Es wird eng – schon vor dem Winter: Situation für Obdachlose „dramatisch“
Die Potsdamer AWO fordert zusätzliche Plätze für Obdachlose wegen Corona. Viele Heime sind bereits voll.
Potsdam/Neuruppin - Verantwortliche in den Obdachlosenunterkünften in Brandenburg blicken mit Sorge auf den Winter in der Corona-Pandemie. „Es darf keine Aufnahmestopps wie bei der ersten Welle geben. Wenn das wieder passiert im Winter, das sehen wir mit großer Sorge“, sagt Angela Schweers, Vorstandsvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt im Bezirksverband Potsdam. Bei einer gleichbleibenden Anzahl von Einrichtungen gebe es dann coronabedingt weniger Plätze. Aus ihrer Sicht muss es dringend zusätzliche Unterkünfte geben. Die Situation für Obdachlose in der Pandemie sei „dramatisch“.
Das Obdachlosenheim der AWO in Potsdam am Lerchensteig mit rund 95 Plätzen zuzüglich Notbetten sei eigentlich immer zu 100 Prozent ausgelastet, sagt Schweers, die seit 28 Jahren bei der AWO arbeitet. Doch wer einen Platz brauche, bekomme auch einen. Nach den mit der Stadt festgelegten Rahmenbedingungen dürfe an kalten Wintertagen niemand abgewiesen werden. Daher mussten mit Pandemiebeginn neue Zimmer angemietet werden, um den Mindestabstand zu gewährleisten. Neuankömmlinge würden auf das Coronavirus getestet und kämen zunächst in Quarantäne. Bisher gab es in der Einrichtung nach AWO-Angaben keinen Corona-Fall.
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Wichtig sind aus Sicht der Potsdamer AWO-Vorstandschefin eine zusätzliche tägliche Essensversorgung und kostenlose öffentliche Dusch- und Waschplätze. In Einrichtungen wie der Suppenküche mit Frühstück und warmem Mittagessen für Wohnungslose, die jedoch auch nicht mehr regulär geöffnet hat, und der Volkssolidarität mit öffentlichen Duschen und Waschplätzen seien Plätze begrenzt und nur zu Öffnungszeiten nutzbar. Mit Blick auf die kalten Tage seien Spenden wie Kleidung und Schlafsäcke wichtig. Insgesamt existieren in Potsdam nach Angaben der Stadt acht Unterkünfte mit rund 260 Betten. Wie viele Plätze insgesamt in Brandenburg vorhanden sind, wird nicht erhoben.
Auf Spenden angewiesen
Auch in anderen Einrichtungen im Land wird es enger, je kälter die Nächte werden. In der Notunterkunft K6 des Diakonisches Werkes Ostprignitz-Ruppin in Neuruppin stehen 25 Plätze für Obdachlose bereit. Alle seien belegt, sagte Geschäftsführer Tobias Kind. „Für den Winter kommen wir damit nicht aus.“ Denn nun kämen viele „Freigeister“, wie Kind sie nennt, die in wärmeren Nächte im Freien übernachteten. „Wie es jetzt mit Corona kommt, wissen wir noch gar nicht.“ Der Geschäftsführer befürchtet, dass es wegen der Pandemie mehr Obdachlose geben wird. Vielen Menschen fehle durch Kurzarbeit das Geld. „Im schlimmsten Fall können wir mehr aufnehmen.“ Aber das Haus sei auf Spenden angewiesen. „Wir müssen immer Essen da haben.“
Zum Schutz vor dem Virus gilt für Mitarbeitende und Bewohner in der Einrichtung außerhalb der Zimmer Maskenpflicht. Bisher habe es keinen Corona-Fall gegeben. „Wenn wir einen Fall hätten, dann wäre das schlimm“, sagt der gelernte Gesundheits- und Krankenpfleger. „Wir sind hier nicht in einer Schule, wo die Kinder zur Quarantäne nach Hause können. Unsere Bewohner haben kein Zuhause.“ Über die Jahre seien es mehr Menschen geworden, die Obdach in der Unterkunft suchten. Schuld daran sind aus Sicht von Kind steigende Mietpreise.
„Auch Obdachlose wollen nicht abgeschieden sein“
Nach Angaben des Städte- und Gemeindebundes gibt es auf dem Land, anders als in berlinnahen Regionen, kaum Wohnungsnot. Doch die Städte und die gut angebundenen Gegenden seien es, in denen nach Ansicht von Kind auch obdachlose Menschen künftig wohnen wollen. „Sie sind schon eingeschränkt in ihrer Mobilität. Wenn auf dem Land kein Bus, kein mobiler Pflegedienst, fährt, dann sind die Menschen gezwungen, in die Stadt zu kommen.“ Kind weiß: „Auch Obdachlose wollen nicht abgeschieden sein.“
Im AH Obdachlosenhaus in Brandenburg an der Havel wurde bereits ein Aufenthaltsraum zum Zimmer mit Betten umfunktioniert, um dem steigenden Bedarf gerecht zu werden. Die Einrichtung hat 36 Plätze. „Wir sind überbelegt. Und wir können keine Plätze streichen“, sagt Leiter Heinrich Holzrichter. Weiterer Wohnraum werde gesucht. „Obdachlosigkeit nimmt zu“, sagt Holzrichter, der seit 2004 beim Träger des Heims, dem Diakonischen Werk, tätig ist. Um vor Corona zu schützen, gebe es Maskenpflicht, es werde regelmäßig gelüftet, zudem müsse der Abstand eingehalten werden.
Der Deutsche Ethikrat fordert, neben gefährdeten Berufsgruppen und älteren Menschen mit Vorerkrankungen auch Obdachlose und Menschen in Gemeinschaftsunterkünften als erstes gegen Corona zu impfen. Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) begrüßt das. „Wer unter schwierigsten Bedingungen auf der Straße oder gedrängt in einer Gemeinschaftsunterkunft lebt, ist einem ungleich höheren Risiko ausgesetzt“, sagt sie. (dpa)
Anna Kristina Bückmann
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