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Die Baustelle des Turms der Garnisonkirche.
© Andreas Klaer

Forschung zur Garnisonkirche in Potsdam: „Ein Walhalla deutscher Gotteskrieger“

Wiederaufbau-Kritiker haben Erkenntnisse zur Rolle der Kirche im preußischen Nationalprotestantismus publiziert. Stiftung Garnisonkirche kündigt Auseinandersetzung mit Vergangenheit an.

Potsdam - „Ihr seid aber auch die Streiter Gottes, die nicht ruhen dürfen, bis sein heiliges Wort für alle Völker gilt! Nicht Friede darf werden auf Erden, bis das heilige Evangelium der Glaube aller Völker ist.“ So predigte Divisionspfarrer Johannes Kessler am 26. Juli 1900 in der Garnisonkirche Potsdam zu den Soldaten, die zur Niederschlagung des Boxeraufstandes nach China aufbrachen. Laut der Initiative Lernort Garnisonkirche waren solche Predigten in dem Gotteshaus keine Einzelfälle, sondern standen tief in der Tradition des preußischen Nationalprotestantismus, dessen wichtigster Symbolort die Garnisonkirche war.

„Wenn man sich die historischen Fakten anschaut, muss man feststellen, dass die Garnisonkirche ein Walhalla deutscher Gotteskrieger war“, sagt Architekt Philipp Oswalt von der Lernort-Initiative, die am Dienstag neue Forschungsergebnisse zum Nationalprotestantismus und zur Rolle der Garnisonkirche veröffentlichte.

Kritiker: Kirche stellt sich der eigenen Geschichte nicht

„Bislang hat in der Wiederaufbaudiskussion die kirchliche Tradition des Ortes kaum eine Rolle gespielt, die aber für diesen Ort deutscher Geschichte wesentlich war“, sagt Oswalt. „Es ist unerklärlich und unverantwortlich, dass die Evangelische Kirche trotz einer 30-jährigen Kontroverse über den von ihr betriebenen Wiederaufbau nicht bereit war, sich ihrer eigenen Geschichte an diesem Ort zu stellen und entsprechende Forschung ignoriert hat.“ Daher habe die Lernort-Initiative und ihr 13-köpfiger wissenschaftlicher Beirat vor einem Jahr die Aufarbeitung selbst in die Hand genommen. Das sei keineswegs schwierig gewesen, so Oswalt, Quellen gebe es zur Genüge, in den Archiven seien zahlreiche Predigten frei zugänglich.

Philipp Oswalt von der Initiative Lernort Garnisonkirche.
Philipp Oswalt von der Initiative Lernort Garnisonkirche.
© privat

Nun hat die Initiative ihre Ergebnisse und Analysen nebst etlichen Auszügen aus Originaldokumenten auf ihrer Webseite veröffentlicht. Zusammen mit der Bundeszentrale für politische Bildung veranstaltet sie zudem am 1. und 2. Oktober ein Symposium mit dem Titel „Gott mit uns! – Das schwierige Erbe des Nationalprotestantismus“, auf dem unter anderem die Verbindung der Garnisonkirche mit den deutschen Kolonialkriegen und dem Völkermord an den Herero und Nama thematisiert wird, aber auch die Rolle der Militärseelsorge und christlich legitimierter Rassismus und Antisemitismus. Auch eine Podiumsdiskussion unter Beteiligung von Altbischoff Wolfgang Huber ist angekündigt.

Was unter Nationalprotestantismus zu verstehen ist, illustriert ein Zitat des Hof- und Garnisonpredigers Max Schmidt, der am 8. November 1907 bei einer Soldatenvereidigung in Potsdam predigte: „Jeder Soldat, ja jeder Knabe weiß, daß es euer kaiserlicher Kriegsherr ist, dem Gott das deutsche Schwert zu führen gegeben hat.“ Johannes Kessler sah in dem Kolonialkrieg in China gar den „tausendjährigen Kampf zwischen Morgen- und Abendland“ wieder anbrechen.

Ein Hort christlicher Werte?

Der Ansicht vieler Wiederaufbaubefürworter:innen, dass die Garnisonkirche ein Hort christlicher Werte und preußischer Tugenden gewesen sei, der am Tag von Potsdam „für eine Dreiviertelstunde“ missbraucht worden sei, widerspricht Philipp Oswalt entschieden: „Leider ist die Garnisonkirche spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein bitteres Beispiel für das Wirken des deutschen Nationalprotestantismus, der für Antisemitismus, Frankophobie, Polenhass, völkisches Denken, Rassismus, Militarismus, Demokratiefeindlichkeit und Obrigkeitsgehorsam stand.“

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Spätestens seit der Berufung von August Ludwig Bollert im Jahr 1847 zum Hof- und Garnisonprediger der Garnisonkirche Potsdam hätten nahezu alle dort wirkenden Pfarrer solche Haltungen gepredigt und Völkermord, Angriffskriege, Kriegsverbrechen und Völkerhass als Vertreter der evangelischen Kirche religiös legitimiert und gesegnet.

Im Inneren des in Bau befindliche Turms der Garnisonkirche, März 2021.
Im Inneren des in Bau befindliche Turms der Garnisonkirche, März 2021.
© Ottmar Winter

Zu dieser Tradition gebe es keinen erkennbaren Bruch im originalgetreuen Wiederaufbau des Turmes der Garnisonkirche, heißt es von Seiten der Lernort-Initiative. Der Religionswissenschaftler Horst Junginger spricht sich unter anderem dagegen aus, dass der preußische Adler mit der Sonne wieder auf die Spitze des Turmes gesetzt wird: Die Figur sei ein militaristisches Gleichnis, das gegen Frankreich gerichtet sei und den Anspruch zeige, „Europa zu dominieren“.

Wieland Eschenburg von der Stiftung Garnisonkirche.
Wieland Eschenburg von der Stiftung Garnisonkirche.
© Sebastian Gabsch

Die Garnisonkirchenstiftung betonte auf Nachfrage der PNN, sich im geplanten Lernort im Garnisonkirchenturm kritisch mit der Vergangenheit auseinandersetzen zu wollen: „Was passiert, wenn die Kirche, eine Religionsgemeinschaft oder aber auch eine Partei ein herrschendes Regime mit höheren Weihen versieht? Und was geschieht, wenn staatliche Stellen eine Religion für sich instrumentalisieren und benutzen? Das ist brandgefährlich! Dafür bietet die Garnisonkirche Anschauungsmaterial, das uns warnen kann“, sagte Stiftungssprecher Wieland Eschenburg.

Der Theologe Andreas Pangritz begrüßt, dass der Diskurs innerhalb der Wiederaufbau-Initiative offener geworden sei, allerdings bemerke er eine deutliche Kluft zwischen „Sprechen und Handeln“: „Ich kann bislang nicht erkennen, dass Konsequenzen aus diesem Lernprozess gezogen wurden.“ Auch Junginger findet, die Wiederaufbaubetreiber:innen machten es sich zu einfach, die Garnisonkirche in eine Friedenskirche umzuwidmen: „Das widerspricht komplett der historischen Kontinuität der Kirche.“

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