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Ursula Nonnemacher (Grüne), Brandenburgs Gesundheitsministerin.
© Ottmar Winter

Interview | Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher: "Wir haben die zweite Welle vielleicht unterschätzt"

Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher über die Gefahr vorschneller Lockerungen, die Vorbereitungen für die Corona-Impfungen und den Einsatz von Schnelltests in der Gastronomie.

Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) bereitet die ersten Corona-Impfungen vor und warnt vor vorschnellen Lockerungen. Und im Gespräch mit Benjamin Lassiwe berichtet die Ministerin, dass sich ein Großteil der Lehrerinnen und Lehrer an Brandenburgs Schulen nicht regelmäßig testen ließ. 

Ministerin Nonnemacher, wollen Sie sich gegen das Coronavirus impfen lassen?
Selbstverständlich. Ich bin schon immer eine absolute Befürworterin von Schutzimpfungen gewesen. Ich selber, meine Kinder und meine ganze Familie sind gegen alles geimpft, was man sich vorstellen kann. Ich habe mich auch selbst schon Ende September öffentlichkeitswirksam gegen Grippe impfen lassen. Und ich würde auch die Corona-Impfung wahrnehmen, wenn ich an der Reihe wäre. 

Wer wird denn zuerst geimpft? Und wann geht es in Brandenburg los?
Wir müssen uns darauf einstellen, dass Anfang 2021 ein Impfstoff zur Verfügung steht, vielleicht auch mehrere. Da anfangs nicht gleich Impfdosen für alle in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehen werden, sollen die Impfungen zunächst an priorisierten Personengruppendurchgeführt werden. Und wir werden uns an Empfehlungen orientieren, die die Ständige Impfkommission, der Nationale Ethikrat und die Leopoldina erstellt haben. Demnach würden - wenig überraschend - besonders vulnerable Personen mit einem erhöhten Risiko zuerst geimpft werden, dazu Beschäftigte in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Dann wären Lehrerinnen und Lehrerund Erzieherinnen und Erzieherdran, sowie andere Menschen, die wegen ihres Berufs mit vielen Menschen zu tun haben. Aber es ginge auch um Menschen, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, oder Wohnungslose auf der Straße. Und natürlich die Angehörigen der kritischen Infrastruktur: Der Staat muss funktionieren. Und wenn Gesundheitsämter, Feuerwehr und Polizei in die Knie gingen, wäre der Staat nicht mehr funktionsfähig. 

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Wie würde das in Brandenburg aussehen?
Wir planen zunächst mit zwei Impfzentren, eines im Potsdamer Raum und eines im Raum Cottbus. Dazu soll es mobile Teams geben, die etwa Menschen in Heimen impfen sollen. Derzeit arbeitet mein Haus natürlich sehr sehr intensiv an der Frage, wie wir das Impfen praktisch organisieren können – und das ist eine sehr, sehr anspruchsvolle Aufgabe. Wir wissen noch nicht genau, wann welcher Impfstoff zugelassen wird. Wir wissen, dass alle in der Diskussion befindlichen Impfstoffe unterschiedliche Lagerungsbedingungen haben. Und wir operieren da mit einer Vielzahl von Unbekannten. Aber wir wissen, dass wir eine Vielzahl von Menschen in Brandenburg nach den Kriterien impfen müssen. Dazu brauchen wir eine Vielzahl von Partnern, etwa die Kassenärztliche Vereinigung, aber auch Bundeswehr und Hilfsorganisationen. Und mit denen sind wir jetzt in intensiven Gesprächen. 

Worum geht es da?
Wir müssen uns zum Beispiel die Frage stellen, wo die Impfstoffe gelagert werden. Da geht es um die Frage der Kühlung bei Minus 70 oder 80 Grad. Da geht es um den Transport, aber auch um die Frage, wie die Impfstoffe dann von wem bewacht werden. Wir haben ja jetzt schon Fälle in der Prignitz und in Ostprignitz-Ruppin gehabt, wo es Einbrüche in Lager mit persönlicher Schutzausrüstung gegeben hat. Diese Probleme zu lösen ist hochkompliziert, es wird sehr, sehr teuer werden, und es werden viele Stränge auch parallel bedient. Das ist eine Mammut-Aufgabe. Da kann niemand heute sagen: Ich habe alles schon komplett fertig. 

Am Montag, 16. November 2020, gibt es die nächste Schalte der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin. Wie ist denn aus Ihrer Sicht die Pandemielage in Brandenburg im Moment?
Im Moment ist die Lage in Brandenburg noch gut beherrschbar. Natürlich können wir nicht nur gucken, wie viele Beatmungsgeräte in den Kliniken zur Verfügung stehen oder wie viele Betten noch frei sind: Die Kliniken haben selbst auch viele Beschäftigte, die erkrankt sind oder sich in Quarantäne befinden. Das schränkt die Zahl der Betten ein. Und auch wenn die Situation im Moment noch gut zu händeln ist: Die ersten Kliniken haben Engpässe gemeldet. Deswegen haben wir die regionalen Netzwerke, in denen die Krankenhäuser zusammenarbeiten, wieder aktiviert. Und wir haben die Kliniken gebeten, zu prüfen, ob man planbare Eingriffe, die man ohne Schaden für den Patienten zurückstellen kann, zurückstellt. 

Aber wenn die Situation noch gut beherrschbar ist: Könnte man dann nicht einfach ganz normal weitermachen?
In Deutschland sind heute schon deutlich über 3.000 Intensivbetten durch Corona-Patienten belegt. Der Bundesgesundheitsminister hat davor gewarnt, dass sich Ende November diese Zahl auf 6.000 verdoppelt haben könnte. Ich teile diese Einschätzung – denn wir sehen ja, dass die Menschen, die auf unseren Intensivstationen ankommen, die Menschen sind, die sich zwei oder drei Wochen zuvor infiziert haben. Und wenn wir die sehr starke Dynamik, die wir vor einigen Wochen hatten, und die auch zum Beschluss der Ministerpräsidenten zur Schließung von Gaststätten und Kultureinrichtungen geführt hat, weiter hochrechnen, müssen wir davon ausgehen, dass sich die Zahl der stationär behandelten Patienten weiter steigern wird. 

Hat der neue Lockdown denn etwas gebracht?
Wir sind jetzt in einer Phase, wo wir gucken müssen, ob sich diese Dynamik, die Intensität des Anstiegs, etwas abbremst. Das ist noch nicht belastbar, aber es gibt gewisse Hinweise – den R-Wert oder die Verdoppelungszeit der aktiven Fälle -, mit deren Hilfe man sagen kann: Es steigt nicht mehr so steil an. Es wird etwas weniger. Am Freitag hatten wir 23.542 Neuerkrankungen in ganz Deutschland. Das ist ein neuer Rekordwert. Aber einen ähnlichen Wert hatten wir in der Vorwoche schon einmal. Wären wir noch beim Tempo der letzten Wochen, wären wir jetzt vielleicht bei 30.000 oder 40.000 Neuinfektionen am Tag – aber wir sind auch noch immer weit davon entfernt, das Infektionsgeschehen in Bereiche von unter 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche zurückgeführt zu haben, wo man sagen könnte, man beherrscht es und kann es gut nachverfolgen. 

Was erwarten Sie denn für Brandenburg von dem Treffen mit der Kanzlerin? Sind Lockerungen möglich – oder braucht es eine Verschärfung der Schutzmaßnahmen?
Es ist noch zu früh, um zu sagen: „Wir haben unser Ziel erreicht“. Man kann ja an diversen Äußerungen des Bundesgesundheitsministers ablesen, dass wir noch lange Zeit mit Restriktionen leben müssen. Diese Auffassung teile ich. Wir haben die zweite Welle in ihrer Wucht vielleicht alle etwas unterschätzt. Man wusste, sie wird irgendwann kommen. Aber dass es dann so schnell hochgeht, hat wohl einige überrascht. Wir müssen jetzt gucken, dass wir gut über den Winter kommen – und das wird ohne weitere Maßnahmen nicht möglich sein. Weiter gilt: Abstand halten, Hygiene beachten, Alltagsmasken tragen und Kontakte auf ein Minimum reduzieren. 

Wir müssen jetzt gucken, dass wir gut über den Winter kommen – und das wird ohne weitere Maßnahmen nicht möglich sein.

Ursula Nonnemacher

Halten Sie es für realistisch, dass Gaststätten in diesem Jahr noch einmal öffnen dürfen?
Wir müssen beobachten, ob die Maßnahmen, die bislang ergriffen worden sind, den gewünschten Bremseffekt erreichen. Und auch wenn es dezente Hinweise in diese Richtung gibt: Wir sind noch lange nicht dort, wo wir hin müssen. Und dennoch wachsen schon wieder die Begehrlichkeiten in Richtung Lockerung: Weihnachtsmärkte, Weihnachtsfeiern, Verkaufsoffene Sonntage, Lockerungen im Freizeit- und Sportbereich. Hier stehen wir vor einer schweren Diskussion, die längst nicht abgeschlossen ist – zumal wir einen organisierten Widerstand erleben, der systematisch gegen die Hygieneauflagen agitiert. Das kann uns noch viele Probleme bereiten. 

Wie soll es jetzt mit den Testungen für Lehrerinnen und Lehrer weitergehen?
Die Kapazitäten der Labore sind ja erschöpft... Wir arbeiten daran, wie wir unsere Teststrategien für Lehrer, für Kindertagesstätten und für Beschäftigte in Pflegeheimen fortsetzen. Bei den Lehrerinnen und Lehrern machen wir das ja mit Hilfe der Kassenärztlichen Vereinigung. Nach unseren Informationen war die Inanspruchnahme dieser Tests aber sehr überschaubar: Mir liegen noch keine abschließenden Zahlen vor, aber es waren wohl deutlich unter 20 Prozent der Lehrkräfte, die die Tests genutzt haben. 

Das heißt, die meisten Lehrer haben sich nicht testen lassen?
Genau. Das Angebot der Testung von asymptomatischen Personen wurde nicht angenommen. Das müssen wir jetzt auswerten. Denn jetzt geht es um die Folgeverträge. Wir werden versuchen, in beiden Bereichen die Verträge zu verlängern, allerdings mit einer Umstellung auf die so genannten Schnelltests. Dafür ist weiterhin ein Abstrich in einer Arztpraxis oder durch geschultes medizinisches Personal nötig – aber es kann vor Ort und vor allem unabhängig von einem Labor in 15 bis 30 Minuten gesehen werden, ob ein Patient infiziert ist. Ein positiver Schnelltest muss dann durch einen regulären Test bestätigt werden, weil die Schnelltests bei positiven Tests nicht so empfindlich sind, wie die PCR-Tests. Aber wir bevorzugen Schnelltests, weil die Labore mittlerweile an der Kapazitätsgrenze angekommen sind. 

Wären die Schnelltests auch eine Variante für die Gastronomie, die Hotellerie oder die Veranstaltungsbranche?
Im Moment sehe ich das noch nicht. Bei dem Infektionsgeschehen, was wir im Moment haben, müssen wir sagen: Die Schnelltests müssen jetzt erstmal da hin, wo sie dringend gebraucht werden – nämlich in medizinische und pflegerische Einrichtungen, die geschützt werden müssen. Im Moment müssen wir beim Testen priorisieren und es muss Sinn und Verstand haben. 

Wie stellen Sie sich denn in diesem Jahr die Weihnachtszeit vor? Macht Ihr Ministerium eine Weihnachtsfeier?
Unser Ministerium wird ganz sicher keine Weihnachtsfeier machen. Das wäre ein ganz, ganz schlechtes Signal. Wir sind nach wie vor in einer schwierigen Situation, und wir werden uns weiterhin in Kontaktreduzierung und Kontaktminimierung üben müssen. Natürlich vermissen viele Menschen die Weihnachtszeit mit Adventssingen, Weihnachtsmärkten und Feiern – aber wir werden uns in diesem Jahr einschränken müssen. In welchem Umfang das geschieht, wird man auf der Bundesebene klären müssen. 

Wir danken für dieses Gespräch.

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