Debatte um CO2-Preis: Diesel müsste 44 Cent pro Liter teurer werden
Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Ottmar Edenhofer spricht im Interview über das Klimaschutz-Paket der Bundesregierung, Ungerechtigkeiten der neuen Regelungen und drohende Strafzahlungen für Deutschland.
Herr Edenhofer, warum hat Sie das Klimaschutz-Paket der Bundesregierung so wütend gemacht?
Für die Politik war das zwar ein großer Schritt, für das Klima aber – allein an den europäischen Anforderungen gemessen – nur ein sehr kleiner. Wir dürfen bei der Diskussion um das Thema einer CO2-Bepreisung nicht vergessen, worum es im Kern geht. Ein Preis für Kohlendioxid (CO2) ist kein Selbstzweck, sondern er muss Taktgeber eines effektiven Klimaschutzes sein. Vor diesem Hintergrund sind wir also weit davon entfernt, das getan zu haben, was notwendig gewesen wäre. Beim Kohleausstieg und europäischen Emissionshandel hat sich zwar eine beachtliche Entwicklung ergeben. Der Preis liegt jetzt bei 26 Euro pro Tonne CO2, und wir sehen auf den Märkten für Braun- und Steinkohle relativ drastische Wirkungen. Nun geht es aber um die Frage, wie in diesem Kontext der Kohleausstieg funktionieren kann. Und damit sind die Probleme für die deutsche Bundesregierung mitnichten gelöst.
Was meinen Sie?
Ab 2023 werden wir voraussichtlich zu erheblichen Strafzahlungen verpflichtet, weil Deutschland seine vertraglichen Verpflichtungen bei der Emissionsreduktion gegenüber seinen EU-Partnern nicht eingehalten hat. Und zweitens wird die neue Europäische Kommission die EU-weiten Klimaziele vermutlich noch weiter verschärfen. Das wird für Deutschland eine ganz neue Herausforderung. Zwischen dem nun beschlossenen Reduktionspfad und dem, was eigentlich nötig wäre, wird eine erhebliche Lücke klaffen. Wenn die nicht geschlossen werden kann, werden wir Zertifikate von anderen europäischen Mitgliedsstaaten kaufen müssen.
Die Lücke ist mit den beschlossenen Maßnahmen auch inklusive möglicher Verschärfungen nicht zu schließen?
Das ist sehr unwahrscheinlich. Vor allem deshalb, weil ein Preis von zehn bis 35 Euro pro Tonne CO2 nicht die notwendige Lenkungswirkung bei Industrie und Wirtschaft erzielen wird. Der CO2-Preis soll ja vor allem Anreize schaffen, den fossilen Energieträgern den Rücken zu kehren und die Innovationen bei klimaneutralen Technologien voranzutreiben. 2030 müssten wir vielmehr bei 130 Euro pro Tonne sein, um einen merklichen Effekt für das Klima zu erhalten.
Trotzdem haben Sie einen Wandel in der Politik ausgemacht.
Für Deutschland, das Parlament und die Parlamentarier war es ein Riesenschritt sich mit der Frage der CO2-Bepreisung überhaupt auseinanderzusetzen. Die Diskussion um einen CO2-Preis ist ja erst zur Jahresmitte richtig in Fahrt gekommen. Wir haben in Deutschland viel zu spät damit begonnen, diese Debatte zu führen.
Es bleibt der Einwand, dass die CO2-Bepreisung die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft stark vermindern könnte.
Der Sachverständigenrat der Bundesregierung kommt zur Einschätzung, dass ein Großteil der Unternehmen, die unter hohem, internationalem Wettbewerbsdruck stehen, bereits im Emissionshandel reguliert sind und dort großzügige Ausnahmeregelungen erhalten. Für die Firmen, die nun belastet werden, ergibt sich kein großes Problem für deren Wettbewerbsfähigkeit, weil sie den CO2 Preis überwiegend auf ihre Konsumenten abwälzen können. Das ist ja auch gewünscht, weil die Verbraucher ihre Konsumentscheidungen verändern sollen. So kann die Belastung stark verlagert werden.
Womit sich die Frage nach der Gerechtigkeit stellt.
So ist es. Aber das lässt sich verteilungspolitisch abfangen. Die Frage ist, wie sich die sozialpolitischen Belastungen gerechter verteilen lassen. Wenn der CO2-Preis ohne Kompensation eingeführt wird, werden die Ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung am stärksten belastet. Deswegen schlagen wir vor, die Stromsteuer auf den europäischen Mindestsatz abzusenken und die EEG-Steuer über die CO2-Einnahmen zu finanzieren. Darüber hinaus sollten die restlichen Beträge als eine Klimadividende pro Kopf umgehend zurückerstattet werden. Damit hätten die ärmsten 20 Prozent am Ende netto sogar ein Plus. Eine solche Klimadividende würde die untersten Einkommensgruppen entlasten und erst im oberen Einkommensbereich würde es Nettobelastungen geben.
Aber?
Eine komplette Absenkung der Stromsteuer wollte der Finanzminister nicht, immerhin geht es um Steuereinnahmen von vier bis sechs Milliarden Euro jährlich. Eine Finanzierung der EEG-Steuer über eine Umlage war diskutabel. Die stärksten Widerstände hatte aber die Klimadividende hervorgerufen.
Warum?
Zum einen befürchtet man einen exorbitanten Verwaltungsaufwand, weil es zurzeit keine Behörde gibt, die Transferbeträge überweisen könnte. Nun kam ein Beschluss zustande, in dem die unteren Schichten eine gewisse Entlastung über Wohngeld und Heizkostenzuschuss erhalten. Allerdings wird die moderate Belastung der ärmsten Haushalte von einer starken Belastung der Mittelschicht flankiert – und die reichsten Schichten werden erheblich entlastet.
Was ist mit dem sogenannten Mobilitätsgeld?
Das hat wahrscheinlich den gleichen Verwaltungsaufwand wie eine Klimadividende. Nur die Verteilungswirkung wird für die ärmsten Schichten wesentlich unvorteilhafter sein.
Ihre Haltung zur Pendlerpauschale?
Personen, die täglich über 50 Kilometer zur Arbeit fahren und über ein hohes Einkommen verfügen, werden entlastet. Und das, obwohl in der Debatte gefordert wurde, die Geringverdiener zu schützen. Das ist doch ein Hohn. Im Ergebnis gibt es mitnichten einen sozialen Ausgleich. Die Strompreissenkung ist viel zu gering, um ärmere Haushalte zu entlasten. Von einem Großteil der Förderprogramme und Steuervergünstigungen werden nur die wohlhabenderen Haushalte profitieren. Wohngeld und Sozialhilfe schafft zwar eine Entlastung – davon profitieren aber nur die Transferempfänger. Die Geringverdiener hingegen nicht. Je mehr der CO2-Preis steigt – und er muss in Zukunft steigen, um effektiv wirken zu können –, umso größer wird die Schieflage.
Ab 2023 werden wir voraussichtlich zu erheblichen Strafzahlungen verpflichtet, weil Deutschland seine vertraglichen Verpflichtungen bei der Emissionsreduktion gegenüber seinen EU-Partnern nicht eingehalten hat.
Ottmar Edenhofer
Wie geht es weiter?
Nach 2026 ist die Entwicklung des CO2-Preises weitgehend offen. Weil wir so lange warten, müssten die Preise nach 2026 drastisch ansteigen, um effektiven Klimaschutz zu leisten. Bis dahin werden wir aber von der europäischen Ebene bereits sehr viel schärfere Vorgaben erhalten haben. Deutschland läuft Gefahr, beim Klimaschutz den Anschluss zu verlieren, und das ist weder gut für uns, für Europa noch für das Klima. Schon heute haben Schweden, die Schweiz, Norwegen, Lichtenstein, Dänemark und Frankreich weit höhere CO2-Preise als Deutschland. Es geht darum, dass wir wie andere europäische Staaten unsere Verpflichtungen erfüllen.
Wie läuft der Prozess auf europäischer Ebene?
Auf Ebene der Europäischen Union haben wir mit dem EU-ETS gegenwärtig einen Emissionshandel, der die Stromerzeugung umfasst. Hier ist das Ziel, einen umfassenden Mindestpreis für alle Sektoren, wie zum Beispiel auch für Wärme und Verkehr, im Rahmen dieses Emissionshandelssystems zu verwirklichen.
Warum geschieht das nicht?
Wegen des Kompromisses der Kohlekommission, hier wird ein bestimmter Ausstiegspfad ordnungsrechtlich festgelegt, der nicht mehr korrigiert werden darf. Wenn wir nun die beiden Systeme miteinander verschränken, dann würden die Preise steigen und der Kohleausstieg müsste sehr viel schneller vollzogen werden, als das mit in einem ordnungsrechtlichen Rahmen überhaupt möglich ist.
Mit welchen Folgen?
Das wird zu Konflikten mit der Industrie führen, die sich auf einen Ausstiegspfad festgelegt hat und hofft, dass der Ausstiegspfad so bewerkstelligt wird, dass man die entsprechenden Entschädigungszahlungen erhält. Ich glaube, dass es für die internationalen Klimaverhandlungen entscheidend sein wird, dass in Europa ein Konvergenzpunkt entsteht, in dem diese beiden Systeme miteinander verschränkt werden. Ohne ein konsistentes europäisches System wird die EU in internationalen Klimaverhandlungen nicht die Rolle spielen können, die sie spielen sollte, denn erst wenn wir in Europa zeigen, dass es ein einigermaßen plausibles, effizientes und gerechtes System zur Bepreisung von Kohlendioxid gibt, werden andere Regionen und Länder bereit sein, das ähnlich zu machen.
Brauchen wir eine Art Menschheitsvertrag zum Klima?
Nein. Mit dem Pariser Klimaabkommen haben wir bereits ein umfassendes Klimaschutzabkommen, das uns ein klares Ziel vorgibt, nämlich die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad, und wenn möglich sogar auf nur 1,5 Grad, zu begrenzen. Es braucht nun vielmehr den politischen Willen und den Mut, die dafür notwendigen Maßnahmen konsequent umzusetzen und die internationale Kooperation zu verbreitern. Ein ambitionierter CO2-Preis ist hierfür ein unverzichtbarer Beitrag. Wir müssen verstehen, dass die Atmosphäre keine Abfalldeponie ist, die wir mit der Verfeuerung von fossilen Energieträgern weiterhin sorglos belasten können. Sie ist ein schutzbedürftiges Gemeinschaftseigentum, das allen Menschen gehört.
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