zum Hauptinhalt

"Fridays for Future“: Das Schulschwänzer-Dilemma in Potsdam

Die meisten Potsdamer Schulen begrüßen die „Fridays for Future“-Demonstrationen und betrachten sie als Teil der demokratischen Willensbildung. Konsequenzen für die Schüler gibt es aber trotzdem.

Potsdam - Mitte März ist es wieder soweit, viele Potsdamer Schüler und Studenten werden dann wieder im Rahmen von „Fridays for Future“ für den Klimaschutz demonstrieren. Für ihre Forderung zum schnelleren Kohleausstieg und gegen den Klimawandel ernten die jungen Menschen vor allem in den sozialen Netzwerken viel Kritik, vor allem weil der Protest freitags zumindest teilweise während der Schulzeit stattfindet. Vorbild der Protestbewegung ist die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg, die mit dem „Schuleschwänzen für das Klima“ zuerst ein Zeichen setzte, das inzwischen weltweit weitergetragen wird. Wie aber gehen die Potsdamer Schulen mit den Protesten um? Eine PNN-Recherche zeigt, dass die meisten einen Weg gefunden haben, mit dem Dilemma umzugehen.

Fehlzeiten werden registriert

An vielen Schulen wird der Protest zwar als Teil der demokratischen Teilhabe gebilligt, trotzdem werden Schülern aber unentschuldigte Fehlzeiten eingetragen. „Natürlich bestärken wir die Schüler, sich an dem politischen Willensbildungsprozess zu beteiligen“, sagt etwa der stellvertretende Schulleiter des Leibniz-Gymnasiums, Uwe Sommerfeld, auf PNN-Anfrage. Allerdings würden Proteste während der Unterrichtszeit mit der Schulpflicht kollidieren, so Sommerfeld. „Wenn Schüler fehlen, tragen wir sie gesetzlich verpflichtet als fehlend ein.“ Er betont, dass man aber keine „erschwerenden Tatsachen“ schaffe, um Schülern die Teilnahme am Protest zu verwehren. Ähnlich äußerte sich auf Anfrage auch das Schiller-Gymnasium. Damit bewegen sich die Schulen auch in dem Rahmen, den das Landesbildungsministerium vorgibt. Dort habe man laut Sprecher Ralph Kotsch zwar Verständnis für das Anliegen der Schüler, „weist aber darauf hin, dass die Schulpflicht nicht außer Kraft gesetzt werden darf.“

Unentschuldigtes Fehlen könnte laut dem Sprecher des Elternbeirats, Markus Kobler, allerdings zum Problem werden – zumindest wenn die Jugendlichen kurz vor dem Abschluss stehen. Zwar stünden die Fehlstunden nicht auf den Abiturzeugnissen, „einige Schüler müssen sich aber bereits mit vorherigen Zeugnissen auf Stellen bewerben.“ Und auf diesen seien die unentschuldigten Fehlzeiten vermerkt.

Während nicht nur das SPD-geführte Bildungsministerium, sondern wie berichtet Brandenburger Politiker fast aller Coleur das Engagement der Schüler begrüßen, ist der Regierungschef des Landes weniger begeistert von den Protesten. Bei einer Bürgerveranstaltung in Potsdam hatte Dietmar Woidke (SPD) kürzlich kritisiert, dass dafür Stunden geschwänzt werden. „Ich würde mir ja eher ,Saturdays for Future' wünschen“, so Woidke. Stattdessen sollten die Schüler am Freitag den Unterricht verfolgen und sich Wissen aneignen, mit dem sie dann eines Tages womöglich als erfolgreiche Ingenieure die Herausforderungen der Energiewende meistern könnten. Er begrüße prinzipiell, dass junge Menschen sich engagierten, so Woidke. Aber irgendwann gebe es dann vielleicht auch noch einen „Thursday gegen Armut“ – Probleme gebe es ja viele. „Ich frage mich nur, ob es nötig ist, dass dafür Schulstunden draufgehen müssen.“

Kulante Handhabung der Beurlaubungen

An manchen Potsdamer Schulen hat man quasi einen Mittelweg gefunden, mit den fehlenden Schülern umzugehen. „Auch uns Lehrkräfte beschäftigt das Dilemma zwischen Unterstützung des Engagements der Jugendlichen und dem dann immer zur gleichen Zeit fehlenden Unterricht“, so Simone Sonntag von der Waldorfschule Potsdam. Man habe sich entschieden, dass eine Beurlaubung vom Unterricht durch die Eltern in der Regel bewilligt werde, wenn das Gesuch einige Tage zuvor eingereicht wird. Ebenso wird es bei den Evangelischen Gymnasien auf Hermannswerder und in Kleinmachnow geregelt, auch an der Potsdamer Voltaire-Gesamtschule und der Da-Vinci-Gesamtschule geht man kulant mit Beurlaubungen um.

Da-Vinci-Schulleiterin Kirsten Schmollack betont, dass man das Engagement der Schüler unterstütze. „Wir wünschen uns politisches Engagement unserer Schüler, dazu gehört aber neben den Protestaktionen auch eine argumentative Auseinandersetzung.“ Es wäre bedauerlich, wenn die Schüler in dem Moment, wo sie sich politisch engagierten, Zurückweisung und Unverständnis seitens der Lehrer und Schule erfahren würden, so Schmollack.

Auch das Neue Gymnasium Glienicke unterstütze die Schüler, betont deren Vertreter Carl Exner. Am Filmgymnasium Babelsberg holen die Schüler im Gegenzug zu ihrem Besuch bei den Protesten den verpassten Stoff nach Absprache mit ihren Lehrern selbstständig nach, wie Schulleiter Michael Rißleben mitteilt. Es handle sich allerdings auch lediglich um eine Handvoll Schüler, die streiken, so Rißleben. An der Sportschule habe bislang noch kein Schüler gestreikt, so Schulleiterin Iris Gerloff.

Mehrere weiterführende Schulen haben sich trotz mehrfacher Anfrage nicht zum Umgang mit den Protesten geäußert, etwa die Lenné-Schule, die Steuben-Gesamtschule, das Helmholtz-Gymnasium, das Einstein-Gymnasium, das Gymnasium Babelsberg oder das Humboldt-Gymnasium. Kobler bestätigte unterdessen Gerüchte von Schülern, dass an zwei Potsdamer Schulen, deren Namen er nicht nennen wollte, Tests für die Protest-Freitage angesetzt wurden: „In beiden Fällen wurde der Test aber nicht abgehalten, obwohl in einer Schule Schüler am Streik teilgenommen haben.“ (mit Katharina Wiechers)

+++ Hintergrund: Wählen mit 16? Klima-Streiks der Schüler lösen neue Debatte aus

Die bundesweiten Klimaschutz-Proteste von Schülern haben den Streit um die Herabsetzung des Wahlalters innerhalb der Bundesregierung neu entfacht. Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) sprach sich dafür aus, Jugendlichen mehr politische Teilhabe zu ermöglichen und das Wahlalter herabzusetzen: „Wir sollten ein Wahlrecht ab 16 Jahren einführen“, sagte die Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl der „Passauer Neuen Presse“. Dass die Jugendlichen für den Klimaschutz demonstrieren und sich so engagierten, sei doch großartig. „Das räumt mit dem Vorurteil auf, dass junge Leute nicht aktiv genug wären und sich nicht politisch engagieren.“ Es verdiene hohen Respekt, dass die Schüler für ihre Zukunft auf die Straße gehen. „Solche jungen Leute wünschen wir uns.“Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei (CDU), lehnte Barleys Vorschlag ab. „Das Wahlrecht würde durch eine Absenkung des Wahlalters letztlich entwertet“, sagte er. Man könne kaum begründen, „warum jemand über die Geschicke eines Landes und einer Gesellschaft mitentscheiden soll, den wir in allen anderen Bereichen nicht für reif genug erachten, seine Angelegenheiten ohne die Zustimmung seiner Eltern zu regeln“. So dürften Minderjährige keinen Mobilfunkvertrag abschließen oder nicht einen Film im Kino anschauen, dem die FSK-Jugendfreigabe fehle. Es gebe einen breiten gesellschaftlichen Konsens dafür, dass ein junger Mensch mit Vollendung seines 18. Lebensjahres die Volljährigkeit erlangt. „Das ist dann auch der richtige Zeitpunkt, ihm das Wahlrecht zu übertragen“, meinte der CDU-Politiker. Auch die Demonstrationen an sich sind in der Bundesregierung umstritten. Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) lehnt Schülerstreiks während der Unterrichtszeit ab, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lobte nun die Proteste. Diese seien eine „gute Initiative“. Merkel sagte, sie unterstütze es, wenn Schüler für den Klimaschutz auf die Straße gingen und dafür kämpften. Luisa Neubauer, Organisatorin von „Fridays for Future“ in Berlin, bezeichnete es als erfreulich, dass sich wichtige Politiker zu dem Protest äußerten. „Dem Klima bringt das aber nichts.“ Hans Monath

Zur Startseite