Prozess um KZ-Tattoo von NPD-Politiker Zech: Jüdische Autorin Feldman freut das Urteil über KZ-Tattoo
Der NPD-Politiker Marcel Zech wird zu Gefängnis ohne Bewährung verurteilt – auch als Zeichen für einen wehrhaften Staat. Deborah Feldman, eine prominente Beobachterin und jüdische Autorin, freut das.
Neuruppin/Oranienburg - Deborah Feldman war das erste Mal überhaupt in Brandenburg zu Besuch, damals im November 2015, erst einige Monate nachdem sie aus New York nach Berlin umgezogen war. Es sollte ein schöner Familienausflug werden, mit den Kindern ging es ins Spaßbad von Oranienburg im Landkreis Oberhavel, Speckgürtel, nördlich von Berlin. Und dann entdeckte sie dieses Tattoo auf dem Rücken eines Mannes, oberhalb der Gürtellinie: die Silhouette des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, dazu der Spruch „Jedem das Seine“ vom Eingangstor des Konzentrationslagers Buchenwald. Deborah Feldman verstand sofort, was es bedeutet. Die 30 Jahre alte jüdische Bestseller-Autorin wuchs in einer ultraorthodoxen Gemeinde in New York auf, gegründet von Überlebenden der Schoah. Ihr Urgroßvater war 1939 aus München vor den Nazis nach England geflohen, ihre Großmutter überlebte im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau.
Deborah Feldman: "Es war ein großer Schock, das zu sehen"
„Ich bin damals völlig ausgeflippt, ich wusste nicht, was ich tun soll“, sagt sie heute über das Tattoo. „Es war ein großer Schock, in Deutschland anzukommen und das zu sehen.“ Und seither lässt es sie nicht mehr los.
Auch ein Journalist war damals am 21. November im Oranienburger Spaßbad. Er machte ein Foto von dem Tattoo, das er in den sozialen Medien verbreitete. Die Resonanz war enorm. Die Rückansicht ging als „Nazi-Arschgeweih“, Nazi-Tattoo und „Brauner Speck“ durch die Medien.
Wer der Träger des Tattoos war, blieb zunächst unbekannt. Auf seinem Bauch hat er den Reichsadler tätowiert, an der Stelle des üblichen Hakenkreuzes ist sein Bauchnabel. Und auf seinem linken Arm prangt eine schwarze Sonne, noch ein typisches Erkennungssymbol in der Neonazi-Szene. Die PNN hatte nach Recherchen in der rechten Szene dann publik gemacht, um wen es sich handelt: Marcel Zech, ein Neonazi, 28 Jahre alt, Kommunalpolitiker der NPD, Mandatsträger in der Gemeinde Panketal und im Kreistag Barnim. Er ist Mitglied der vom Verfassungsschutz als „neonationalsozialistisch“ eingestuften braunen Bruderschaft „Barnimer Freundschaft“. Und er war dabei, als das rechtsextreme Hip-Hop-Duo „A3stus“ im Januar 2014 vor einem Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf ein Musik-Propaganda-Video drehte, das für erhebliches Aufsehen sorgte.
Amtsgericht Oranienburg verurteilte Zech zu sechs Monaten Haft auf Bewährung
Die Staatsanwaltschaft Neuruppin nahm den Tattoo-Vorfall im Oranienburger Spaßbad überaus ernst, in einem beschleunigten Verfahren musste sich Zech bereits kurz vor Weihnachten 2015 vor dem Amtsgericht Oranienburg verantworten. Es verurteilte den Neonazi zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, ausgesetzt zu drei Jahren Bewährung.
Für Deborah Feldman war das Urteil ernüchternd. Sie habe gelernt, damit umzugehen, sagt sie heute. Damit, dass sich im Schwimmbad damals niemand von den anderen Gästen an dem braunen Tattoo störte. Und dass Nazis für derlei nur milde Strafen bekommen. Sie schrieb für amerikanische Medien darüber, auch für die „Jüdische Allgemeine“. Der Titel ihres Beitrags: „Eine nutzlose Strafe“. Danach bekam sie Post und Drohungen, sie werde auch noch in der Gaskammer landen.
Statt Auschwitz-Birkenau nun Max und Moritz
Die Staatsanwaltschaft aber gab sich nicht zufrieden mit dem Urteil und legte Berufung ein, ebenso Zechs Verteidiger, der rechte Szeneanwalt Wolfram Nahrath. Der aber wollte einen Freispruch, vor allem wegen der „außerordentlichen Anprangerung“ seines Mandanten. Dessen Tattoo bilde gar nicht „das Lager“ – er meint das KZ Auschwitz-Birkenau – ab. In der Zwischenzeit ließ Zech sein Tattoo sogar verändern. Statt des KZ sollen dort laut Staatsanwaltschaft nun Max und Moritz von Wilhelm Busch zu sehen sein, sitzend in einer Badewanne. Tätige Reue sei das, weil das Tattoo offenbar „andere Menschen verärgerte und verunsichert hat“, sein Mandat wolle schließlich auch wieder unbeschwert mit den Kindern ins Spaßbad gehen können, sagte Nahrath. Zech habe weder die Toten und auch sonst niemanden in seiner Würde verletzen wollen.
Geholfen hat es nicht: Die Berufungskammer des Landgerichts Neuruppin verschärfte am Montag in seinem Urteil das Strafmaß deutlich. Zech soll, so der Schuldspruch, wegen Volksverhetzung für acht Monate ins Gefängnis – ohne Bewährung. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig, Zechs Rechtsanwalt Wolfram Nahrath prüft eine Revision vor dem Oberlandesgericht (OLG), also die Überprüfung des Urteils auf Rechtsfehler.
Vorsitzender Richter: „Wer sich so etwas stechen lässt, rechnet damit, dass es gesehen wird“
„In der Gesamtschau hat jeder Betrachter keinen Zweifel, was der Angeklagte damit zum Ausdruck bringen wollte“, sagte der Vorsitzende Richter der Berufungskammer, Jörn Kalbow. Das Tattoo beziehe sich auf die unter der Herrschaft der Nationalsozialisten begangenen Verbrechen. Damit habe er die systematische Massenvernichtung von einer Million Juden im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau gebilligt. „Wer sich so etwas stechen lässt, rechnet damit, dass es gesehen wird“, sagte Kalbow.
Die Verschärfung des Urteils begründete der Richter mit der generalpräventiven Wirkung. Er verwies auf vermehrte „fremdenfeindliche Aktionen“ und einen wachsenden Rechtsradikalismus. Es bestehe bei einem zu mildem Urteil die Gefahr, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Strafrechtspflege schwindet. Ein Bewährungsurteil könnte als „unsicheres Zurückweichen und Nachgiebigkeit vor dem Rechtsradikalismus“ verstanden werden. Eine Haftstrafe sei als „staatliche Reaktion aus Gründen der Verteidigung der Rechtsordnung geboten“. Zudem stellte das Gericht Zech, der arbeitslos und wegen Körperverletzung, Amtsanmaßung und Beleidigung mehrfach vorbestraft ist, nur eine „schwachpositive Sozialprognose“ aus.
Zech demonstrierte in Berlin unter dem Motto "Merkel muss weg"
Ob Zech das alles beeindruckt? Er nahm das Urteil gelassen hin. Vermutlich wird er seine Mandate als Kommunalpolitiker nicht abgeben müssen. Sein Weltbild ist gefestigt. Erst am Samstag, zwei Tage vor der Berufungsverhandlung in Neuruppin, war er in Berlin unterwegs bei der vierten Demonstration unter dem Motto „Merkel muss weg“. 600 Rechtsextremisten waren dort, laut Polizei eine Mischung aus Flüchtlingsfeinden, Pegida-Anhängern, Reichsbürgern, Hooligans, Landsmannschaften und Identitären.
Deborah Feldman aber war überrascht von dem Urteil. Sie hat nicht mit dem höheren Strafmaß, sogar mit Freispruch gerechnet, als sie am Montag nach Neuruppin kam. „Ich habe mich daran gewöhnt, dass ich nichts zu erwarten habe, dass ich damit leben muss“, sagte sie. Damit, dass es Neonazis in Deutschland gibt, die ihre Ansicht offen zur Schau tragen. „Jetzt zeigt sich aber der starke Arm des Gesetzes. Das ist sehr erfreulich“, sagte die Autorin. 2017 will sie die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen, sie lernt jetzt für den Einbürgerungstest, erzählt sie: „Ich freue mich, dass ich in so einem Deutschland leben werde.“
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität