Diskussion über umstrittenes Glockenspiel: „Es kam damals regelrecht über uns“
Der Kulturausschuss debattierte die heikle Herkunft des Iserlohner Glockenspiels. Und jetzt? Verhüllen?
Potsdam - Immer wieder war die Diskussion im Kulturausschuss vertagt worden, am Donnerstag kam sie nun endlich auf den Tisch: Soll das Iserlohner Glockenspiel, das 1991 an der Plantage unweit der Garnisonkirche aufgestellt und 2019 nach großen Protesten abgeschaltet wurde, eingeschmolzen werden? So hatten es Grüne und Linke im August 2020 gefordert. Eine Entscheidung gab es auch am Ende dieses diskussionsfreudigen Ausschusses nicht – dafür jedoch die Erkenntnis: Glockenspiel und Garnisonkirche sind inhaltlich nicht voneinander zu trennen. Auch wenn Grünen-Politikerin Saskia Hüneke mehrfach vor „Pauschalisierung“ warnte.
Am Ende eines intensiven Austauschs zwischen den politischen Lagern stand der Beschluss, die vorliegenden Anträge zum Glockenspiel zurückzustellen – bis das inhaltliche Konzept für den Standort Garnisonkirche/Rechenzentrum steht. Oberbürgermeister Mike Schubert hatte im Versuch, zwischen den Parteien an der Plantage zu vermitteln, einen Stufenplan entwickelt: Phase zwei von vier ist die Konzeptfindung. Im Kulturausschuss wird damit gerechnet, dass diese im November oder Dezember geschafft ist.
Tief im Westen
Der zweite, ebenfalls zurückgestellte Antrag war von der Fraktion Die Andere gekommen. Diese hatte im August 2020 den Impuls der Einschmelzung aufgenommen, jedoch andere Forderungen damit verknüpft: „entsprechende museale und geschichtliche Aufarbeitung“. Eine unkommentierte Vernichtung des Glockenspiels komme einer Auslöschung der eigenen Geschichte gleich. Mindestens zwei Glocken seien zu erhalten, das Gerüst möge Klettergerüst für Kinder werden – und eine Dokumentation solle die Geschichte des Glockenspiels nachzeichnen. Die begann in den 1980er Jahren nicht in Potsdam, sondern tief im Westen. In Iserlohn, NRW.
Wie eng hier bundesdeutsche Geschichte mit Potsdamer Stadtgeschichte verbunden ist, wie wenig sich Überlegungen zum Wiederaufbau der Garnisonkirche vom Iserlohner Glockenspiel trennen lassen – das machte Historiker Dominik Juhnke, Wissenschaftler am ZZF, deutlich. Er war geladen worden, um sein Gutachten „Über die Geschichte des nachgebauten Glockenspiels der Garnisonkirche“ vorzustellen.
In einem Umfeld der festgefahrenen Positionen wurde von Juhnke Neutralität erwartet. „Es war ein Luxus, keine politische Meinung zu haben“, sagte er eingangs – anders als Philipp Oswalt etwa, dezidierter Kritiker der Garnisonkirche, der ebenfalls Rederecht erhielt. Anhand von Zeitdokumenten vertiefte Juhnke seine These, dass das in den 1980er Jahren nachgebaute Glockenspiel ein zutiefst westdeutsches Projekt war: Resultat „konservativer Akteure aus Politik, Militär und Gesellschaft der Bundesrepublik der 1980er Jahre.“
„Ostpreußen-Nostalgie und Preußen-Romantik“
Spenden wurden durch Veteranenkameradschaften oder Vertriebenenverbände organisiert. Was Spender einte: „Ostpreußen-Nostalgie und Preußen-Romantik“. Die Unterstützung lasse sich unter anderem als nationalkonservativer Protest „gegen die politische Anerkennung der Oder- Neiße-Grenze in den 1970er Jahren interpretieren.“ Zur Einweihung kamen 1991 Kaiserenkel nach Potsdam.
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Ein Foto zeigt, dass auf der größten, der „Freiheitsglocke“, die Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 zu sehen waren. Das Relief verschwand dann bald. 14 Glocken sind heute ohne Inschriften. „Es müsste Potsdams ureigenstes Interesse sein, herauszufinden, was auf den Glocken stand“, folgert Juhnke. Dabei geht es ihm nicht um „bedingungslosen Erhalt“, sondern um eine tiefere Auseinandersetzung mit der „verflochtenen Ost-West-Geschichte.“
Juhnkes Vortrag traf auf einhelligen Applaus – die Schlussfolgerungen freilich waren höchst unterschiedlich. Das Glockenspiel und seine Geschichte berge einen Auftrag, der sich nicht nur an Potsdam richte, sagte Sarah Zalfen (SPD) in Anspielung auf reaktionäre Kräfte in der BRD. „Brauchen wir das Glockenspiel, um uns mit der Geschichte zu beschäftigen?“, fragte Saskia Hüneke. Es sei doch letztlich vor allem Musikinstrument, befand Klaus-Rainer Dallwig (CDU), „und Musikinstrumente schmilzt man nicht ein.“ Da stimmte ihm Carsten Linke (Die Andere) zu – jedoch aus anderen Gründen.
Geschenk wurde gern angenommen
„Einschmelzen wäre der verkehrteste Weg“, sagte er, und betonte, Potsdam habe das Geschenk aus Iserlohn damals gern angenommen. Auch Juhnke schreibt: „Die Glockenspielkopie wurde der Stadt Potsdam 1991 nicht aufgezwungen.“ Hans- Jürgen Scharfenberg (Linke) erinnerte sich jedoch: „Es ist damals regelrecht über uns gekommen“. Jetzt ist „es“ da, und wird nicht nur den Kulturausschuss weiter beschäftigen. Aber was derweil tun? Beate Goreczko (Die Andere) forderte ein Moratorium, um in Ruhe Konsequenzen zu überdenken. Von Frank Reich (SPD) kam der Vorschlag, „es“ vorerst zu verhüllen.
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