Brandenburgs Polizei räumt ein: Kennzeichen-Erfassung läuft im Dauerbetrieb
Die Brandenburger Polizei registriert und speichert an bestimmten Autobahnen alle Kennzeichen. Alles sei legal, versichert das Innenministerium. Abgeordnete haben daran Zweifel.
Potsdam - Es müssen hunderttausende, vielleicht Millionen von Daten sein: Brandenburgs Polizei registriert an strategischen Autobahntrassen im Land automatisch die Kennzeichen aller vorbeifahrenden Fahrzeuge – und speichert diese teilweise über längere Zeiträume. Teils über Monate, teils über Jahre. Das hat Polizeivizepräsident Roger Höppner am Donnerstag in der Sitzung des Innenausschusses des Potsdamer Landtages bestätigt, auf der Abgeordnete von Grünen, SPD und Linken Auskunft zur Polizeipraxis beim „automatischen Kennzeichenerfassungssystem“ („Kesi“) verlangt hatten.
Vize-Polizeipräsident: Alles hat eine klare Rechtsgrundlage
Es geht um den Verdacht einer illegalen Speicherung. Alles habe eine klare Rechtsgrundlage, nämlich allein zur Strafverfolgung bei schweren Straftaten, nach Anforderungen von Staatsanwaltschaften und richterlichen Beschlüssen, erklärte Vizepolizeipräsident Roger Höppner. Existenz und Umfang dieses Systems waren bislang nicht bekannt.
Auslöser war wie berichtet der Vermisstenfall Rebecca Reusch in Berlin. In diesem Zusammenhang war erstmals publik geworden, dass die Brandenburger Polizei an der A 12 – einer Hauptstrecke, wenn es um grenzübergreifende Kriminalität wie Autoschiebereien geht – Fahrzeugkennzeichen speichert. Höppner räumte nun auf Nachfragen von Abgeordneten ein, dass das Erfassungssystem, bei dem die Kennzeichen vorbeifahrender Autos von hinten registriert und gespeichert werden, de facto im Dauerbetrieb ist – also 24 Stunden, 365 Tage im Jahr.
Aufgeflogen war die Überwachung im Fall der vermissten Rebecca
Innenstaatssekretärin Katrin Lange (SPD) und Höppner betonten, dass das alles auf klarer Rechtsgrundlage geschehe, nämlich zur Strafverfolgung auf Grundlage von richterlichen Beschlüssen, entweder aus dem Lande oder aus anderen Bundesländern. Es sei sei dann zulässig, auf diese Daten als „Beifänge“ auch zur Strafverfolgung anderer schwerer Straftaten zuzugreifen, so Lange.
Im Rebecca-Fall lief das Erfassungssystem laut Lange auf Grundlage eines Frankfurter Gerichtsbeschlusses zu einer längerfristigen Observation in einem Ermittlungsverfahren wegen schwerer Bandenkriminalität. „Das war die Grundlage, dass wir den Zufallstreffer machen konnten“, sagte Lange. Im vorigen Jahr habe es 95 solche Anforderungen aufgrund von Gerichtsbeschlüssen aus zehn Bundesländern gegeben, sagte Höppner. Diese Zahl findet sich auch in einer Antwort, mit der das Innenministerium – am Donnerstag nach mehren Tagen – nun auch eine Anfrage der PNN beantwortete.
Mindestens 14 Geräte sind im Einsatz
Da es also praktisch permanent solche Gerichtsbeschlüsse in Einzelfällen gibt, laufen die Kennzeichenerfassungskameras der Polizei an Brandenburgs Autobahnen de facto ständig. Es soll dem Vernehmen nach mindestens neun Standorte geben, meist an Autobahnkreuzen, die Polizei soll weitere fünf mobile Geräte im Einsatz haben. Auf Anforderungen der Justiz wie im Fall Rebecca habe die Polizei „keinen Ermessensspielraum“, sagte Höppner. „Der Beschluss ist umzusetzen.“
Die massenhafte Erfassung der und Speicherung der Kfz-Kennzeichen zur Strafverfolgung, die auch für andere Verfahren genutzt werden können, ist nach Worten von Höppner verhältnismäßig. Es würden ausschließlich Kennzeichen erfasst, es gehe nicht um personenbezogene Daten, sagte er. Man habe mit dem System bereits viele Erfolge bei der Kriminalitätsbekämpfung erzielt.
Polizei beteuert, dass Datenmissbrauch ausgeschlossen sei
So habe damit 2017 die Entführung eines vietnamesischen Geschäftsmanns durch den vietnamesischen Geheimdienst aufgeklärt werden können. Höppner betonte zugleich, dass intern Missbrauch ausgeschlossen aus. „Es gibt nur ganz wenige Kollegen, die auf dieses System zugreifen können.“ Nach der Einführung habe auch die Landesdatenschutzbeauftragte sich das System geschaut, lediglich Verbesserungen in der Dokumentation gefordert.
Im Innenausschuss wurden diese Aussagen unterschiedlich aufgenommen. Die Grünen-Abgeordnete Ursula Nonnemacher äußerte Zweifel, mit sich überlappenden Beschlüssen zu einzelnen Fällen massenhaft Daten im Dauerbetrieb zu speichern. „Man muss prüfen, ob das legal ist.“ Der CDU-Innenexperte Björn Lakenmacher sagte: „Ich kann keine Rechtsverstöße erkennen.“ Ähnlich äußerte sich die SPD-Abgeordnete Inga Gossmann-Retz, betonte aber zugleich: Politisch sei das eine andere Frage.