Landtagswahl: Die Brandenburg-Wahl markiert einen fundamentalen Wandel
In Potsdam steht die SPD vor einem Rückschlag, die AfD vorm Triumph. Eine Dreier-Koalition ist wahrscheinlich. Darin steckt auch eine Chance. Ein Kommentar.
Potsdam - Ein Beben wird die Landtagswahl. Für Brandenburg, bisher von Dietmar Woidke regiert. Für den SPD-Ministerpräsidenten – gibt ja nicht mehr viele davon. SPD und AfD gehen gleich stark in die Zielrunde. Wie es am 1.September ausgeht? Möglich, dass die Rechtsaußen-Partei, angeführt vom strammen Flügel-Mann Andreas Kalbitz, tatsächlich erstmals stärkste Kraft in einem deutschen Parlament wird. Mit all den verheerenden Konsequenzen, die das hätte. Etwa für das schon jetzt gestörte innere Klima in Brandenburg, für den Ruf des Landes, für den Wirtschaftsstandort. Möglich aber auch, dass genau diese Klarheit mobilisiert. Dass es Dietmar Woidke schafft, die Mark zu halten, und sei es nur ein Prozent vor der AfD. SPD-Zittersieg oder AfD-Triumph, so oder so: Brandenburg wird nicht mehr sein wie vorher.
Und dann?
Dass ausgerechnet dieses Land so schnell derart ins Rutschen geriet, mit seiner früher eher unaufregbaren, konservativen Bevölkerung, bleibt ein Phänomen. Die Mark, die Jahrzehnte ein Hort der Stabilität im Osten war. Nach 1990 ununterbrochen von SPD-Ministerpräsidenten regiert, Manfred Stolpe, Matthias Platzeck, und ja, seit 2013 von Dietmar Woidke. Immer hat die SPD ihre Verfolger, ob von der CDU oder den Linken, auf Abstand halten können. Das gelingt nicht mehr, weil sich Unzufriedenheit ausgebreitet hat, zwischen Uckermark und Fläming, Prignitz und Berlin-Speckgürtel.
SPD mit Burn-Out-Symptom
Welche Ursachen jenseits der großen Trends in der Welt, Europa, Deutschland sind in der kleinen Brandenburger Welt hausgemacht? Es gibt ungelöste Probleme, wie überfüllte Züge nach Berlin, fehlende Busse auf dem Land, tausende Funklöcher, Ärztemangel. Die rot-rote Regierung Woidkes, die am Sonntag abgewählt wird, war die schwächste in der Geschichte des Landes. Und die Sozialdemokraten sind nach fast dreißig Non-Stop-Regierungsjahren ausgezehrt, kaum frische Ideen, kaum Personal, Burn-Out-Symptom.
Da ist die Lausitz mit der Urangst, was nach der Kohle kommt, und wo das in der Wirkung verheerende Urteil zum sofortigen Tagebau-Stopp nun noch mehr Leute zur AfD treiben wird. Da ist die ostdeutsche Verwundung, die Enttäuschung über „die da“ in Berlin, SPD und CDU im Bund, und, und, und ...
Brandenburg geht es so gut wie nie
Trotzdem bleibt ein irrationales Moment, dass der Frust ausgerechnet jetzt am größten ist, da es Brandenburg nach allen objektiven Daten so gut geht wie nie: Die Arbeitslosigkeit liegt bei fünf Prozent, es sprudeln Rekordeinnahmen. Wie sähen die Wahlergebnisse aus, falls Deutschland in eine Rezession schlittert?
Die politischen Verhältnisse in Brandenburg haben sich fundamental verändert, nicht nur vorübergehend. Es gibt keine klassische Volkspartei mehr, die eine dominierende Rolle spielt, keine „Brandenburg-Partei“ – auch wenn sich die SPD immer noch so sieht – sondern mehrere Brandenburger Parteien. SPD, AfD, CDU, Linke, Grüne – alle mittelstark, mit Zwanzig-Prozent-Potenzialen, jeder nimmt einen Teil der Bevölkerung mit. Und es sieht so aus, dass womöglich auch FDP und Freie Wähler im Landtag vertreten sein werden. Er wird bunter.
Zeit für einen neuen Brandenburger Weg
Führt das zu Drama, Instabilität und Chaos? Gewiss, nach der Wahl wird wohl eine Dreier–Koalition nötig sein, vielleicht sogar ein Vierer-Bund, in einer Farbenlehre, die es in Deutschland vorher nie gab. Es wird zur Herausforderung für den demokratischen Diskurs, Interessen auszugleichen und Kompromisse zu finden, erst Recht mit der AfD als gestärkte Opposition. Das wird allen auch die Kraft abverlangen, im Interesse des Landes nachgeben zu können. Aber es ist auch eine Chance für Brandenburg, wo schon einmal eine Ampel regierte, was damals ein guter Aufbruch in die neue Zeit war. Im Land gibt es viel anzupacken, es muss wieder zusammenfinden: Es ist Zeit für einen neuen Brandenburger Weg. Einen, der vielleicht auch anderswo in Deutschland nötig werden kann.
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