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Auf dem Weg durch die Stadt. Irene Kamenz wohnt seit 24 Jahren in Potsdam und engagiert sich seit etwa fünf Jahren in der Kommunalpolitik. Zur Arbeit in der Bundeswehrfachschule in Berlin-Kladow fährt sie mangels Alternativen mit dem Auto. Für die PNN fuhr sie mit der Straßenbahn durch die Stadt.
© Sebastian Gabsch

PNN-Serie: Potsdam vor der Bundestagswahl: Direktkandidatin Irene Kamenz: "Wir machen alles selber"

Ihre Gesichter sind auf Wahlplakaten in ganz Potsdam zu sehen. Doch wer sind die Menschen, die den Wahlkreis vertreten wollen? Die PNN stellen sie vor. Heute: Irene Kamenz (Freie Wähler).

Ihre Gesichter gehören derzeit zum Stadtbild: Die Direktkandidaten, die von ihren Parteien in Potsdam ins Rennen um ein Bundestagmandat geschickt worden sind, haben meist viele Plakate hängen lassen. Das ergibt für den Wähler ein Bild – aber nicht mehr. Wer sind die Menschen, die den Potsdamer Wahlkreis 61 im Bundestag vertreten wollen? Welche Ziele haben sie? Wie kamen sie in die Politik? Was bewegt sie? Um ins Gespräch zu kommen, haben wir die Bewerberinnen und Bewerber von CDU, SPD, Linke, AfD, Bündnis 90/Die Grünen und der Freien Wähler eingeladen – an einen bewegten Ort: Die PNN-Redakteurinnen und Redakteure gehen mit den Kandidaten auf eine Fahrt mit Tram oder Bus quer durch die Landeshauptstadt. Was sie dabei erfahren, lesen Sie hier.

Heute: Mit Irene Kamenz (Freie Wähler) in der Tram 92 von der Kirschallee bis zur Marie-Juchacz-Straße


Am Fenster ziehen die Wahlplakate vorbei. Kleine Parteien, die Direktkandidaten der Etablierten, hin und wieder gucken Angela Merkel, Martin Schulz und Christian Lindner die Passagiere der Linie 92 Richtung Marie-Juchacz-Straße an. Wer fehlt? Die Freien Wähler und Irene Kamenz.

Die 55-Jährige aus Golm hat eine Entschuldigung: „Wir machen alles selber.“ Es gebe keine Spenden von großen Wirtschaftsunternehmen, sie könnten sich keine Leute leisten, die die Plakate für sie aufhängen. Das macht sie selber, vor oder nach der Arbeit. In der Umgebung von Potsdam hängen schon Plakate von Kamenz, weitere sollen folgen, sagt sie. „Ich bin stolz darauf, dass wir das alleine machen.“ Und vielleicht habe es auch etwas Gutes, wenn ihre Plakate erst später aufgehängt werden. „Dann haben die Leute mich am Wahltag nicht so satt.“

„Ich bin die Jahre zuvor immer der Meckerfritze gewesen“

Kamenz ist keine Vollzeitpolitikerin. Sie arbeitet als zivile Angestellte bei der Bundeswehrfachschule in Berlin-Kladow. Überhaupt macht Kamenz noch nicht lange Politik. Erst vor fünf Jahren ist sie auf die Freien Wähler gestoßen. „Ich bin die Jahre zuvor immer der Meckerfritze gewesen“, erzählt sie. Bei den Freien Wählern hat Kamenz gefallen, dass die sich für die Belange der sogenannten Altanschließer einsetzten, Initiativen gegen Windkraftanlagen unterstützten – also klassische kommunale Bürgerrechtsthemen bearbeiteten. „Das hat mich dann dazu bewogen, mich aktiv mit einzubringen.“ Bereits 2014 ist die gelernte Bürokauffrau für die Freien Wähler in die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung gewählt worden. Danach schloss sie sich der Fraktion Bürgerbündnis/FDP an, ist nun unter anderem Mitglied im Jugendhilfeausschuss.

In der Tram wird es lauter, der Waggon füllt sich mit Schülern. Die fünfte Stunde dürfte gerade vorbei sein.

Kamenz selber hat drei Söhne großgezogen, wohnt mit ihrem Mann in einem Haus in Golm, das die beiden Anfang der 2000er-Jahre gebaut haben. 1993 war die Familie nach Potsdam gezogen. Geboren ist Kamenz in Mecklenburg-Vorpommern, aufgewachsen im Spreewald. Vor der politischen Wende arbeiteten sie und ihr Mann in Cottbus bei der NVA. Was sagt die Familie zu ihrem politischen Engagement? „Die sind sehr stolz auf mich“, sagt Kamenz. „Die wissen, dass ich sehr sozial bin.“ Sie habe als Kind schon immer den Schwächeren geholfen.

Verärgerte Leute und die Wohlstand-Floskel

Dass die Familie Irene Kamenz bald mit dem Rest der Republik teilen muss, scheint jedoch eher unwahrscheinlich. Die Konkurrenz um das Direktmandat im Wahlkreis 61 ist groß, die Freien Wähler können hier nicht auf einen festen Wählerstamm zählen wie andere Parteien. Selbst wenn die Freien Wähler es in den Bundestag schaffen sollten, hätte Kamenz auf Platz acht der Brandenburger Landesliste wohl kaum eine Chance. „Ich wäre angewiesen auf das Direktmandat“, weiß Kamenz, lässt sich aber davon nicht beirren. Was hinterher am Wahltag herauskäme, wisse man eben nicht. Sie möchte nicht spekulieren. Aber: „Jede Stimme, die ich bekomme, bekommt nicht die CDU, nicht die SPD und keine andere Partei. Das ist schon einmal gut.“

Die Tram fährt an den Hochhäusern des Schlaatz vorbei. Hier kennt Kamenz sich aus, hier war 2014 bei der Kommunalwahl ihr Wahlkreis. „Die Leute sind verärgert“, sagt sie. „Es wird immer gesagt, wir seien ein reiches Land“, fährt sie fort, „doch das gilt nur für bestimmte Leute.“ Die veröffentlichten Durchschnitts-Kennzahlen, etwa bei der Rente, seien zu pauschal, würden nicht die Realität abbilden. Als die Tram über die Nuthe in Richtung des Wohngebiets Am Stern fährt, haben schweigende Senioren weitgehend die lauten Schüler ersetzt.

Eine Stimme pro Partei im Parlament: Ein Schlüssel zu mehr Demokratie?

Von Wahlversprechen hält Irene Kamenz nichts. „Ich kann Ihnen nur sagen, wofür ich stehe, was mich ärgert, was mich stört.“ Sie halte auch nichts davon, im Wahlkampf Würstchen und Bier zu verschenken, sagt Kamenz mit einem Seitenhieb auf die Konkurrenz, die mehr Mittel als sie zur Verfügung hat. Jeder müsse selber genug in der Tasche haben, um sich etwa ein Eis im Freibad kaufen zu können, meint sie. Generell findet sie die Diäten für Bundestagsabgeordnete zu hoch. Man könnte Steuergelder sparen, indem man die Bezüge der Politiker zurückschraubt. Außerdem würden ihr die Hälfte der Abgeordneten reichen.

Was sie noch ärgert: Die Abstimmungsregeln in deutschen Parlamenten. „Die kleinen Parteien sind nur Beisitzer“, meint Kamenz. Nicht eine Stimme pro Abgeordnetem, sondern pro Partei sollte es geben. Nur so sei jeder Wähler vertreten. „Das fände ich gerechter“, sagt sie.

Als die Tram an der Endhaltestelle hält, sitzen kaum noch Menschen darin. Kamenz zeigt auf ein Plakat, das an einem Pfahl direkt an der Haltestelle hängt. Darauf sie im Porträt, das Logo der Freien Wähler und die Forderung „Für uns statt für Diäten“. Dann verabschiedet sie sich und geht über die Straße zu ihrem Mann, der im Auto wartet. Die beiden fahren weiter zum Stern, hatte Kamenz zuvor erzählt. Sie müssen noch Plakate aufhängen.

Das Wahlprogramm: Wofür Irene Kamenz steht

+++ PNN Serie zur Bundestagswahl +++

Als Nächstes erscheinen die Folgen mit FDP-Kandidatin Linda Teuteberg (11.9.), René Springer von der AfD (12.9.), am 13.9. mit Annalena Baerbock von Bündnis 90/Die Grünen, am 15.9. mit Norbert Müller von den Linken sowie am 18. September mit SPD-Kandidatin Manja Schüle. CDU-Kandidatin Saskia Ludwig hat nicht zugesagt, den PNN für dieses Format zur Verfügung zu stehen

Martin Anton

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