Potsdam für Menschen mit Behinderung: Ein furchtbares Geruckel
Tina Denninger, neue städtische Beauftragte für Menschen mit Behinderung, weiß, wo es in der Stadt und im Beirat unrund läuft.
Es gibt eine Episode, die viel darüber aussagt, wie sich die Potsdamer Beauftragte für Menschen mit Behinderung eingearbeitet hat. Tina Denninger, seit dem 1. Oktober im Amt und für fünf Jahre gewählt, machte sich mit einer engen Mitarbeiterin, einer Rollstuhlfahrerin, auf den Weg durch die Innenstadt. Die beiden Frauen wollten für die Neuauflage des Stadtführers die Routen überprüfen und erlebten, was Menschen im Rollstuhl erleiden: furchtbares Geruckel nicht nur auf dem Kopfsteinpflaster der Gutenbergstraße und am Nauener Tor – das Vorankommen ist vielerorts eine Tortur. Touristen mag die älteste und härteste Pflasterart historisches Flair vermitteln. Für Rollstuhlnutzer ist sie ein Elend.
Rollstuhlfahrer kommen nicht an den Ampelknopf
Die Soziologin beschreibt weitere Probleme: Zu hohe Bordsteine. Das Winter-Desaster, wenn Kehrmaschinen den Schnee auf Rad- und Gehwegen abladen. Oder ihn an Ampelmasten zusammenschieben. Die Folge: Rollstuhlfahrer können den Druckknopf eines Ampelmasts nicht erreichen. Denninger ist im bayerischen Neu-Ulm geboren, wurde nach einer Buchhändlerlehre Diplom-Soziologin, promovierte in Jena und beschäftigte sich in Berlin jahrelang mit dem Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung. Die 42-Jährige ist verheiratet, Mutter von zwei Kindern und lebt in Berlin.
Vier Tram-Haltestellen sind nicht barrierefrei
„Die größte Aufgabe ist in Potsdam, wie in anderen Kommunen auch, die bauliche wie die digitale Barrierefreiheit”, sagt Denninger. Vier Haltestellen der Verkehrsbetriebe in Potsdam seien nicht rollstuhlgerecht: an der Brandenburger Straße, am Nauener Tor, Im Bogen/Zeppelinstraße und Reiterweg/Alleestraße. Zur Barrierefreiheit gehörten auch Außen- und Innenansagen der Liniennummer und des Fahrziels, die zwar an größeren Haltestellen, aber noch nicht flächendeckend vorhanden seien.
Zum Ärgernis werden in der Stadt gedankenlos abgestellte E-Roller. Kürzlich, so Denninger, sei ein blinder Mensch aus einer Tram gestiegen und habe den plötzlich vor ihm stehenden Roller nicht sehen können: „Eine erhebliche Unfallgefahr.” Auch Rollstuhlfahrer würden beeinträchtigt: „Sie können die Roller eben nicht einfach mal zur Seite stellen.” In Gesprächen mit den Verleihern soll eine Lösung gefunden werden.
Auch an der sogenannten digitalen Barrierefreiheit arbeitet die Stadt. Gemeint ist damit beispielsweise, dass Texte auf ihrer Homepage leicht lesbar sind. So werde der Zugang für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen vereinfacht, etwa durch eine Vorlesefunktion und die Veränderung der Kontraste.
Mit der Übersetzung der Texte in die sogenannte Leichte Sprache sei begonnen worden, sie sei „für viele Bürger existentiell, sie verstehen die Texte sonst nicht”. Auf potsdam.de werde man künftig mit einem Klick umschalten können. Das Grundprinzip: Kurze Sätze. Fremdwörter werden übersetzt, lernen lässt sich, wie man „Marmor-Palais” ausspricht.
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Denninger hat ein schweres Erbe übernommen. Als ihr Vorgänger Christoph Richter die Stadt 2019 verließ, geriet der 15- bis 20-köpfige Beirat, ein Gremium von Potsdamern mit und ohne Behinderung, ins Taumeln, Freundschaften zerbrachen. Die Beiratsarbeit für rund 25.000 Potsdamer mit Handicap hält die Beauftragte jedoch für bedeutend.
So seien sie vor ein paar Tagen zu den Außenanlagen der Minsk-Terrassen eingeladen worden: „Es ist wichtig, dass ein blinder Mensch dabei ist und darauf aufmerksam macht, dass der Beginn einer Treppe durch ein Aufmerksamkeitsfeld für eine blinde Person erkennbar ist oder die Blindenleitstreifen auch zu den Ruhebänken führen.”
Die Analyse des amtierenden Sprechers Thomas Zander, eines Gehörlosen, klingt traurig. Der Beirat sei nach einer Serie von Rücktritten „in zwei Lager geteilt”. Eine der Ursachen der Zwistigkeiten liegt womöglich auch in der Unterschiedlichkeit von Behinderungen der Beiräte. Einigen sei es, so der um Ausgleich bemühte Zander, „nicht schnell genug gegangen”, andere hätten „viel Zeit aufwenden müssen, um grundlegende Hürden zu meistern: Wie komme ich in den Raum, in dem getagt wird, wie bekomme ich kurzfristig einen Gebärdendolmetscher?”
Beirats-Mann Wolfgang Kroll hat die Querelen hautnah miterlebt, er kritisierte schon 2019 die „Egoismen einiger Mitglieder, die schwer zu ertragen sind”. Auch Beiratsmitglied Kai Okurka, ein Spastiker, hatte seine Kollegen schon vor drei Jahren kritisiert: „Ein paar Leute arbeiten, ein paar gucken zu.” Daran hat sich nicht viel geändert. Die Beauftragte Denninger hat beobachtet, dass „acht bis zehn Mitglieder sehr engagiert” mitarbeiten, „vier bis sechs” aber die Sitzungen schwänzen.
Ist die Beiratsarbeit nicht legal?
Einen radikalen Neuanfang fordert Alexander Wietschel, 51, ehemaliger stellvertretender Sprecher und Gegenspieler des jetzigen Vorstands. Dem nicht behinderten Beirat, von Beruf Kommunikationsberater, geht es „ums Prinzip”. In einem Schreiben vom 10. Februar überschüttete er frühere Beiratskollegen mit Kübeln voller Kritik: Sie hätten die Arbeit mit „lausigen” Einlassungen und Verschleppungen belastet, einige hätten kein Verständnis einer inklusiven Gesellschaft, sondern wollten „eine Art Zwangswiedergutmachung erreichen”. Die Arbeit des Beirats, so Wietschels massivster Vorwurf, sei „grundfalsch und nicht legal”.
Irritiert waren einige Beiräte indes, als sie erfuhren, dass Wietschel bisher nicht das Gespräch mit Denninger gesucht hat. Noch im März will er Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen den Beirat einreichen und der Kommunalaufsicht eine Liste angeblicher Verfehlungen zukommen lassen. Die Stadt sieht dem gelassen entgegen. Der Vorwurf, der Beirat sei nach Rücktritten nicht ordnungsgemäß installiert worden, sei unzutreffend, sagt Denninger: „Die Rechtsabteilung der Stadt hat das geprüft. Das Ergebnis: Der Beirat kann weiterhin auf legaler Grundlage arbeiten.”
Rathaus setzt auf Mediation
Nun soll eine von der Rathauspolitik verordnete Meditation für Frieden sorgen. Ein Vorgespräch war für diesen Montag angesetzt. Denninger weist darauf hin, dass selbst in der Hochphase der Streitereien mit fachkundiger Beratung der Beirätin Heike Thiel etwa am Hauptbahnhof Großes geschehen sei: Die heute 60-jährige frühere Lehrerin für Physik und Mathematik, die vor zehn Jahren an einer Netzhauterkrankung erblindete, war maßgeblich an dem vom Bahnhofsmanagement finanzierten Blindenleitsystem beteiligt.
Blinde Potsdamer pendeln dort mit ihrem Langstock und ertasten die sogenannten Rillenplatten, bei Abzweigungen sind Noppenplatten installiert. „Für Blinde, die ein Mobilitätstraining absolviert haben, ermöglicht das einen ziemlich sicheren Weg durch den Hauptbahnhof”, sagt Thiel.
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