Märkische Minister im Kreuzfeuer: Kenianer im Corona-Chaos
Mit Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) steht das nächste Brandenburger Regierungsmitglied wegen der Pandemie-Politik im Land unter Beschuss. Eine Analyse.
Potsdam - Die größte Oppositionspartei im Landtag fordert den Rücktritt einer Ministerin. Das ist und war auch vor Corona zwar nicht alltäglich, aber Teil des politischen Geschäfts. „Konsequenzen aus dem verfehlten Corona-Krisenmanagement des MBJS ziehen – Bildungsministerium neu besetzen“, ist der Antrag der AfD-Fraktion überschrieben, der am Donnerstag auf der Tagesordnung des Landtags steht. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) wird darin aufgefordert, Britta Ernst (ebenfalls SPD, seit September 2017 Bildungsministerin ) unverzüglich aus dem Amt zu entlassen und dieses binnen einer Frist von 14 Tagen neu zu besetzen. Was er – davon kann man ausgehen – sicher nicht tun wird. Fall erledigt. Aber so einfach ist es nicht.
Pädagogen-Verband fragt: "Ist Ministerin noch tragbar?"
Denn die Personalie Ernst bekommt eine neue Dimension, weil jetzt auch die Lehrerschaft meutert. „Herr Woidke, ist diese Ministerin noch tragbar?“, fragt der Brandenburgische Pädagogen-Verband (BPV) in einer am Montag verbreiteten Mitteilung. Hintergrund ist die am Sonntagspätnachmittag per Pressemitteilung kommunizierte Entscheidung des Ministeriums, die Präsenzpflicht an den Schulen ab sofort auszusetzen – weil die zugesagten Selbsttests für Schüler nicht in ausreichender Zahl vorhanden sind. Das Krisenmanagement des Bildungsministeriums sei „katastrophal“, urteilt der BPV und betont zugleich auf Anfrage, dass er den Antrag der AfD nicht gekannt habe. Von Verlässlichkeit und Verantwortungsbewusstsein der Ministerin könne keine Rede mehr sein. „Wut und Entsetzen machen sich in den Lehrerzimmern und Chats breit über die sinnlosen und unüberlegten Entscheidungen des Bildungsministeriums.“ Von einem „Schlingerkurs“ sprechen der Berlin-Brandenburger Philologenverband und der Brandenburger Berufsschullehrerverband in einer gemeinsamen Mitteilung. „Wir brauchen endlich Konstanz, klare Regeln, Testkits und Impfungen für alle Lehrkräfte.“
Zuvor hatte bereits der Cottbuser Kreiselternrat den Rücktritt der Ministerin gefordert. „Das Verhalten der Bildungsministerin ist derart lebensfremd und absurd, dass es einem die Sprache verschlägt.“ Der Landeschef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Günther Fuchs nennt die Personaldiskussion „berechtigt“. Ein Fortbestehen des angerichteten Chaos durch die Hausleitung des Bildungsministeriums trage die GEW nicht mit.
Es ist wohl vor allem eines, was dem Ministerium nicht erst im jüngsten Fall angelastet werden muss: „Kommunikations-Chaos“, wie es der Elternrat formuliert. Dass anfangs in der neuen Situation nicht alles rund lief, Erfahrungen gesammelt, verschiedene Interesse abgewogen werden mussten – bekannt. Doch nach zwölf Monaten Pandemie macht die noch immer fehlende Weitsicht Lehrer wie Eltern zunehmend mürbe. Es ist nicht so, dass Ernst nicht auf Forderungen der Lehrer eingegangen wäre. Zunächst sollten die Schüler die Schnelltests in der Schule durchführen – unter Lehreraufsicht. Die Schulen fühlten sich davon mangels Personal überfordert. Also sollte das Testen nach Hause verlagert werden. Dass diese Zuhause-Tests wegen, so kommunizierte es das Ministerium, Schwierigkeiten auf dem Weltmarkt nicht pünktlich geliefert wurden, auch dafür kann man noch Verständnis aufbringen – wenn man darüber hinwegsieht, dass bei einem weniger kurzfristigen Wechsel der Teststrategie auch rechtzeitig ausreichend passende Tests hätten bestellt werden können. Wenn man aber weiß, dass die nun bestellten Tests wohl nicht pünktlich ab Montag für alle Schüler verfügbar sein werden, hätte man auch schon Tage vorher kommunizieren können, dass die Präsenzpflicht – sicherheitshalber – ausgesetzt wird.
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Aber selbst am Montag, als in Brandenburg die Präsenzpflicht über Nacht aufgehoben, die Verantwortung wieder bei den Eltern abgeladen wurde, warnte Ernst als Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) vor erneuten Schulschließungen. „Viele Kinder und Jugendliche leiden unter der Pandemiesituation. Damit die Folgen nicht dauerhaft ihr Leben begleiten, liegt die Priorität der Kultusministerinnen und Kultusminister darauf, die Schulen so lange wie möglich offen zu halten“, sagte sie der „Bild“–Zeitung.
Zweite Ministerin der Kenia-Koalition unter Beschuss
Gerade der Status als KMK-Chefin bietet Ernst auch einen gewissen Schutz: Laute Kritik aus den eigenen Reihen ist nicht zu erwarten, um das Außenbild nicht zu beschädigen. Das dürfte wohl noch schwerer wiegen als der vor allem in Oppositionskreisen gerne mal inoffiziell angeführte Umstand, dass Ernsts Ehemann, Finanzminister Olaf Scholz, als SPD-Kanzlerkandidat in Potsdam antritt und es sich Woidke mit ihm nicht verscherzen wolle. SPD-Fraktionschef Erik Stohn jedenfalls sagt, Ernst habe seine volle Unterstützung, er habe großen Respekt vor der Arbeit der Ministerin in dieser Zeit.
Ernst ist die zweite Ministerin des rot-schwarz-grünen Kenia-Kabinetts, die unter Beschuss steht. Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) anfangs viel gelobt als fachlich kompetente Krisenmanagerin, fiel das verkorkste Impfmanagement auf die Füße. Seit Montag liegt die Hauptverantwortung für das Impfen nun bei einem neuen Krisenstab unter der Führung von Innenminister Michael Stübgen (CDU).
Bildung kann das Innenressort schlecht auch noch mit übernehmen, aber – nicht ganz sarkasmusfreie – Vorschläge zur Umstrukturierung gibt es: Unter ein vom Bildungsministerium bei Twitter verbreitetes Foto vom 11. März – Ernst bedankt sich beim Technischen Hilfswerk (THW) für die Auslieferung von Schnelltests an Schulen – findet sich folgender Kommentar: „Kann das THW nicht gleich noch den Job der Bildungsministerin übernehmen? Dann bekommt man als Eltern nicht erst 8 Stunden vor Stundenklingeln die Info, dass die Schulpflicht ausgesetzt ist!“
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