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Mann der Widersprüche. In seinen Reden setzt René Springer auf markige Worte, ganz im Stil seiner Parteikollegen. Abseits vom Podium gibt sich der 38-Jährige bescheiden und zurückhaltend. Populismus aber gehört für ihn zum politischen Geschäft, sagt der Babelsberger. „Das ist eine hohe Kunst.“
© Andreas Klaer

PNN-Serie: Potsdam vor der Bundestagswahl: Direktkandidat René Springer: Der Mann aus der zweiten Reihe

Ihre Gesichter sind auf Wahlplakaten in ganz Potsdam zu sehen. Doch wer sind die Menschen, die den Wahlkreis vertreten wollen? Die PNN stellen sie vor. Heute: René Springer (AfD).

Potsdam - Ihre Gesichter gehören derzeit zum Stadtbild: Die Direktkandidaten, die von ihren Parteien in Potsdam ins Rennen um ein Bundestagmandat geschickt worden sind, haben meist viele Plakate hängen lassen. Das ergibt für den Wähler ein Bild – aber nicht mehr. Wer sind die Menschen, die den Potsdamer Wahlkreis 61 im Bundestag vertreten wollen? Welche Ziele haben sie? Wie kamen sie in die Politik? Was bewegt sie? Um ins Gespräch zu kommen, haben wir die Bewerberinnen und Bewerber von CDU, SPD, FDP, Linke, AfD, Bündnis 90/Die Grünen und der Freien Wähler eingeladen – an einen bewegten Ort: Die PNN-Redakteurinnen und Redakteure gehen mit den Kandidaten auf eine Fahrt mit Tram oder Bus quer durch die Landeshauptstadt. Was sie dabei erfahren, lesen Sie hier.

Heute: Mit René Springer (AfD) im Bus 690 vom Hauptbahnhof Potsdam zum Johannes-Kepler-Platz und zurück

René Springer hängt ganz oben, in vermeintlicher Sicherheit sozusagen. Und dennoch: Irgendjemand hat sich die Arbeit gemacht und Springers Wahlplakat an dem Mast neben der Bushaltestelle mit schwarzer Farbe beschmiert. „Das kenn ich schon, stört mich nicht“, sagt der echte Springer und wirft noch schnell einen betont gelangweilten Blick auf sein verunziertes Antlitz, als der 690er wieder anfährt.

Provokation und Populismus gehören für den 38-Jährigen zum politischen Alltag, sind für ihn legitimes Mittel, um sich Gehör zu verschaffen. „Das ist eine hohe Kunst“, findet der auf den ersten Blick eher zurückhaltende junge Mann mit dem weißen Hemd und hellgrauen Sakko. Am 24. September tritt Springer für die Alternative für Deutschland (AfD) im Potsdamer Wahlkreis 61 als Direktkandidat an. 300 Plakate hat seine Partei von ihm drucken lassen. „150 hängen schon. Die restlichen sollen in der letzten Woche vor der Wahl aufgehängt werden.“ Auf der Landesliste der AfD in Brandenburg steht Springer auf Platz drei, hinter Roman Reusch aus Stahnsdorf und dem Spitzenkandidaten Alexander Gauland – Springers politischem Ziehvater und Chef. Seit 2014 arbeitet Springer auch als persönlicher Referent des umstrittenen AfD-Landeschefs.

Desillusioniert aus Afghanistan zurück

Gauland hat Springer quasi eingesammelt, in einer Zeit der Orientierungslosigkeit. Damals war Springer ein Suchender. Geboren 1979 in Ostberlin, bewarb sich Springer 1997 bei der Bundesmarine, machte eine Ausbildung zum Elektriker. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem US-Einmarsch in Afghanistan meldete sich Springer 2005 freiwillig, um beim Wiederaufbau des vom Krieg zerrütteten Landes zu helfen, arbeitete dort nach eigenen Angaben als Militärberater im afghanischen Verteidigungsministerium. „192 Tage später endete mein Einsatz. Ich war unversehrt, aber desillusioniert, frustriert und enttäuscht. Von der staatlichen Korruption in Kabul und der politischen Verantwortungslosigkeit in Berlin und Washington“, schreibt er auf seiner Internetseite. Wenig später habe er die Bundeswehr verlassen.

Nach einem Studium der Politikwissenschaften in Greifswald arbeitete Springer noch einige Zeit für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Über den nach einer Whistleblower-Affäre 2014 aus der AfD-Landtagsfraktion geworfenen Gauland-Intimus Stefan Hein, der ihm bei der Suche nach einem WG-Zimmer in Potsdam geholfen habe, habe er damals Gauland kennengelernt, erzählt Springer, während der Bus weiter durch Babelsberg rollt. „Hein hat mich gefragt, ob ich nicht für Gauland arbeiten möchte. Ich habe erstmal das Programm der AfD gelesen und dann zwei Stunden mit ihm über die Ukraine-Krise geredet. Ich hatte den Eindruck, das ist einer, der weiß, was er sagt“, erinnert sich Springer.

Er sei "Schröder auf den Leim gegangen"

Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass Springer von einem vermeintlich großen Mann und guten Redner in den Bann geschlagen wird. Denn bis 2009 war Springer nicht nur Soldat, sondern auch noch Mitglied in der SPD. „Ich fand damals einfach Gerhard Schröder so charismatisch. Die CDU wirkte dagegen so verstaubt“, erläutert er, warum er 2004 in die SPD eintrat. „Mit Inhalten habe ich mich damals gar nicht so auseinandergesetzt, aber die soziale Frage war mir immer wichtig.“ Enttäuscht habe ihn neben dem „Ja“ der damaligen rot-grünen Koalition zum Afghanistaneinsatz auch der Umgang der SPD-Spitze mit der Parteibasis bei der Hartz-IV-Reform. Die sei trotz Kritik einfach umgesetzt worden. „Ich bin Schröder auf den Leim gegangen.“

Springer hält markige Reden - und verkauft sich als Couch-Potatoe

Selbst verkauft sich Springer ganz anders als seine Vorbilder. Eher als Mann der zweiten Reihe, bescheiden und langweilig. „Ich bin ein Couch-Potato und gucke in meiner Freizeit am liebsten TV-Serien“, sagt er. Fast möchte man gar nicht glauben, dass dieser brave junge Mann die markigen Reden wirklich gehalten hat, die auf seiner Internetseite veröffentlicht sind. Von „entartetem Kapitalismus“, „Parteisoldaten und Medieneliten“, „Staatsparteien“ sowie „verräterischem Parteienkartell“ ist da die Rede.

An diesem Tag im Bus hört sich das alles viel gemäßigter an. Um den ländlichen Raum wolle er sich kümmern oder „die Provinz vor dem Aussterben retten“, wie es auf seiner Internetseite heißt. Sorgen mache er sich auch um die Arbeitnehmer, die infolge der Digitalisierung massenweise arbeitslos werden würden. Massentierhaltung finde er auch nicht gut. Dass sich diese Themen auch in den Programmen der etablierten Parteien wiederfinden, räumt Springer ein. „Natürlich sind da Schnittmengen. Eine exklusive Politik gibt es nicht“, sagt er, während der 690er wieder auf den Hauptbahnhof zurollt.

Vielleicht, so sagt er, wirft er irgendwann das Handtuch

So richtig angekommen jedoch ist er noch nicht in der Stadt, zumindest was sein Privatleben betrifft. Zusammen mit seiner Freundin wohnt er in Babelsberg, Kinder hat das Paar noch nicht. Nachwuchs ist aber geplant. „Am liebsten Zwillinge“, sagt Springer. Eine Heimat, wie Greifswald sie war, seien Babelsberg und Potsdam aber noch nicht. „In Greifswald habe ich immerhin zehn Jahre gelebt.“ Aber auch gegenüber seiner Partei hält er sich mit Treueschwüren zurück. Die AfD stehe für ihn vor allem für das „Prinzip Hoffnung“. „Es kann sein, dass ich irgendwann wieder desillusioniert das Handtuch werfe. Das weiß ich nicht.“

Als Nächstes erscheint am morgigen Mittwoch die Folge mit Annalena Baerbock von Bündnis 90/Die Grünen, am 15.9. folgt Norbert Müller von den Linken sowie am 18. September SPD-Kandidatin Manja Schüle. CDU-Kandidatin Saskia Ludwig hat nicht zugesagt, den PNN für dieses Format zur Verfügung zu stehen

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