Corona-Affäre in Potsdam: Die Zeitenwende am Bergmann-Klinikum
Lange schien unmöglich, dass Klinik-Chef Steffen Grebner seine Macht verliert - und dass die Mitarbeiter Tariflohn erhalten. Jetzt ist beides eingetreten. Die Interims-Chefs dagegen sind alte Bekannte.
Potsdam - Es war am Mittwochabend kurz vor Mitternacht, als Gesundheitsdezernentin Brigitte Meier (SPD) entnervt den großen Saal im Hauptquartier der Industrie- und Handelskammer verließ. Sie brauchte eine kurze Pause. „Wo bin ich hier nur gelandet, was gibt es da noch zu diskutieren?“, rief die Sozialdezernentin in Richtung wartender Journalisten. In dem Saal tagte da bereits seit fünf Stunden der Hauptausschuss der Stadtverordneten zum weiteren Umgang mit der Geschäftsführung des Bergmann-Klinikums. Es ging um Konsequenzen des Corona-Ausbruchs in dem Haus, in dessen Folge zahlreiche Menschen starben. Doch ohne konkrete Beschlüsse gingen die Kommunalpolitiker nach Mitternacht auseinander, teils sichtlich ermattet. Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) sagte gleichwohl, er habe ein Votum aus der Politik erhalten – dieses werde in seine Entscheidung zum Klinikum einfließen.
Am Donnerstagnachmittag gab er seinen Beschluss dann bei einer Pressekonferenz bekannt: Der langjährige Klinikchef Steffen Grebner und die erst vor wenigen Monaten berufene medizinische Geschäftsführerin Dorothea Fischer sind ab Samstag (25.4.) beurlaubt. Eine unabhängige Untersuchungskommission unter Leitung der früheren Gesundheitsministerin Anita Tack (Linke) wird mit der Aufarbeitung des Corona-Ausbruchs sowie seiner Ursachen beauftragt, es gehe unter anderem um organisatorische und hygienische Mängel. Als Interimschefs für sechs Monate wurden Hans-Ulrich Schmidt aus dem Tochterhaus in Forst (Lausitz) und Tim Steckel, der kaufmännische Direktor des Klinikums, präsentiert. Schubert sagte, eine andere Entscheidung als diese Konsequenz sei auch der Öffentlichkeit nicht vermittelbar gewesen. Er kritisierte deutlich, dass Mitarbeiter des Klinikums inzwischen offen in der Stadt angefeindet würden. Damit sei für ihn eine Grenze überschritten.
Bereits am Dienstagabend hatte der Aufsichtsrat für die Beurlaubung votiert, mit sieben Ja- sowie vier Nein-Stimmen und einer Enthaltung. Am Mittwoch folgte der besagte Hauptausschuss hinter verschlossenen Türen. Dabei wurden auch mehrere Dringlichkeitsanträge behandelt. So hatte die Fraktion Die Andere die sofortige Absetzung von Grebner gefordert – das fand aber keine Mehrheit, weil die Vorwürfe zuerst hieb- und stichfest aufgeklärt werden müssen, so ein Argument der Antragsgegner. Das Kalkül: Wenn man Greber konkrete Fehler nachweisen kann, muss man keine Abfindung zahlen. Allerdings ist die jetzige Beurlaubung mit weiteren Lohnzahlungen verbunden, Grebner verdient wie berichtet mehr als 200 000 Euro pro Jahr.
Weiterer Knackpunkt: Einige Kommunalpolitiker hätten Fischer gern gehalten – allerdings hatte bereits der Aufsichtsrat von einer Gesamtverantwortung der Bergmann-Spitze gesprochen. Fischer kann aber weiter als Chefärztin für Frauenheilkunde am Klinikum arbeiten, sagte Schubert.
Streit um CDU-Antrag
Für weiteren Streit sorgte auch nach der Sitzung ein abgelehnter Antrag der CDU auf eine weitere Untersuchungskommission, die sich mit möglichen Verfehlungen auf der Seite des Rathauses befassen sollte. Noch in der Nacht zum Donnerstag kritisierte CDU-Fraktionschef Götz Friederich, dass bei der Aufklärung nun nicht auch die Rolle der Stadt als Gesellschafter und Fachaufsicht beleuchtet wird. Einen entsprechenden Antrag habe die Rathauskooperation abgelehnt, so Friederich. Darüber sei er enttäuscht, für die CDU hätte das „zur politischen Glaubwürdigkeit“ gehört. Vertreter der rot-grün-roten Rathauskooperation widersprachen dieser Darstellung – so werde die Rolle der Stadt nun in der Tack-Kommission mitbeleuchtet, sagte Grünen-Fraktionschefin Janny Armbruster. Das habe man extra im Ausschuss-Protokoll festgeschrieben – den CDU-Antrag habe man abgelehnt, weil dieser in anderen Punkten „nicht funktioniert hat“. Aus der Kooperation kam wiederum Kritik, einige CDU-, Bürgerbündnis- und FDP-Vertreter hätten die Beurlaubung von Grebner nicht unterstützt.
Auch jenseits der Aufarbeitung des Corona-Ausbruchs ging es am Donnerstag bereits um die Zeit nach der Ära Grebner, der über Jahre auch die ohne Tarifbindung erfolgte Bezahlung am Klinikum vor allem aus finanziellen Gründen verteidigt hatte. Doch wie berichtet hat sich diese Woche die Rathauskooperation aus SPD, Grünen und Linken darauf verständigt, nun die Forderungen des Bürgerbegehrens für tarifgerechte Löhne und bessere Arbeitsbedingungen am Klinikum zu übernehmen. Dazu kommen 900 000 Euro für eine 500-Euro-Extraprämie für alle Angestellten in der Coronakrise. Ihren Vorstoß stellten die Bündnispartner am Donnerstag vor Journalisten vor, mehrfach war von einem Paradigmenwechsel die Rede. Bekanntlich hatte das Klinikum und andere ostdeutsche Krankenhäuser die Tarifbindung 2006 fallen gelassen.
Manche verdienen 40 Prozent unter Tarif
Insofern habe der Vorstoß auch Signalwirkung über Potsdam hinaus, sagte Verdi-Gewerkschaftssekretär Torsten Schulz bei der Pressekonferenz. Bis zu 40 Prozent würden manche Beschäftigte unter Tarif bezahlt werden, hieß es. Die Stadt hatte bereits mit Kosten in Höhe von rund 13,7 Millionen Euro pro Jahr kalkuliert – die das Klinikum nicht allein schultern wird können. Daher werde es „städtische Zuführungen im größeren Rahmen“ geben müssen, sagte etwa SPD-Fraktionschef Daniel Keller. Wie man das im Haushalt der Stadt darstellt, dies werde man im Herbst beraten, sagte Grünen-Fraktionsvorsitzende Armbruster – dann muss die Stadt wegen sinkender Steuereinnahmen im Zuge der Coronakrise voraussichtlich einen Nachtragshaushalt auflegen. Dabei setze man auch darauf, dass im Zuge der Krise die Krankenhausfinanzierung in Deutschland neu geregelt werde, sagte Linke-Fraktionschef Stefan Wollenberg.
Keller wiederum sagte auf Nachfrage, die 900 000 Euro Bonuszahlungen würden aus „finanzwirksamen Haushaltsrücklagen“ der Stadt beglichen. Am 6. Mai wollen die Fraktionen ihren Vorstoß im Stadtparlament beschließen. Schubert sagte in der Pressekonferenz zur Grebner-Beurlaubung, die Tarifrückkehr werde eine große finanzielle Herausforderung für den kommunalen Haushalt – gerade in Coronazeiten. (mit wik)
Das sind die neuen Geschäftsführer im Kurzporträt:
Der 53-jährige Hans-Ulrich Schmidt arbeitete zunächst als Pflegedienst-Leiter in einer Universitätsklinik und dann als Verwaltungsdirektor eines konfessionellen Krankenhauses. Seit dem 1. März 2016 ist er Geschäftsführer der Lausitz Klinik Forst, die auch zur Bergmann-Gruppe gehört. Der gebürtige Hesse Schmidt war – neben mehreren Funktionen in der Klinikgruppe – zusätzlich von 2014 bis 2019 unter anderem kaufmännischer Direktor des Klinikums Westbrandenburg, ebenfalls ein Bergmann-Haus. Er ist gelernter Krankenpfleger und Gesundheitsökonom und verfügt nach Angaben der Stadt über 20 Jahre Erfahrung im Management und habe dabei auch die Verantwortung für Kliniken mit bis zu 1000 Betten getragen. Das Bergmann-Klinikum hat 1100 Betten.
Tim Steckel ist seit Januar 2017 kaufmännischer Direktor des Klinikums "Ernst von Bergmann". Der 37-Jährige ist studierte Wirtschaftsingenieur gehört der Klinikgruppe seiner Aussage nach seit 2008 an. Seit Januar 2020 ist Steckel auch Geschäftsführer Januar 2020 des Klinikums Westbrandenburg und seit Juni 2014 der Cateringgesellschaft des Bergmann-Klinikums. Steckel verantworte darüber hinaus seit 2014 die Geschäftsbereichsleitung Finanzen, Controlling und strategische EDV des Klinikums, das für seine besonders ausfeilten Steuerungsmethoden bekannt ist. Kurz nach seinem Start in der Klinikgruppe 2008 hatte Steckel nach Angaben der Stadt die kaufmännische Leitung der Poliklinik Ernst von Bergmann übernommen und diese bis 2010 geleitet. Zuvor war er am Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg, wo auch der nun beurlaubte Geschäftsführer Steffen Grebner tätig war, in verschiedenen Managementpositionen in Verantwortung.
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