Interview mit Thomas Drachenberg zum Glockenspiel: „Einschmelzen ist nicht nachhaltig“
Landeskonservator Thomas Drachenberg rechtfertigt die Entscheidung zum Denkmalschutz für das umstrittene Glockenspiel auf der Potsdamer Plantage.
Herr Drachenberg, warum hat das Landesamt für Denkmalpflege das Glockenspiel der Garnisonkirche unter Denkmalschutz gestellt?
Da gibt es zwei Gründe – der eine ist formal und der andere inhaltlich: Formal gesehen haben wir eine schriftliche Anregung von dritter Seite bekommen. Wir sind gehalten, allen Anregungen auf Eintragung in die Landesdenkmalliste prüfend nachzugehen. Die Prüfung hat ergeben, dass das Glockenspiel mehrere im Denkmalschutzgesetz verankerte Kategorien erfüllt, die für eine Eintragung Voraussetzung sind. Das Glockenspiel ist damit als Denkmal durch Gesetz geschützt, die Eintragung dokumentiert dies nur noch. Die wichtigste Kategorie ist die geschichtliche – auch die ideologiegeschichtliche Bedeutung. Was ist da eigentlich in Iserlohn vor und nach 1989 und in Potsdam nach 1989 passiert? Zudem hat es städtebauliche Bedeutung auf der Plantage, wobei hier die direkte Beziehung zum Neubau des Turms der Garnisonkirche wichtig ist, nicht der genaue Standort selbst. Nicht zuletzt handelt es sich um eines der besten Glockenspiel-Instrumente in Deutschland – das wäre dann die musikgeschichtliche und technische Bedeutung. Das alles haben nicht wir erforscht, sondern jüngst Dominik Juhnke vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam im Auftrag der Landeshauptstadt. Der Oberbürgermeister sagt zu Recht, dass es noch weiteren Forschungsbedarf gibt. Wir sehen das auch so.
Bleiben wir kurz bei den Formalitäten, bevor wir auf den Inhalt kommen: Wieso handeln Sie nicht transparent und nachvollziehbar für die Öffentlichkeit, indem Sie den Namen derjenigen Person, die die Unterschutzstellung angeregt hat, bekannt geben?
Selbstverständlich handeln wir transparent und nachvollziehbar. Unser Gespräch macht das ja deutlich. Transparenz kann aber nur soweit gehen, wo Persönlichkeitsrechte nicht betroffen sind. Wir alle sind an die Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung gebunden, die die Weitergabe der Daten Dritter untersagt. Im Übrigen ist es für unsere Arbeit und letztlich auch für den Ausgang völlig unerheblich, von wem die Anregung zur Prüfung des Denkmalwertes stammt. Auf das Ergebnis der Prüfung hat das keinen Einfluss, denn sie erfolgt objektiv und allein unter denkmalfachlichen Gesichtspunkten, die im Denkmalschutzgesetz verankert sind.
Aber Sie können doch nachfragen, ob die Person einverstanden ist.
Das haben wir tatsächlich getan angesichts der vielen Nachfragen. Mir ist jedoch aus den beschriebenen Gründen nicht so ganz klar, was diese Frage mit der Vergangenheit und Zukunft des Glockenspiels zu tun hat.
Ist es üblich, dass Besitzer von Denkmalen – also in diesem Fall die Landeshauptstadt Potsdam – außen vor bleiben bei der Bewertung?
Die Inventarisation, also die Erkenntnis des Denkmalwertes und seine Erforschung ist eine wissenschaftliche Aufgabe, die unabhängig von tagespolitischen Realitäten stattfindet und von Fachleuten bei uns auf der Landesebene in großer Unabhängigkeit erledigt wird. Das ist übrigens seit Karl Friedrich Schinkel und Ferdinand von Quast eine bewährte Säule im dualen System der Denkmalpflege. Der Denkmalwert ist vorhanden oder er ist nicht vorhanden – unabhängig davon, wie die einzelnen Verhältnisse sind. Sie können aber davon ausgehen, dass wir auf vielen Ebenen sehr guten Kontakt zur Landeshauptstadt Potsdam haben – das ist selbstverständlich.
Werden Besitzer von Denkmalen begleitet beim Umgang mit Denkmalen? Wenn ja, inwiefern?
Sie sprechen die zweite Phase des erwähnten dualen Systems an: Die Denkmaleigentümerinnen und -eigentümer werden von den unteren Denkmalschutzbehörden und auch von unseren Fachleuten und Spezialisten beraten, um machbare und Strategien der Erhaltung eines Denkmals zu finden. Die unteren Denkmalschutzbehörden werden durch die Landräte und Oberbürgermeister vertreten. Sie entscheiden im Benehmen mit dem Landesamt für Denkmalpflege.
Was heißt das im Fall des Glockenspiels?
… dass der Oberbürgermeister mit seinen Fachleuten der unteren Denkmalschutzbehörde eine denkmalrechtlich gute Entscheidung treffen kann.
Was heißt in diesem Fall „gut“?
Der festgestellte Denkmalwert muss erhalten bleiben, das heißt es gibt viele Möglichkeiten im direkten Umfeld des Turmneubaus der Garnisonkirche, die die Stadtgesellschaft ja auch schon diskutiert. Der bereits stattfindende öffentliche Diskurs über dieses schwierige und umstrittene Denkmal ist ausgezeichnet und trägt zur Nachhaltigkeit bei. Einschmelzen ist nicht nachhaltig!
Gab es bereits zuvor Anträge auf Unterschutzstellung des Glockenspiels, die abgelehnt wurden?
Nein, es gab zuvor keine Anregungen zur Prüfung des Denkmalwertes.
Sie sagten, der bisherige Aufstellort des Glockenspiels ist nicht zwingend, wichtig ist ein Ort im Umfeld der Plantage. Wie weit reicht dieses Umfeld?
In unserer gutachterlichen Äußerung zum Denkmalwert wird die bewusst gewählte Nähe zum Turmneubau der Garnisonkirche angeführt. Hier gibt es viele gute Möglichkeiten über den jetzigen Standort hinaus.
In der Begründung zum Glockenspiel heißt es: „Als zeithistorisches Zeugnis dokumentiert es die gesellschaftlichen Debatten in Potsdam.“ Welche Art von Debatte muss es sein?
Vorhin habe ich etwas von Kategorien gesagt, die für eine Listung auf der Landesdenkmalliste erfüllt sein müssen. Sie können auch sagen: Denkmale sind dann Denkmale, wenn sie besondere Geschichten erzählen. Und wir sollten es als Qualität einer demokratischen Gesellschaft begreifen, dass zur originalen Substanz viele Sichtweisen und Geschichten existieren, die alle ausgesprochen und einander erzählt werden müssen. Das stärkt unsere Gesellschaft. Unsere Geschichten sind dann stark und lebendig, wenn sie durch neue Forschung und Erkenntnisse und gemeinsame Erlebnisse ergänzt werden. Wir von der Denkmalpflege sagen, dass man dies beim Glockenspiel am besten anhand des vorhandenen Originals vom Ende des letzten Jahrhunderts tun kann. Die heute noch widersprüchlichen Fakten müssen dabei die Basis sein. Etwas zu vernichten und einzuschmelzen birgt die Gefahr neuer Mythen, und das Vernichten ist im Grunde auch Quelle von Rekonstruktionsbestrebungen. Ich kann daher als Denkmalpfleger nur sagen: Erhaltet den Bestand, der eine besondere Geschichte erzählen kann!
Wurde die Begründung eines „Zeugnis, das gesellschaftliche Debatten dokumentiert“ bereits bei anderen Objekten oder Gebäuden in Brandenburg, speziell Potsdam, für eine Unterschutzstellung herangezogen? Wenn ja bei welchen?
Sie sprechen die strittigen und unbequemen Denkmale an. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, dass vor einigen Jahren die Stadt Guben das Wilhelm-Pieck-Denkmal, das sie noch 1976 als Wilhelm-Pieck-Stadt zu seinem 100 jährigen Geburtstag errichtet hat, wegreißen wollte. Das bereits in DDR-Zeiten unter ganz anderen Vorzeichen unter Schutz gestellte Denkmal hatte einen ideologiegeschichtlichen Wert. Sie können daran ablesen, wie die Propaganda in der DDR funktionierte – und es ist noch heute ein hervorragendes Kunstwerk. Es gab eine landesweite öffentliche Debatte. Letztendlich hat der dortige Bürgermeister, der einer christlichen Partei angehört, mit unserer Beratung das Denkmal konserviert. Eine Tafel erklärt die Entstehung und die verschiedenen Sichtweisen. Hier habe ich auch zum ersten Mal sehr deutlich gemerkt, dass wir von der Denkmalpflege oft mit unseren Schützlingen verwechselt werden. Weil Wilhelm Pieck ein Kommunist der Stalinzeit war, muss die Denkmalpflege das ja gut finden, wenn sie für die Erhaltung ist... Tatsächlich helfen wir aber, das Original zu bewahren, das uns bei der Aufarbeitung unserer Geschichte hilft. Das hat sich ja beim Glockenspiel in Potsdam auch wiederholt: So musste ich in einer Pressemitteilung lesen, dass wir einen Tabubruch begangen hätten, indem wir ein Denkmal der „Neuen Rechten“ unter Schutz gestellt hätten. Die Geschichte des Glockenspiels und damit unsere eigene Geschichte ist komplizierter und nicht auf Parolen zu reduzieren. Mir scheint, der Tabubruch war schon am 14. April 1991, dem Tag der Aufstellung in Potsdam.
In der Begründung zur Unterschutzstellung des Glockenspiels heißt es weiter: „anhand originaler Substanz“: 1990/91 wurden bereits Inschriften und Gravuren von einigen Glocken abgeschliffen. Wie begegnen Sie Widersprüchen, dass es dadurch keine „originale Substanz“ sein kann?
Die Veränderungen sind Teil der originalen Substanz – an jedem Denkmal ist das so – auch hier.
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Das unter Schutz gestellte Glockenspiel hat auch einen „Wert als Musikinstrument“: Vor diesem Hintergrund: Muss das Glockenspiel wieder in Betrieb genommen werden? Welche Sanktionsmöglichkeiten hat das Landesamt für Denkmalpflege, auf den Besitzer, die Stadt, Druck auszuüben, dass das geschieht?
Wir wünschen uns einen breiten gesellschaftlichen Konsens und unterstützen sehr die Bestrebungen des Oberbürgermeisters. Wir werden auf niemanden „Druck ausüben“ – das können wir als Denkmalfachbehörde auch gar nicht, weil der Oberbürgermeister als untere Denkmalschutzbehörde in der Abwägung aller Belange eine verantwortliche Entscheidung in Kenntnisnahme der bereits erfolgten und noch anstehenden Diskussionen trifft.
Wurde dieser ideologiegeschichtliche Wert bereits bei anderen Objekten oder Gebäuden in Brandenburg, speziell in Potsdam zur Begründung des Denkmalschutzes herangezogen? Wenn ja, bei welchen?
Ich hatte bereits von Guben berichtet, in Potsdam fallen mir sofort die Gedenkstätten in der Lindenstraße und der Leistikowstraße ein. Da durchkreuzen sich zum Teil mehrere Ideologien in der früheren Nutzung der Gebäude. Doch bei beiden Denkmalen kann uns die Substanz noch so viel Lehrreiches erzählen.
Welche Unterschiede sieht das Landesamt für Denkmalpflege in den Bewertungen von Glockenspiel und nicht unter Schutz gestellten Objekten wie Fachhochschule, Haus des Reisens, Mercure, „Minsk“?
Das ist eine gute Frage. Zum einen müssen wir akzeptieren, dass der Zeitpunkt einer Prüfung zum Denkmalwert immer auch wieder eine Rolle spielt in der Frage, wie ich etwas möglichst objektiv einschätzen kann. Nicht umsonst hat die Ostmoderne heute einen anderen Wert als in den frühen 1990er Jahren, in denen viele Entscheidungen in Potsdam getroffen wurden, die heute umgesetzt werden. Es bedarf bisweilen eines gewissen zeitlichen Abstandes, um die den Denkmalwert definierenden Eigenschaften eines Objektes identifizieren zu können. Zum anderen spielen Fragen der Erhaltungsfähigkeit und das Maß einer authentischen Überlieferung, also vereinfacht gesagt der Zustand, eine wesentliche Rolle. Diese Punkte im Einzelfall intensiv zu prüfen, ist Aufgabe der Fachleute in unserem Haus.
Wie bewertet das Landesamt für Denkmalpflege vor dem Hintergrund der Begründung zur Unterschutzstellung des Glockenspiels die Bedeutung des Rechenzentrums als „zeithistorisches Zeugnis, das die gesellschaftlichen Debatten dokumentiert“?
Es sind hier Anregungen eingegangen, die wir sorgfältig prüfen werden.
Thomas Drachenberg, 59, ist seit 2012 Landeskonservator und stellvertretender Direktor des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseums.
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