lesen, man müsse konsequent Frauen ehren und Straßen zurückbenennen. Als Beispiel erwähnt wurde etwa die nach der letzten deutschen Kaiserin benannte Auguste-Viktoria-Straße – die seit 1945 nach dem norwegischen Polarforscher benannte heutige Nansenstraße.


Mitteschön sieht die eigene Position auch gestärkt, weil sich die Tochter von Erika Wolf öffentlich zu Wort gemeldet hat – und das Vorhaben in der „Märkischen Allgemeinen“ kritisierte. „Sie wäre damit nicht glücklich“, so Maria von Pawelsz-Wolf. Ihre 2003 verstorbene Mutter war Bundestagsabgeordnete und Ehrenvorsitzende der CDU Brandenburg. Den PNN bestätigte von Pawelsz-Wolf die Aussagen. So hätte ihre Mutter natürlich eine Straßenbenennung verdient: „Allerdings sollte dies dann bei einer neuen Straße erfolgen und nicht in Form einer Umbenennung eines historischen Ortes.“ Sie sei von den Plänen überrascht worden, niemand aus der Familie sei in Kenntnis gesetzt gewesen. Von Pawelsz-Wolf ist selbst CDU-Mitglied. In der Partei gibt es konträre Positionen zu der Namensfrage.


Bei den anderen beiden Frauen geht es einmal um Anna Zielenziger, die 1943 in einem Lager der Nationalsozialisten gestorbene frühere Leiterin des jüdischen Frauenvereins in Potsdam. Und um Anna Flügge, die sich von 1929 bis 1933 als SPD-Stadtverordnete engagierte.

Der Linke-Stadtverordnete Sascha Krämer verteidigte am Donnerstag noch einmal das Anliegen der Neubenennung: „Da in den letzten Jahrzehnten die Frauen bei den Straßenbenennungen etwas übergangen wurden, ist es sinnvoll, wenn wir verstärkt Frauen – nicht nur, sondern auch – über Straßenbenennungen aus dem Dunkel heben und ins gesellschaftliche Bewusstsein der Stadt rücken. Und nicht an den Rand der Stadt, sondern in der Mitte. Dort gehören sie hin.“ Die Stadtverordneten müssen die Namen noch absegnen.

Und Historiker Sabrow? Zu der Frage, ob sich aus dem Streit etwas lernen lasse, sagte er: „Vermutlich nichts – außer dem einen, dass eine Stadt, in der gestritten wird, damit zeigt, dass es ihren Bürgern nicht egal ist, wo sie leben.“

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