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Die Covid-Intensivstation des Potsdamer Klinikums auf einem Bild aus dem Frühsommer.
© Andreas Klaer
Exklusiv

Untersuchung nach dem schweren Corona-Ausbruch: Diagnose: Potsdamer Klinikum krank gespart

Die Expertenkommission unter Leitung der ehemaligen Linke-Ministerin Anita Tack legt ihren Bericht vor - darin kritisiert sie die Ex-Geschäftsführung, aber auch Stadtpolitik und Aufsichtsrat.

Potsdams kommunales Klinikum „Ernst von Bergmann“ soll dringend einen Neubau erhalten. Das ist eine Forderung der Expertenkommission unter Leitung von Brandenburgs ehemaliger Linke-Gesundheitsministerin Anita Tack, die am Montagnachmittag dem Klinikum-Aufsichtsrat ihren Bericht vorstellte. Die Kommission war Ende April 2020 durch den Aufsichtsrat eingesetzt worden, um die Ursachen für den schweren Corona-Ausbruch im Bergmann-Klinikum im März und April vergangenen Jahres zu untersuchen.

Nach PNN-Recherchen spricht sich die Kommission deutlich für einen Neubau aus, weil die über Jahrhunderte gewachsene Baustruktur des Klinikums erheblich zum Ausbruchsgeschehen beigetragen habe. Ob am Standort in der Innenstadt oder an einem neuen Ort neu gebaut werden soll, darauf legt sich die Kommission nicht fest. Sie empfiehlt jedoch, Experten einzubinden. Es sei allen klar, dass ein Neubau unerlässlich sei, hieß es. 

Bericht soll komplett veröffentlicht werden

Bei der Aufsichtsratssitzung am Montagnachmittag entschieden die Mitglieder, dass der komplette Untersuchungsbericht öffentlich werden soll. Der Veröffentlichung stimmte das zwölfköpfige Gremium, das mit Stadtverordneten und Arbeitnehmervertretern besetzt ist, nach PNN-Informationen erst nach vierstündiger kontroverser Debatte zu. Bei der Abstimmung soll es Enthaltungen, aber eine klare Mehrheit gegeben haben. Für die komplette Veröffentlichung haben sich  Oberbürgermeister Mike Schubert als Gesellschaftervertreter sowie die Aufsichtsratsvorsitzende, Gesundheitsbeigeordnete Brigitte Meier (beide SPD), und die Klinikumgeschäftsführung eingesetzt. 

Anita Tack und Frank T. Hufert, die Leiter der Untersuchungskommission zum Corona-Ausbruch im Bergmann-Klinikum in Potsdam.
Anita Tack und Frank T. Hufert, die Leiter der Untersuchungskommission zum Corona-Ausbruch im Bergmann-Klinikum in Potsdam.
© Stadtverwaltung Potsdam

Es sei wichtig, den „eingeschlagenen Weg der Neuausrichtung des Klinikums mit einem transparenten Umgang mit dem Bericht fortzusetzen“, so Schubert in einer Pressemitteilung. Es gehe darum, weitere Lehren zu ziehen. Er werde den Stadtverordneten am Mittwoch im Hauptausschuss den Bericht sowie eine Mitteilungsvorlage der Stadt vorlegen. 

Nach Angaben des Rathauses und des Klinikums teile der Aufsichtsrat „viele wichtige Erkenntnisse und Einschätzungen“ des Berichts. Einige Feststellungen bedurften jedoch noch einer „grundsätzlichen Diskussion“, diese solle „in einer Klausur vertieft“ werden. Aufsichtsratsvorsitzende Meier betonte, die Empfehlungen des Berichts würden viele der von Aufsichtsrat und der neuen Klinikum-Geschäftsführung „bereits eingeleitete Maßnahmen“ bestätigen. Dabei gehe es um Hierarchien und interne Kommunikation.

Kommission kritisiert damalige Unternehmensführung

Indirekt bestätigt der Untersuchungsbericht nach PNN-Recherchen, dass der Führungsstil der damaligen Geschäftsführung den schweren Corona-Ausbruch begünstigt haben könnte. So stellt die Kommission fest, dass die Anforderungen für Sicherheit, Hygiene und Qualität zwar formell und auf dem Papier erfüllt worden seien, jedoch nicht als „proaktiv als zentraler Wert in der Unternehmensführung verankert“ worden seien.

Dafür macht die Kommission jedoch nicht nur die damalige Klinikum-Geschäftsführung verantwortlich, sondern auch den Kurs der Stadtpolitik seit 2005, als die Stadtverordneten nach einer McKinsey-Untersuchung beschlossen hatten, das Klinikum auf einen Sparkurs zu zwingen, um es nicht zu verkaufen.  

Die Kommission kritisiert, dass die Stadt Potsdam als Gesellschafterin konkrete Umsatzrenditen gefordert und Gewinnabführungen für gesundheitliche Versorgung erwartet habe. Die Leistung der Geschäftsführung sei von Stadt und Aufsichtsrat am wirtschaftlichen Erfolg und nicht an der Qualität der medizinischen Versorgung und der Patientensicherheit gemessen worden.

Das Klinikum "Ernst von Bergmann".
Das Klinikum "Ernst von Bergmann".
© Sebastian Gabsch

Bei dem heftigen Corona-Ausbruch im März und April 2020 waren insgesamt rund 350 Patienten und Mitarbeitende mit dem Coronavirus infiziert. 47 Patienten starben im Bergmann mit oder an Corona. 44 von ihnen waren wegen anderer Erkrankungen in das Krankenhaus eingeliefert worden.

Die Potsdamer Staatsanwaltschaft hat im Juni 2020 Ermittlungen wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung sowie der fahrlässigen Körperverletzung gegen die ehemaligen Geschäftsführer Steffen Grebner und Dorothea Fischer sowie gegen den damaligen Ärztlichen Direktor und Infektiologie-Chefarzt Thomas Weinke, die damalige Krankenhaushygienikerin sowie die Chefärztin der Geriatrie aufgenommen.

Die Ermittlungen dauerten derzeit an, sagte am Montag der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Markus Nolte, auf PNN-Anfrage. Die Staatsanwaltschaft hatte bei einer Durchsuchung „umfangreiche Beweismittel“ sichergestellt. Es würden derzeit Patientenakten ausgewertet und im Hinblick auf die Tatvorwürfe geprüft. Wie lange die Ermittlungen laufen, lasse sich nicht vorhersehen, so der Sprecher.

Potsdam wolle bei seinem Klinikum umsteuern

Mit dem Untersuchungsbericht wollen die Stadt- und die Klinikumspitze offenkundig ihren neuen Kurs für das kommunale Krankenhaus untermauern. Oberbürgermeister Schubert sagte am Montagabend: „Die Corona-Pandemie zeigt im Brennglas, dass die Ökonomisierung der deutschen Krankenhauslandschaft das Gesundheitssystem in der Krise an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit bringt.“ In Potsdam habe man angefangen umzusteuern und werde „diesen Weg weiter gehen“. Dazu seien die Ergebnisse der Kommission „ein Beitrag“. Auch die Klinikum-Geschäftsführer Hans-Ulrich Schmidt und Tim Steckel sowie der Ärztliche Direktor und die Pflegedirektorin bewerteten den Untersuchungsbericht positiv, hieß es in einer Mitteilung.

Hans-Ulrich Schmidt und Tim Steckel, Geschäftsführer des Klinikums "Ernst von Bergmann".
Hans-Ulrich Schmidt und Tim Steckel, Geschäftsführer des Klinikums "Ernst von Bergmann".
© Ottmar Winter

Für Unmut soll bei Aufsichtsräten gesorgt haben, dass die von ihnen eingesetzte Expertenkommission auch die Rolle des Aufsichtsrats selbst kritisch beleuchtet habe. So wird kritisiert, dass das Aufsichtsgremium, das den Regularien nach die Zusammensetzung der Stadtverordnetenversammlung widerspiegeln muss, zu wenig fachlich agiert habe. Die Kommission stellt fest, dass dem Aufsichtsrat ein ausgeprägtes Interesse für Defizite und Schwachstellen im Klinikum bei Patientensicherheit, Qualität der Versorgung oder risikobehafteten Prozessen gefehlt habe. Deshalb habe der Aufsichtsrat die Möglichkeiten der Kontrolle nicht so weit ausgeschöpft, wie ihm dies möglich sei. Die Kommission bemängelt auch, dass keine Strategieklausuren durchgeführt worden seien. 

"Optimierung der Unternehmenskultur"

Das 14-köpfige Expertengremium, geführt von Tack und dem Virologen Frank Hufert, hat mehr als sechs Monate die Ursachen für den Ausbruch sowie „die internen Abläufe und Verantwortlichkeiten“ untersucht. Zudem hatte sie den Auftrag, „Empfehlungen für die Optimierung der Unternehmenskultur und des Betriebsklimas“abzugeben und Vorschläge für eine „verbesserte Zusammenarbeit“ zwischen der Klinikum-Spitze, dem Aufsichtsrat, der Stadt als Gesellschafter und den Stadtverordneten zu machen. Dabei ging es auch um die Frage, ob es grundlegende Defizite in Hygiene und Organisation der Klinik gegeben habe und ob dies zu einem Fehlverhalten beim Ausbruch geführt habe. Das Klinikum hatte bereits Mitte April 2020 Fehler und Versäumnisse im Umgang mit dem Ausbruch des Virus eingestanden. Es habe den Ausbruch zu spät erkannt und deshalb nicht adäquat reagiert, teilte die damalige Geschäftsführung mit. Der nunmehr Ex-Chef Grebner, der jetzt für die Klinikum Region Hannover-Gruppe arbeitet, hatte in der Erklärung die Fehler bedauert und Aufarbeitung und Konsequenzen versprochen.

Der ehemalige Vorsitzende der Geschäftsführung des Klinikums "Ernst von Bergmann" Steffen Grebner.
Der ehemalige Vorsitzende der Geschäftsführung des Klinikums "Ernst von Bergmann" Steffen Grebner.
© Andreas Klaer

Als eine Grundlage für die Arbeit der Expertenkommission gilt der Bericht des Robert Koch-Instituts (RKI) zu den Geschehnissen während des Ausbruchs im Klinikum.  Das Interventionsteam der Bundesbehörde war angesichts des Coronaausbruchs von Stadt und Gesundheitsministerium zur Hilfe gerufen worden. Nach einem Vor-Ort-Termin hatte das RKI in einem Bericht zahlreiche Mängel und Versäumnisse festgestellt.

Die Expertenkommission sollte prüfen, ob diese Mängel „auf grundlegenden organisatorischen und hygienischen Defiziten“ beruhen und „ob es deshalb zu Fehleinschätzungen und Fehlhandlungen beim Ausbruchsgeschehen“ gekommen ist. Dies ist ein wichtiger Punkt, denn dabei geht es unter anderem um die Verantwortung der ehemaligen Geschäftsführung. 

Freiwillige Gespräche mit Klinikum-Mitarbeitenden

Für ihren Bericht hat die Kommission auch Mitarbeitende des Klinikums befragt. In den freiwilligen Gesprächen sollte es um die Unternehmenskultur und die interne Zusammenarbeit gehen. Die Kommission wolle sich einen Eindruck verschaffen, wie Mitarbeiter „die Zusammenarbeit, Kommunikation und den Umgang mit Patientensicherheit, Hygiene sowie unerwarteten Situationen im Klinikum erleben und erlebt haben“, hieß es in einem internen Bergmann-Newsletter. Gesprochen werden sollte mit Vertretern aller Ebenen, beispielsweise mit Führungskräften der Verwaltung, Ärzten, Pflegern, Reinigungskräften und Küchenhilfen.

Die Expertenkommission hat insgesamt 14 Mitglieder, die unter anderem die Bereiche Krankenhaushygiene und -organisation, Medizinrecht, Risikomanagement und Patienten- und Mitarbeitervertretung vertreten. 

Neben Tack und Hufert sind dies sind Heidrun Grünewald, ehemalige Geschäftsführerin des Carl-Thiem-Klinikums in Cottbus, Sonja Hansen, Oberärztin im Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Charité, Thomas Barta, ehemaliger Abteilungsleiter in Brandenburgs Gesundheitsministerium, der auf Krankenhausbau spezialisierte Architekt Peter MaronRuth Hecker, Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, Thomas Boggatz, Professor für Pflegewissenschaft an der BTU, die Organisationsberaterin Annette Gebauer, Verdi-Funktionärin Meike JägerMichaela Hofmann, Amtsleiterin in der Kreisverwaltung Prenzlau, der Arbeitsmediziner Till Geißler und der Rechtsanwalt Wolfgang Kuhla. Letzterer war in Potsdam bereits an der Aufarbeitung der Stadtwerke-Affäre beteiligt.

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