Zwei Nationalspielerinnen verlassen Turbine Potsdam: Die logische Konsequenz
Frauenfußball-Bundesligist Turbine Potsdam verliert in der Offensive seine deutschen Nationalspielerinnen Svenja Huth und Felicitas Rauch. Beide wechseln den Verein - um mehr Chancen auf große Erfolge zu haben.
Potsdam - Es steht 1:2. Binnen weniger Tage bekam Turbine Potsdam Klarheit in drei wichtigen Personalfragen zu deutschen Nationalspielerinnen – nur eine stimmt den Brandenburger Frauenfußball-Bundesligisten glücklich. Während Abwehrchefin Johanna Elsig ihren im Sommer auslaufenden Vertrag verlängert hat, entschlossen sich Offensivmotor Svenja Huth und Flügelakteurin Felicitas Rauch, keine neuen Arbeitspapier an der Havel zu unterschrieben, sondern im Sommer zu wechseln.
Huth zum VfL Wolfsburg - Rauchs Wechselziel noch offen
Wohin es für Club-Eigengewächs Rauch geht, sei noch offen, erklärte Turbine auf der eigenen Internetseite. Im Fall von Huth ist alles bereits unter Dach und Fach. Sie schließt sich dem VfL Wolfsburg an und erhält einen Vertrag bis 2022, wie der Deutsche Meister mitteilte. „Svenja hat sich in den letzten Jahren nicht nur als Spielerin weiterentwickelt, sie ist auch zu einer Persönlichkeit gereift, die Erfolgshunger verkörpert und als Leaderin vorangeht“, sagt Wolfsburgs sportlicher Leiter Ralf Kellermann.
Nach Bekanntwerden des Wechsels setzte bei vielen Turbine-Fans gleich ein altbekannter Reflex ein. Sie schimpften darauf, dass der finanzstarke Kontrahent aus Niedersachsen Top-Kickerinnen mit seinem Geld weglocke und die Umworbenen diesem Reiz erliegen würden. Doch bei sachlicher Betrachtung ist der Wechsel von Svenja Huth allein auf rein sportlicher Ebene nur allzu logisch. Wenngleich es gilt festzuhalten: Turbine war das Beste, das ihr passieren konnte, denn in Potsdam nahm ihre Karriere den entscheidenden Schub hin zum Prädikat „Weltklasse“.
Von der "Mitläuferin" zur Top-Spielerin gereift
Die gebürtige Hessin entspringt dem Nachwuchs des nationalen Rekordmeisters 1. FFC Frankfurt, debütierte bereits als 16-Jährige in der 1. Bundesliga und gewann mit den Frankfurterinnen insgesamt sieben Titel – darunter zweimal den Europapokal. Aber so richtig zündete die U20-Weltmeisterin von 2010 beim Main-Team nicht. Sie sei damals eher eine „zur Mitläuferin degradierte schnelle Außenbahnspielerin mit dem wenig schmeichelhaften Spitznamen Chancentod“ gewesen, schrieb einst die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
2015 begann die beeindruckende Wandlung. Svenja Huth kam nach Potsdam, in eine Mannschaft, in der ihr sofort Vertrauen und Verantwortung gegeben wurden. Plötzlich war sie nicht mehr eine unter vielen, sondern eine, die herausragen, Akzente setzen sollte. Vom ersten Tag an interpretierte die 1,63 Meter kleine Fußballerin diese Rolle mit Bravour. Sie zeigt sich im Turbine-Dress als Dribbling-Feingeist und gleichsam Team-Malocherin. Sie läuft und läuft und läuft, grätscht, kurbelt das Angriffsspiel unentwegt an und sucht selbst die Abschlüsse – allerdings immer noch mit Schwächen in der Chancenverwertung.
Bei ihren Zielen muss Svenja Huth den Schritt gehen
Ihr Reifeprozess spiegelt sich auch in der deutschen A-Nationalmannschaft wider. Svenja Huth gab bereits 2011 ihr Debüt bei den DFB-Frauen, wurde Europameisterin 2013 und als Nachrückerin auch Olympiasiegerin 2016. Erst nach den Sommerspielen von Rio wurde sie dann durch konstant starke Leistungen Stammkraft und 2018 zur Nationalspielerin des Jahres gewählt. Bei Turbine erhielt Huth das Amt der Kapitänin. Wenn Deutschland am Donnerstag beim Testspiel gegen den diesjährigen WM-Gastgeber Frankreich antritt, wird die Stürmerin in ihrem 42. Länderspieleinsatz sogar erstmals als Vize-Kapitänin der DFB-Elf auflaufen. Diese Woche ernannte Neu-Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg sie zur Stellvertreterin ihrer baldigen Vereinskollegen Alexandra Popp.
Svenja Huth ist nun 28 Jahre alt. Und in der Form ihres Lebens. Deshalb kann sie einfach nicht mehr weiter bei Turbine Potsdam spielen, einem Verein mit ruhmreicher Vergangenheit, aber glanzloser Gegenwart. Turbines letzter Titelgewinn ist sieben Jahre her, die letzte Europapokal-Teilnahme datiert aus der Saison 2013/14. „Mein großes Ziel ist es, die Champions-League-Trophäe noch einmal in den Händen zu halten“, sagt Svenja Huth – mit dem Wissen, dass ihr das in Potsdam, wo derzeit eher nur um Bundesliga-Platz drei gekämpft wird, kaum gelingen wird. Daher sind ihre Aussagen über eine „neue sportliche Herausforderung“ und die Notwendigkeit für den „nächsten Schritt in meiner Entwicklung“ auch keine Phrasen, um den Aspekt eines wohl steigenden Gehalts zu kaschieren. Möchte sich Huth fußballerisch ganz groß verwirklichen, muss sie zu einem europäischen Top-Verein wie dem VfL Wolfsburg. Dort herrschen „optimale Rahmenbedingungen“, erklärt sie.
Huth kann ihrem neuen Verein dieses Jahr noch einiges vermiesen
Wie sie damit indirekt bestätigt, hängt Turbine den deutschen Spitzenadressen Wolfsburg und Bayern München hinterher in puncto Professionalität, also bei wirtschaftlichen und infrastrukturellen Faktoren sowie der Außendarstellung. Entsprechend schwer fällt es dem märkischen Club eben, besonders starke Spielerinnen wie Huth und Felicitas Rauch oder voriges Jahr Tabea Kemme und Lia Wälti ab einem gewissen Stadium zu halten. Turbine ist eher nur noch Talentförderer und Sprungbrett.
Bevor Svenja Huth zu den „Wölfinnen“ abspringt, kann sie mit Potsdam ihrem neuen Verein womöglich noch das erneute Double vermiesen. Zunächst treffen beide Teams im Viertelfinale des DFB-Pokals aufeinander. Und dann erneut am letzten Bundesliga-Spieltag, wenn es vielleicht zu einem Fernduell um die Meisterschaft zwischen dem VfL und dessen momentan punktgleichen Rivalen München kommt. (mit R.H.)
+++ Heimspiel als Dritter gegen den Vierten +++
Im Kampf um einen Podestplatz in der Frauenfußball-Bundesliga empfängt Turbine Potsdam am Samstag den direkten Kontrahenten SGS Essen (Beginn: 14 Uhr/Karl-Liebknecht-Stadion ). Potsdam liegt als Tabellendritter zwei Punkte vor den viertplatzierten Essenerinnen, die das Hinspiel 3:2 gewannen.