Ermittlungen gegen neuen Geschäftsführer: Der Neuanfang am "Bergmann"-Klinikum wird überschattet von Betrugsvorwürfen
Den designierten neuen Klinikum-Chef Tim Steckel holen seit Jahren laufende Betrugsermittlungen ein. Eine Abfindung gibt es für Ex-Konzernlenker Steffen Grebner.
Potsdam - Der personelle Neuanfang an der Spitze des kommunalen Klinikums „Ernst von Bergmann“ wird von Betrugs- und Untreuevorwürfen überschattet. Denn eine der beiden neuen Führungspersönlichkeiten im Klinikum, Tim Steckel, ist selbst Beschuldigter in einem umfangreichen Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Potsdam. Das bestätigte ein Sprecher der Behörde am Donnerstag auf PNN-Anfrage. Es geht um einen möglicherweise millionenschweren Abrechnungsbetrug mit teuren Medikamenten wie der Arznei Remicade, wegen dem die Staatsanwaltschaft seit mehr als drei Jahren ermittelt. „Wir prüfen dazu, ob Untreue oder Betrug vorliegt“, sagte der Sprecher.
Steckel: „Inhaltlich völlig haltloser Vorwurf"
Am Mittwochabend waren Steckel und Hans-Ulrich Schmidt, die nach dem außer Kontrolle geratenen Corona-Ausbruch das Haus seit vergangenem April als Interimschefs führen, per Pressemitteilung der Öffentlichkeit als neues offizielles Führungsteam des Hauses präsentiert worden. Mit einer wichtigen Einschränkung: Während Schmidt für fünf Jahre bestellt wurde, habe Steckel darum gebeten, die Funktion „zunächst für sechs Monate weiterhin interimistisch wahrzunehmen“, wie es das Klinikum ausdrückte.
Zur Begründung wurde ein aus Steckels Sicht „inhaltlich völlig haltloser Vorwurf im Remicade-Komplex“ genannt, der sich auf angebliche Handlungen aus dem Jahr 2011 beziehe – damals habe Steckel aber noch „keine wesentliche Mandatsfunktion im Klinikum ausgeübt“. Den Vorwurf wolle er nun rechtlich ausräumen. Der Aufsichtsrat unter Gesundheitsdezernentin Brigitte Meier (SPD) habe das „mit Respekt“ zur Kenntnis genommen, so das Klinikum.
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Ob die erhoffte Entkräftung des Vorwurfs schnell gelingen kann, ist unklar. Schon seit mehreren Jahren belasten die Ermittlungen das Haus. So besteht der Verdacht, dass kostspielige Medikamente wie Remicade doppelt abgerechnet worden sind – mutmaßlich zum Vorteil von Medizinern und Apothekern, zum Nachteil der Krankenkassen und damit auch der Versicherten.
Dabei waren nach PNN-Informationen auch renommierte Chefärzte im Klinikums ins Visier der Ermittler geraten, vor drei Jahren gab es vor Ort auch eine Hausdurchsuchung. Insgesamt gebe es 22 Beschuldigte, hieß es von der Staatsanwaltschaft. Weitere Details nannte der Sprecher mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht. 2017 hatte die Behörde von einem mutmaßlichen Schaden in Höhe von mehreren Millionen Euro gesprochen.
Steckel sagt, Mitte November habe er von dem Vorwurf erfahren
Eine Frage ist nun, seit wann Steckel wusste, dass die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelt. Das Klinikum teilte dazu mit: „Der Vorwurf ist ihm erst Mitte November zur Kenntnis gelangt.“ Insofern muss auch die Stadtspitze vergleichsweise kurzfristig die brisante Information erhalten haben. Der Aufsichtsrat habe beiden Geschäftsführern „sein vollstes Vertrauen“ ausgesprochen – das Ziel sei es, das Klinikum „erfolgreich durch die Corona-Pandemie zu führen“, hieß es in der Mitteilung des Gesundheitskonzerns.
Am Mittwochabend hatte die Stadtverwaltung auch mitgeteilt, dass die frühere Klinikspitze mit dem langjährigen Chef Steffen Grebner nun das Feld räumt. Nach dem schweren Corona-Ausbruch im Klinikum im Frühjahr mit zahlreichen Infizierten und Toten hatte Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) als Gesellschaftervertreter Grebner und die medizinische Geschäftsführerin Dorothea Fischer für zunächst sechs Monate beurlaubt, weil die Stadt Verfehlungen beim Umgang mit der Krise vermutet.
Die Staatsanwaltschaft hatte später Ermittlungen gegen Grebner, die medizinische Geschäftsführerin Fischer sowie drei leitende Ärzte unter anderem wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung aufgenommen. Diese dauern an, wie ein Sprecher der Behörde sagte. Zudem hat im Auftrag des Klinikum-Aufsichtsrats eine Untersuchungskommission unter der früheren Landesgesundheitsministerin Anita Tack (Linke) die Arbeit aufgenommen. Sie soll unter anderem die Umstände des Ausbruchs aufklären. Das Ergebnis wird Mitte Dezember erwartet.
Auch Kritik an der Entscheidung
Schon vorher wird nun Grebner Ende November seine Geschäftsführung niederlegen, das geschehe „im Einvernehmen“, so das Rathaus. Noch am Mittwochabend wurde auch klar, zu welchen Konditionen zumindest Grebner den Chefposten räumt – dem Vernehmen nach geht es um eine Abfindung in Gesamthöhe von mehr als 450 000 Euro, wie mehrere Quellen den PNN bestätigten.
Die Summe steht dem Vernehmen nach unter dem Vorbehalt möglicher Zivilklagen wegen des Corona-Ausbruchs, wenn also das Klinikum beispielsweise Schadensersatz oder Schmerzensgeld zahlen müsste. Die gütliche Einigung sei nötig um Ruhe in das Unternehmen zu bringen, hieß es aus Rathauskreisen. Die erst im November 2019 berufene medizinische Geschäftsführerin Fischer bleibe weiterhin Chefärztin der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe. Sollte sich der Verdacht gegen sie nicht erhärten, wird sie von Schubert erneut als Kandidatin für die Spitze des Hauses gesehen.
Kritik an den Vorgängen übte am Donnerstag die oppositionelle Fraktion Die Andere via Facebook. Der OB habe vorzeitige Tatsachen geschaffen ohne den Tack-Bericht abzuwarten, so die Fraktion via Facebook. Moniert wurde auch der Verzicht auf eine Ausschreibung der Chefposten. Und: „Aus unserer Sicht ist der goldene Abschied für Steffen Grebner ein falsches Signal.“
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